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Tiny Houses aus Schiffscontainern – Starnberg | ABC-Z

Drei Jahre später. Philip Michl steht in klobigen Arbeitsschuhen in einer Werkshalle in Landsberg. Es riecht nach frischem Holz, im Hintergrund heult eine Kreissäge auf. Wo normalerweise ein Schiffscontainer steht, arbeiten junge Handwerker konzentriert an Holzbalken. Späne fliegen, es ist laut. Hier entsteht gerade eine kleine Sauna, und vielleicht ja auch viel mehr.

„Contain-us“ heißt Michls Start-up, das hier in der Werkshalle alternatives Wohnen im konservativen Bayern ermöglichen soll. Und zwar in sogenannten Tiny Houses, also winzigen Häusern – allesamt aus ausrangierten Schiffscontainern. Diese bekommen in Landsberg ein zweites Leben. Mal als Kleinhaus, mal als Luxus-Sauna, mal als Mini-Kinosaal für den Garten, mal als Anbau für das bestehende Haus. Upcycling für Minimalisten.

Gebaut wird seit 2023 im Landsberger Handwerkerhof, von einem Team aus 19- bis 22-Jährigen. 350 000 Euro Umsatz hat das Start-up im vergangenen Jahr gemacht, in diesem Jahr sollen es 850 000 Euro werden. „Wir kommen nicht hinterher mit dem Produzieren“, sagt Michl, der Gründer. Die Zeichen stehen also auf Wachstum. Nur: Wie ist das möglich, in Zeiten von Nachwuchsmangel im Handwerk? Und kann das Projekt von Philip Michl ein Baustein gegen die Wohnungsnot in Bayern werden?

Michl, Zappelphilipp wie Verkäufertyp, ist mit seinen 22 Jahren schon am oberen Ende des Altersspektrums. Er denkt groß und spricht so schnell, dass man kaum mitschreiben kann. Doch die einschlägigen Stichwörter seiner Vision bleiben hängen: Gestalten, Nachhaltigkeit, Miteinander. Seine Biografie hat etwas von Steve Jobs: Studium abgebrochen, eigenes Unternehmen in der Garage gegründet. Womit man wieder beim Gartenschuppen wäre, der Keimzelle seines heutigen Unternehmertums.

Im Landsberger Handwerkerhof werden die Häusl, Saunen und Anbauten zusammengezimmert. (Foto: Arlet Ulfers)

Eigentlich, erzählt Michl, sei er kein guter Schüler gewesen. Bis er auf der Wirtschaftsschule in Bad Wörishofen landete – Buchhaltung und Bilanzen, Geldanlage und Marketing. Dort fing er Feuer. Beim Gartenhaus-Experiment merkte er: Er kann etwas schaffen, mit den eigenen Händen. Ein Gefühl, das viele junge Leute heutzutage höchstens vom Kuchenbacken oder Tiktok-Videodreh kennen. Die Welt ist eine verkopfte und akademisierte geworden, manche Eltern drängen ihre Kinder lieber ins Kommunikationswissenschaftsstudium, als dass diese am Ende mit dreckigen Händen in der Werkstatt sitzen.

Doch was gut gemeint ist, bringt die Gesellschaft in Schieflage. Tausende Lehrstellen bleiben Jahr für Jahr in den bayerischen Handwerksbetrieben unbesetzt. Und so wartet mancher Kunde Monate, auf dass sich der Wasserinstallateur zu einem Hausbesuch erbarmt. Auch Michl hat nie eine handwerkliche Ausbildung gemacht, das Projekt Gartenhütte ging er in Eigenregie an. Ohnehin, findet er, könne man sich doch mittlerweile so viel selber im Internet beibringen.

Das 15-Quadratmeter-Haus kostet 59 000 Euro

In der Werkstatt klingelt sein Handy. Beim dritten Mal schaut er auf die Nummer: „Da muss ich mal kurz ran.“ Der Jungunternehmer ist gefragt, schließlich sind die Baupreise explodiert, der Boden rar und die Menschen auf der Suche nach Alternativen. Gerade viele ältere Menschen interessieren sich für das Wohnen auf kleinem Raum zu bezahlbaren Preisen. Das 15-Quadratmeter-Haus kostet mit Lieferung 59 000 Euro, das 30-Quadratmeter-Haus 89 000 Euro, die Sauna, je nach Größe, 26 000 oder 42 000 Euro, und der zweistöckige Anbau 140 000 Euro.

Statistiken zur Zahl von Tiny Häusern in Bayern gibt es keine. Hier ein Tiny Village im Fichtelgebirge, dort ein geplantes Projekt in Erding – und versprengte Einzelpersonen, die mobil leben oder sich im Alter verkleinern wollen, während Neubauten immer teurer werden. So wachsen die Begehrlichkeiten einer Wohnform, die in Bayern vielerorts gern als Idee alternativer Spinnerter abgetan wird – wobei „Contain us“ auch auf die Nachhaltigkeit verweist. Da kommen die Schiffscontainer ins Spiel, die sie hier aus den Hamburger Reedereien auf Schienen hinunter nach Bayern bringen lassen.

Michl kommt ins Schwärmen, genau hier liegt seine Nische. Die Logik geht so: Schiffscontainer werden in Masse produziert, sind also billig und genormt. Bis zu neunfach werden sie für den internationalen Warenverkehr übereinander gestapelt, robust sind sie also auch. Auf dem freien Markt bekommt Michl so einen ausrangierten Sechs-Meter-Container für 1500 Euro, einen 12-Meter-Container für 1800 Euro. „Brutal“, befindet er – im Sinne von: superbillig. Sein mittlerweile 15-köpfiges Team aus Schreinern, Zimmerern und Elektrikern macht sich dann an die Verwandlung: So sollen aus Stahlschachteln alternative Wohnträume werden. Am Ende, erzählt Michl, stehe eine Marge von 35 bis 40 Prozent: ein Gewinn, wie ihn sonst eher Vermarkter von Luxusimmobilien kennen.

Die Tiny Houses von Contain-us sind kaum mehr als Schiffscontainer zu erkennen.
Die Tiny Houses von Contain-us sind kaum mehr als Schiffscontainer zu erkennen. (Foto: Arlet Ulfers)

Bei der Produktion wird auf regionale Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit geachtet. Die Dachbegrünungen kommen von einer lokalen Gärtnerei, die Lärchenholz-Fassade aus der Region. Kunden können ihre Vorstellungen über einen Online-Konfigurator einbringen oder individuelle Anfragen stellen: von Bienenkästen an der Fassade, über die Wärmepumpe als Heizung bis zur PV-Anlage auf dem Dach. Die meisten Kunden kommen aus der Region, aber auch aus Schwerin habe es schon eine Bestellung gegeben, schildert Michl. Die Häuser sind entweder 15 Quadratmeter oder 30 Quadratmeter klein.

Größer wird es dann auch nicht, das bayerische Baugesetz ist nicht direkt darauf ausgerichtet, Trailerparks im US-amerikanischen Stil zu fördern. Zwar sind Tiny Houses bis zu 75 Kubikmeter verfahrensfrei, solange das Häuschen im Innenbereich liegen soll. In der Praxis kommen Liebhaber minimalistischen Wohnens aber nicht am Bauamt ihrer Kommune vorbei – und diese kann je nach Wohnort mal zugewandt, mal überfordert oder ablehnend sein. Und sobald einer mehr als vier Monate im Jahr in seinem umgebauten Kasten zu leben gedenkt, greift das Gebäudeenergiegesetz mit seinen Teilregelungen zu Dämmung, Fenstern, Wärmeschutz.

Laut einer Studie fehlen in Bayern knapp 200 000 Sozialwohnungen

Bürokratie, die nicht nur die Tiny House -Szene, sondern auch Richard Michl ärgert. Der Vater von Start-up-Gründer Philip Michl ist der Bürgermeister von Windach und sympathisiert selbst mit alternativen Wohnformen, gerade im Münchner Umland. Er rechnet vor: 30 bis 35 Kinder kämen in der Kommune Jahr für Jahr zur Welt. Wenn jeder sein eigenes Einfamilienhaus haben will, „dann sind wir irgendwann in Germering“, sagt Michl Senior. „Es kann so nicht weitergehen.“

Das zeigen auch die Zahlen aus den Landkreisen Starnberg und Bad Tölz-Wolfratshausen. Im ersten Quartal 2025 lag die durchschnittliche Nettokaltmiete im Landkreis Starnberg laut einer Auswertung von Immoscout24 bei 18,79 Euro pro Quadratmeter, in Bad Tölz-Wolfratshausen bei 13,26 Euro. Laut einer Studie des Pestel-Instituts fehlen in Bayern knapp 200 000 Sozialwohnungen. Doch während in Norddeutschland mit Tiny House- und Öko-Dörfern experimentiert wird, schiebt manches bayerische Bauamt eisern unumstößliche Hindernisse vor. Die schaffen es dann schon mal bis in die BR-Wochensendung quer – inklusive eines Revoluzzer-Rentners.

Im Landsberger Frauenwald sind es die Jungen, die den Laden aufmischen. Mit aufgestemmten Armen steht Johannes David an einer kreischenden Kappsäge in der Werkshalle, er schneidet gerade ein Stück Holz für eine Sauna zurecht. Der 23-Jährige ist seit Anfang Juni einer der Festangestellten im Team. Bei der Probearbeit hatte er gemerkt: Menschlich passt es gut. Wie viele junge Menschen kennt der Schreiner starre Hierarchien und ruppige Sprüche aus seinem Ausbildungsbetrieb: dass es beim Schleifen doch keine Schutzmaske bräuchte, Schutzvorrichtungen überhaupt Kinderkram seien. Das sah er eben anders – und eckte damit an.

Johannes David schneidet Holz für den Innenausbau einer Sauna zu.
Johannes David schneidet Holz für den Innenausbau einer Sauna zu. (Foto: Arlet Ulfers)

Über Michls Bruder lernt er das Start-up Contain-us kennen, und damit eine ganz andere Handwerkerwelt. Eigene Vorschläge würden ernst genommen, berichtet er von seiner Arbeit mit dem 22-jährigen Chef und seinen beiden Mitgesellschaftern. Man arbeite nicht nur für jemanden, sondern trage selbst Verantwortung. „Das ist ein ganz anderes Arbeiten“, sagt er. Moderne Führung, die hat Philip Michl vielleicht schon als Kind in der Logistikhalle seines Vaters aufgesaugt. Es gehe um Menschlichkeit und Augenhöhe, betont Michl Senior: „Das geht heute manchmal ein bisschen verloren.“

Und so fehlt es dem Start-up nicht an Nachwuchs, der über soziale Medien oder Mund-zu-Mund-Propaganda vom jungen Team in Landsberg erfährt. Die Arbeitszeiten hingegen sind traditionell gehalten. Um 7.30 Uhr in der Früh kommen alle zur Tagesbesprechung zusammen: Wie lief der Vortag? Was ist fertig geworden, was nicht? Wer macht heute welchen Teil, wer fährt zum Kunden raus? Etwas Generation Z ist dann aber doch dabei. Auf Instagram vermarktet sich das Start-up mit schnell geschnittenen Bauvideos. Und jedes zweite Wochenende winkt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Vier-Tage-Woche.

„Er ist einer, der Vollgas gibt“, sagt Philip Michls Vater

Zumindest allen außer Gründer Philip Michl. Der arbeitet jeden Tag 15 Stunden, selbst und ständig eben. Sein Sohn, sagt Michl Senior schmunzelnd, sei halt mit einem besonderen Energielevel ausgestattet. „Er ist einer, der Vollgas gibt.“ Außer sonntags, schließlich muss auch noch Zeit zum Radeln und für die Freundin bleiben. Was nicht heißt, dass man ihn nicht auch mal telefonisch am Brückentag bei einem Fahrradevent in Italien erwischen kann. Er weiß ja: Wer wachsen will, muss liefern.

Und bei Contain-us stehen die Zeichen auf Wachstum. Die größere Halle im Gewerbegebiet ist bereits vorgemerkt, in Zukunft soll beim Start-up auch ausgebildet werden. An einem Forschungsprojekt zu Dachgräsern ist Michl dran, und aus der Schreinerei heraus soll eine Möbelmanufaktur gegründet werden: die „Wurzelschmiede“. Ein KfW-Kredit ist beantragt, auf dass das Unternehmen das nötige Kleingeld für seine großen Pläne bekommt. Er sei ein Optimist, sagt Michl. „Geht nicht, gibt’s nicht.“ Die Leute seien doch auf den Mond geflogen.

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