Vor 50 Jahren: Als Hertha BSC Vize-Meister der Fußball-Bundesliga wurde | ABC-Z

Fußball
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Als Hertha BSC Vize-Meister wurde
Sa. 14.06.25 | 08:24 Uhr | Von
Nie war Hertha BSC seit Einführung der Fußball-Bundesliga erfolgreicher als in der Saison 1974/75. Warum es vor 50 Jahren nicht zum ganz großen Wurf reichte und Wolfgang Sidkas Autoträume in Bremen leiden mussten. Von Ilja Behnisch
Vielleicht ist der Fußball auch deshalb so beliebt, weil er so schön einfache Antworten liefert. Zum Beispiel auf die Frage, ob früher alles besser war. Eindeutige Antwort: Kommt drauf an, was mit früher gemeint ist.
Schaut man zum Beispiel auf Hertha BSC, kann man trotz der aktuellen Zweitklassigkeit recht selbstbewusst behaupten, dass etwa die drittklassigen Oberliga-Jahre zwischen 1985 und 1987 noch bescheidener waren. Zehn Jahre zuvor hingegen, in der Saison 1974/75, war wirklich fast alles besser. Weil es seit Bestehen der Bundesliga nie besser wurde für die Hertha als damals, als man hinter Borussia Mönchengladbach auf Platz zwei einlief nach 34 Spieltagen.
“Gegen uns Tore zu schießen, war unglaublich schwer”
Ein Grund für den damaligen Erfolg war die immense Heimstärke der Berliner, die 15 ihrer 17 Spiele im Olympiastadion gewinnen konnten, bei zwei Remis. Ein anderer Grund war die “homogene Truppe”, wie Wolfgang Sidka sie im Rückblick nennt. Für Sidka, heute 71, war es die erste Saison als Bundesliga-Stammspieler. Fragt man ihn, wie er die Spielweise der Vizemeister-Hertha von damals heute beschreiben würde, sagt er: “Wir konnten marschieren und wir waren sehr zweikampf- und abwehrstark. Gegen uns Tore zu schießen, war unglaublich schwer. Und ein paar ganz gute Fußballer hatten wir auch drin in einer Mannschaft, die einfach gut zusammenpasste.”
Kapitän Ludwig “Luggi” Müller, Linksaußen Gerhard Grau, Mittelstürmer Lorenz Horr, Torwart Thomas Zander und Verteidiger Uwe Kliemann (“hat eine Bomben-Saison gespielt”, so Sidka) absolvierten alle 34 Spiele. Im Prinzip bestand der Kader aber auch nur aus 16 Spielern. Zum Vergleich: In der abgelaufenen Zweitliga-Saison 2024/25 hat nur Derry Scherhant in sämtlichen Liga-Spielen auf dem Platz gestanden für die Hertha, zudem kamen gleich 29 Profis zu ihren Einsatzzeiten.
Immer Regen in Bremen
Warum es für die Hertha 1974/75 nicht zum ganz großen Wurf reichte, darüber zerbrach sich der damalige Top-Torschütze Erich “Ete” Beer (11 Saisontore) auch Jahre später den Kopf. “Ja, da überleg’ ich heut’ noch”, soll er gesagt haben. Ein Grund könnte gewesen sein, dass die Mannschaft keinen ausgemachten Top-Torjäger in ihren Reihen hatte. Beer war eher offensiver Mittelfeldspieler. Im internen Ranking der erfolgreichsten Schützen folgte ihm Abwehr-Kante Kliemann (sieben Tore).
Ein weitaus triftigerer Grund könnte die leichte Auswärtsschwäche der Herthaner gewesen sein. Vier Niederlagen, vier Remis, neun Niederlagen lautete die Bilanz am Ende, was gleichbedeutend war mit Platz sechs in der Auswärtstabelle. Zufall war das nicht, so der damalige Mittelfeldspieler Wolfgang Sidka, denn “wenn wir nach Bremen gefahren sind oder Bochum, da waren wir froh, wenn wir wieder nach Hause kamen.” Vor allem an das Bremer Weserstadion, in dem er später sowohl als Spieler als auch als Co-Trainer und Trainer aktiv war, hat er lebhafte Erinnerungen: “Die Atmosphäre im Stadion, dazu die schlimmste Kabine überhaupt, komplett überheizt. Dann immer Sturm, immer Regen.”
4:1 gegen Bayern München
So wie Anfang April 1975 in Bremen, durchaus auch mit ganz persönlichen Konsequenzen für Sidka, wie er erzählt. Er habe sich seit einiger Zeit die Nase platt gedrückt gehabt am Schaufenster der Alfa-Romeo-Niederlassung auf dem Kurfürstendamm. Ein Alfa Sud sollte es sein, mit “63 PS, in Silber-Metallic mit Rallye-Streifen”. Und am besten “mit den ganz breiten Reifen”. Die aber kosteten gehörig extra, weshalb er hin und her überlegte und auch im Mannschaftskreis diskutiert habe. Vor dem Bremen-Spiel schließlich habe Kapitän “Luggi” Müller zu ihm gesagt: “Wenn wir gewinnen, kaufst du dir den mit den breiten Reifen.” “Und was haben wir? 0:4 verloren! Und ich bin mit den schmalen Reifen rumgefahren.”
Dann lacht er, natürlich, lange her. Aber Zufall war das eben alles nicht. Bremen kloppte, Bochum spielte “so ein Rollsystem, da kamen wir nicht zurecht mit.” Der Hertha-Mannschaft des Jahrgangs 1974/75 lagen die spielstarken Teams eher. Borussia Mönchengladbach, in ganz Europa berühmt für ihren Offensiv-Fußball, unterliegt in Berlin mit 1:2. Die Bayern, gespickt mit Weltmeistern und amtierender Titelträger im Europapokal der Landesmeister, werden gar mit 4:1 geschlagen.
Nach dem Fest kam das Fieber
Nach dem rauschenden Triumph jedoch erfolgt der Kater. Einen Tag später liegen gleich mehrere Herthaner mit hohem Fieber im Bett. Für Sidka geht es mit Lungenentzündung gar für eine Woche ins Krankenhaus. “Da haben wir die entscheidenden Punkte verloren”, sagt Sidka, der sich erinnert, wie er drei Wochen nach dem ersten Fieber schon wieder gespielt habe, aber “da bist du körperlich nicht fit.” Keine gute Nachricht für eine Mannschaft, die eben auch daraus Stärke bezog, “marschieren zu können.”
Und das unter einem Trainer, der gar nicht vorgesehen war. Denn eigentlich sollte Dettmar Cramer die Hertha zu Ruhm und Ehre führen. Doch als die ihm versprochenen Star-Verpflichtungen ausblieben, löste der bis dahin als Verbandstrainer tätige “Fußball-Professor” schon nach der ersten Trainingseinheit seinen Vertrag auf. Offiziell aus familiären Gründen. Nachfolger Georg Keßler wurde von der Mannschaft zunächst wohl eher mit Skepsis begrüßt. Erst eine Testspielreise nach Japan stimmte Trainer und Team aufeinander ein.
Die Mitspieler von einst, so Wolfgang Sidka, sei zuletzt zum letzten Heimspiel der Saison 2024/25 gegen Fürth zusammen gekommen. Elf, zwölf Spieler von damals seien da gewesen, so Sidka, “und das war schön”. Über den zweiten Tabellenplatz oder die verpasste Chance auf den ganz großen Wurf habe man dabei nicht geredet.
Und vielleicht ist der Fußball auch deshalb so beliebt, weil gar nicht so wichtig ist, ob es früher nun besser oder schlechter war, sondern vielmehr, dass er Menschen zusammenbringt.
Sendung: rbb24, 13.06.2025, 22 Uhr