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Hebertshausen: Wenn Kuh oder Pferd in Not sind – Dachau | ABC-Z

Das Nothalfter sitzt, die Bauchgurte auch, zwei Männer sichern an Seilen, dann wird das schwere Tier langsam aus der Horizontalen in die Vertikale gehoben, ganz vorsichtig. Kein Mucks, kein Schnauben, kein Schlagen mit dem Schweif; auch die Feuerwehrleute sind leise. Wenig reden, heißt die Devise. Wer mit einem mehrere hundert Kilogramm schweren Fluchttier hantiert, ist gut beraten, für maximal mögliche Ruhe zu sorgen. Dass die Patientin so brav in den Gurten hängt, liegt allerdings daran, dass sie aus Plastik ist.

Rosinante heißt der 250 Kilogramm schwere Pferdedummy, mit ihm tourt Thomas Sittinger durch Bayern und schult Feuerwehrleute im richtigen Umgang mit verunfallten Pferden, Kühen, Eseln, Lamas oder Alpakas. An diesem Samstag hat ihn die Kreisbranddirektion Dachau für eine Fortbildung zum Thema Großtierrettung in ihr Katastrophenschutzzentrum in Hebertshausen eingeladen.

Thomas Sittinger ist Feuerwehrmann, Reiter und Trainer für Rettungssituationen mit großen Tieren. (Foto: N.P.JOERGENSEN)

Sittinger ist Berufsfeuerwehrmann, aktiver Springreiter und arbeitet nebenbei als Trainer für Com Cavallo technische Großtierrettung. Früher seien solche Schulungen nicht nötig gewesen, sagt er, da habe die Feuerwehr auf dem Land größtenteils aus Landwirten bestanden. Die wussten, wo man hinlangt oder eben auch nicht. Heutzutage ist das anders. Als Sittinger beim Theorieteil fragt, wer schon einmal direkten Kontakt mit Pferd oder Kuh hatte, sind es aus der Gruppe von gut 20 Leuten gerade mal zwei.

Auch drei Männer aus der Kreisbranddirektion nehmen an der Fortbildung Großtierrettung teil. Kreisbranddirektor Georg Rotz schätzt, dass ein- bis zweimal im Jahr solch ein Einsatz im Landkreis Dachau anfällt, ein Pferd in einem Graben, eine Kuh in der Güllegrube. „Normalerweise wird improvisiert“, sagt er. Das kann auf Kosten des Tierwohls gehen, Sittinger weiß von verletzten Schweifrüben und Halswirbelsäulen. Es kann aber die Feuerwehrleute in unnötige Gefahren bringen.

Beim Ablösen des Pferdedummys von seinem fahrbaren Unterbau dürfen die Helfer noch ohne Handschuhe und Helme ans Tier. Sobald die eigentliche Übung startet, ist das anders.
Beim Ablösen des Pferdedummys von seinem fahrbaren Unterbau dürfen die Helfer noch ohne Handschuhe und Helme ans Tier. Sobald die eigentliche Übung startet, ist das anders. (Foto: N.P.JOERGENSEN)

Da ist die Rede von Kopfschlagzone und Kickbereich, wenn Sittinger beschreibt, wo man vor tretenden Hufen am sichersten ist, und dass bei einem so großen Tier nicht nur die Füße gefährlich sind, zumal wenn es Hörner hat. „Wir nähern uns von der Oberlinie her“, bläut er den Feuerwehrmännern und -frauen immer wieder ein. Eine weitere Grundregel ist: Immer kommt zuerst der Tierarzt oder die Tierärztin, mit Schmerzmittel und oft auch Sedierung.

Der Praxisteil an diesem Samstag findet im Reitstall Waldesruh statt, der ganz in der Nähe des Katastrophenschutzzentrums des Landkreises liegt. Rosinante wird aus dem Hänger bugsiert, und Sittinger mahnt: „Sobald am Pferd gearbeitet wird, gilt: Handschuhe und Helm.“

Erst wenn alle Gurte sitzen, wird Rosinante in die Luft gehoben.
Erst wenn alle Gurte sitzen, wird Rosinante in die Luft gehoben. (Foto: Alexandra Vettori)

Vor zehn Jahren hat Lutz Hauch, Berufsfeuerwehrmann und Reiter aus Nordrhein-Westfalen, Com Cavallo technische Großtierrettung gegründet und bietet mittlerweile mit einem ganzen Team deutschlandweit Trainings und Webinare an. Die Spezialtechniken hat er aus Großbritannien, wo sich das Rettungswesen schon seit den 1990-er Jahren mit dem Thema beschäftigte. Daraus entwickelte sich die British Animal Rescue and Trauma Care Association, nach deren Grundsätzen auch Com Cavallo arbeitet.

Das Spezialwerkzeug gehört zu den Rettungstechniken, etwa Hirtenstäbe, die so aussehen, wie sie klingen, und Fädelstangen, biegsame, flache Metallstangen, die unter das Tier geschoben werden, um einen Gurt darunter durchzuziehen.  Mit dem Hirtenstab wird der Gurt aus der Distanz eingefädelt, wenn verunfallte Tiere an unzugänglichen Stellen liegen.

Wird das Tier liegend transportiert, hievt man es auf Kunststoffplatten, die leichter und kontrollierter zu bewegen sind.
Wird das Tier liegend transportiert, hievt man es auf Kunststoffplatten, die leichter und kontrollierter zu bewegen sind. (Foto: N.P.JOERGENSEN)

Auch Tierärzte und -ärztinnen sind beim Training dabei. „Das ist absolut sinnvoll, Rettungskräfte zu schulen“, betont der Petershausener Tierarzt Henrik Heermann. Er hat schon solche Einsätze erlebt, „und das ist nicht immer gut ausgegangen“. Auch Mara Theisges und Charlotte Ahrens von der Universitätsklinik für Wiederkäuer in Oberschleißheim halten die gemeinsame Fortbildung für alle Beteiligten wichtig, „wir sind mit der Feuerwehrarbeit nicht vertraut, aber im Ernstfall arbeiten wir dann ja zusammen“, sagt Theisges.

Besonders wertvoll findet Jan Dotlacil von der Hebertshausener Feuerwehr die kleine Tierkunde-Einheit, die es vorab im Reitstall gab. „Wir haben zwei Pferde bekommen und durften mit ihnen spazieren gehen. Da hat man sofort gemerkt, man weiß gar nicht, wo man es halten soll. Und dass das Pferd sofort Signale von einem bekommt und überlegt: Wer ist jetzt der Herr und wer nicht“, erzählt er.

Tierärztin Mara Theisges hält noch Kontakt zu Rosinante. Ansonsten ist die Bergung geglückt.
Tierärztin Mara Theisges hält noch Kontakt zu Rosinante. Ansonsten ist die Bergung geglückt. (Foto: Alexandra Vettori)

Relativ häufig haben es Feuerwehren auch mit Rettungssituationen zu tun, bei denen Tiertransporter eine Rolle spielen, etwa nach Verkehrsunfällen. „Die meisten Hänger sind schlecht und relativ instabil“, warnt Thomas Sittinger. Entsprechend oft gibt es Probleme. Oberste Regel generell: Keiner betritt den Hänger, solange Pferd oder Kuh drin sind. Auch bei sedierten Tieren kann der Fluchtreflex unerwartet auftreten, dann sollte man nicht auf engstem Raum mit ihnen sein.

Bevor das Tier aus dem Hänger befreit wird, müsse die Straße beidseitig gesperrt werden, auch eine Autobahn, betont Sittinger: „Das gibt eine Riesen-Diskussion mit der Polizei, aber die Gefährdungslage ist einfach zu groß. Keiner hält ein panisches Pferd, und sogar eine Kuh springt über den Mittelstreifen.“

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