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Schutz von Vilnius ist der Schutz von Berlin | ABC-Z

Um den Kathedralenplatz im Herzen von Vilnius hat die Bundeswehr Panzer und Artillerie aufgestellt, und die Freude in Litauen ist groß. Panzerhaubitzen 2000 stehen da unter anderem, Leopard-Kampfpanzer und Pionierpanzer Dachs. Im Zentrum des Platzes sind Bundeswehrsoldaten zum Appell angetreten, darum herum stehen dicht gedrängt Hunderte Menschen in Zivil und schwenken deutsche und litauische Papierfähnchen.

Als Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) die Reihen der Soldaten abgeschritten hat und schließlich an den Zivilisten vorbeigeht, brandet Applaus auf. Es ist der Aufstellungsappell der deutschen Brigade in Litauen, des ersten Großverbandes der Bundeswehr, der dauerhaft im Ausland stationiert ist. Ein Zeichen an die Partner, ein Zeichen an Russland. „Genau hier zeigen wir, Litauer und Deutsche gemeinsam“, sagt Merz kurz darauf am Rednerpult, „dass wir bereit sind, die Freiheit Eu­ropas gegen jeden Aggressor zu vertei­digen“.

Viel spricht die neue Bundesregierung, der neue Bundeskanzler davon, außenpolitisch mehr Verantwortung zu übernehmen und Führung zeigen zu wollen. Vor allem mit Blick auf das aggressive Verhalten Russlands. Die Bilder dazu gibt es für Merz am Donnerstag in Litauen. Es bleiben aber Zweifel, ob Europa dabei noch auf Amerika an seiner Seite setzen kann. Nach einem Telefonat mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump am Montag sind die Zweifel eher größer geworden.

Der Aufbau der Panzerbrigade 45 „Litauen“ erreicht eine neue Phase

Das Signal einer deutschen Brigade in Litauen an der Ostflanke der NATO hat Boris Pistorius (SPD) als Verteidigungsminister der vorherigen Regierung schon setzen können. 2023 machte Pistorius klar, dass die Brigade dauerhaft dort stationiert sein sollte, und nicht nur im Krisenfall. Die Litauer zeigten sich dankbar. Und langsam kamen immer mehr deutsche Soldaten ins Land – 400 sind es bereits jetzt. Am Donnerstag fliegt Pistorius zusammen mit dem Kanzler nach Vilnius zum Aufstellungsappell. Merz trifft am Vormittag noch den Präsidenten der Republik, Gitanas Nauseda, in seinem Palast und stellt sich vor die Presse. Nauseda sagt, dieser Tag zeige: „Die Sicherheit Litauens ist zur Sicherheit Deutschlands geworden.“

Mit dem Aufstellungsappell erreicht der Aufbau der Panzerbrigade 45 „Litauen“ eine neue Phase. Sie geht von der Planung allmählich in die konkrete Truppenstationierung von etwa 5000 Soldaten. Ehe Truppen und Material einsatzbereit zwischen Kaunas und Vilnius stationiert sind, werden noch weitere zweieinhalb Jahre vergehen. Wenn alles nach Plan läuft. Im September dürften die ersten Soldaten der Brigade allerdings schon Zeuge werden, was die russischen Streitkräfte alles leisten können: An der Grenze zu Litauen hat Moskau eine große Militärübung angekündigt.

Für Boris Pistorius ist es das Herzstück seiner Amtszeit

Für Pistorius ist die Aufstellung der Brigade das Herzstück seiner Amtszeit. Der vorige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte der litauischen Regierung zuvor nur zugesichert, das bisherige Bataillon der Forward-Presence-Truppe der NATO aufzustocken. Bevor Pistorius die dauerhafte Stationierung der Brigade wenige Monate nach seiner Amtsübernahme verkündete, soll er keine großartige Rücksprache mit der Führung des Heeres oder den NATO-Partnern gehalten haben, heißt es. Der Heeresinspekteur Alfons Mais war zunächst mäßig begeistert und sagt bis heute, das erforderliche Gerät – Panzer, Haubitzen und viele andere Fahrzeuge – müsse die Bundeswehr erst einmal aus den bisherigen Beständen „ausschwitzen“. Neues Material stehe vorerst nicht zur Verfügung.

Die Aufstellung der Brigade Litauen hatte unter Pistorius aber Priorität: Bald nach seiner Ankündigung wurde ein Vorauskommando von etwa 20 Soldaten und Zivilisten entsandt, Verhandlungen mit Litauen regelten die Details. Die grobe Linie: Das gastgebende Land stellt die Infrastruktur bereit, also Kasernen, Übungsplätze, aber auch Sportstätten und Kindergärten. Ende 2024 nahm in einem Bürogebäude in der Innenstadt von Vilnius der Aufbaustab mit 150 Soldaten seine Arbeit auf.

Neben dem bereits mit wechselndem Personal in Rukla stationierten multinationalen Bataillon sollen zwei bestehende Kampftruppenbatail­lone, das Panzerbataillon 203 aus Augustdorf und das Panzergrenadierbataillon 122 aus Oberviechtach, als Kern der neuen Brigade nach Litauen verlegt werden. Hinzu kommen, so der Plan, Versorgungs- und Logistikeinheiten sowie Artillerie. Auch die Niederlande und Norwegen werden einen Teil der Brigade stellen.

Ausrüstungsfragen und Kosten noch immer nicht ganz klar

Einige Zweifel am Sinn des Vorhabens bleiben. Manche finden es nicht gut, dass so nah an die mögliche Konfliktzone mit Russland Hunderte Familien angesiedelt werden sollen, andere werten gerade das als Zeichen des Vertrauens in die eigene Stärke. Auch sind die Ausrüstungsfragen und die Kosten noch immer nicht ganz klar. Mit dem Budgetansatz der neuen Regierung von „Whatever it takes“ dürfte die Finanzierung immerhin leichter werden.

Eine Zahl zu diesem Ansatz gibt es auch. Vor einer Woche hatte Außenminister Johann Wadephul (CDU) noch Erstaunen ausgelöst mit seiner Ankündigung, den Plan des NATO-Generalsekretärs Mark Rutte zu unterstützen, bis 2032 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung für klassische Verteidigungsausgaben als Ziel zu setzen plus 1,5 Prozent für verteidigungsrelevante Infrastruktur.

Das Signal nach Washington waren die fünf Prozent in Summe, so wie es Trump vorgegeben hatte. Nach anfangs zöger­lichen Reaktionen in Berlin auf Wadephuls Ankündigung haben in den vergangenen Tagen sowohl Pistorius in Brüssel als auch Merz am Mittwoch in Berlin vorgerechnet, wie man sich in den nächsten Jahren auf die 3,5 Prozent zubewegen könnte. Und Merz sprach am Mittwoch in Berlin auch von 1,5 Prozent zusätzlich für die Infrastruktur, „die militärische Relevanz hat“. Das sind wieder die fünf Prozent. In Litauen sagt Merz zu den zwei Zahlen, „sie erscheinen uns vernünftig, sie erscheinen uns auch erreichbar in der vorgegebenen Zeit bis 2032“. Nauseda sagt, Litauen werde die fünf Prozent bereits im kommenden Jahr erreichen.

Ob dieses Signal aber in Washington noch Wirkung entfalten kann, ist eine andere Frage. Das Telefonat der Europäer am Montagabend mit Trump hat offenbar nicht zur Zuversicht beigetragen. Trump hatte nach seinem Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj informiert, und neben Merz gehörten die EU-Kommissionspräsidentin, der fran­zösische und finnische Präsident sowie die italienische Ministerpräsidentin zu der Runde. Dabei hat Trump die Europäer wieder mit einer Kehrtwende verblüfft, kaum 24 Stunden nach einem noch ganz anders verlaufenen Telefonat in ähnlicher Runde.

„Ich bin sicher, dass die USA im Friedensprozess ein Leader sind“

Nicht nur weil Trump Zweifel an wei­teren Sanktionen deutlich gemacht haben soll, weil sie schlecht sein könnten für die amerikanische Wirtschaft und er auch nicht mehr an der gemeinsamen Linie festzuhalten schien, Putin mit den Sanktionsdrohungen auf eine 30-tägige Waffenruhe ohne Vorbedingungen drängen zu wollen. Sondern auch weil Trump erklärt haben soll, dass die Russen und Ukrainer nun selbst eine Lösung miteinander finden müssten in ihren Gesprächen. Dass die Amerikaner sich also aus dem Prozess zurückziehen könnten, war sofort die Sorge. So berichtete es zunächst die „New York Times“, und bestätigt wird es in Regierungskreisen.

Merz habe, ist dort zu hören, die Lage entschärft, in dem er ein Treffen von Un­terhändlern vorschlagen haben soll, um Friedensgespräche zwischen Kiew und Moskau vorzubereiten. „Technical Meetings“ mit Amerikanern also, nur um sie dabeizubehalten. Trump hat zugestimmt. Wenn nicht im Wortlaut, wohl aber von der Botschaft wird auch ein Bericht des „Wall Streets Journals“ bestätigt: Demnach habe Trump bei dem Telefonat gesagt, Putin sei nicht bereit, den Krieg zu beenden, weil er glaube, ihn zu gewinnen.

„Ich bin sicher, dass die USA in dem Prozess der Friedenssicherung ein absoluter Leader sind“, sagt der litauische Präsident Naseda. „Ein Staat, der bestimmte Hebel hat, um Russland zu überzeugen.“ Er glaube nicht, „dass ein Telefonat jetzt alles verändern kann“. Merz verweist darauf, dass er schon dreimal mit Trump telefoniert habe, seit er im Amt sei. „Wir machen uns keine Illusionen“, sagt er. „Es gibt keine schnelle Lösung.“ Man lasse aber „keine denkbare Möglichkeit aus“, um zu einer diplomatischen Lösung zu kommen.

Merz sei der „festen Überzeugung“, dass es auch im amerikanischen Interesse liege, wenn man gemeinsam vorangehe. „Ich habe das Gefühl, dass das von großen Teilen der amerikanischen Regierung und des Kongresses so gesehen wird.“ In Berlin setzt man große Hoffnungen in einen Gesetzesentwurf im Senat, hinter dem sich bereits gut 80 Senatoren versammelt haben – er soll den Druck auf Moskau erhöhen. Und vielleicht auf das Weiße Haus.

Beim Appell auf dem Kathedralenplatz wird die Panzerbrigade 45 der 10. Panzerdivision unterstellt, sie bekommt ihre Truppenfahne, ein litauisches und ein deutsches Fahnenband sowie ihren Beinamen „Litauen“ verliehen. Auch amerikanische Soldaten sind beim Appell dabei. Mitten in der Rede von Merz zieht ein Gewitter auf. Der Bundeskanzler redet weiter. „Der Schutz von Vilnius ist der Schutz von Berlin“, sagt er am Ende auf Englisch. „Und unsere gemeinsame Freiheit endet nicht an einer geopolitischen Linie – sie endet dort, wo wir aufhören, sie zu verteidigen.“ Da ist das Gewitter schon weitergezogen.

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