Elisabeth Marnik: Wissenschaftskommunikation und Forschung in den USA – Gesundheit |ABC-Z

SZ: Auf einer Skala von eins bis zehn, wie verängstigt sind Forschende in den USA?
Elisabeth Marnik: Zehn. In den USA gibt es zwei Behörden, die biomedizinische Forschung finanzieren: die National Science Foundation (NSF) und das National Institute of Health (NIH). Diese Behörden verteilen Gelder an Forschende, deren Projekte zuvor von Experten positiv bewertet wurden. Die Trump-Regierung hat inzwischen für mehr als 2000 Projekte die Gelder gestrichen. Zusätzlich feuerte sie Tausende Mitarbeitende, die am Prüfungsprozess beteiligt waren. Neue Forschungsanträge werden deshalb nur sehr langsam geprüft. Die NSF fördert gar keine neuen Projekte mehr.
Welche Projekte wurden gestrichen?
Zunächst Projekte zu Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion. Aber auch andere Projekte. Es ist schwer zu sagen, nach welchen Kriterien aussortiert wird.
Einige behaupten, die Trump-Regierung will entlassene Mitarbeiter durch loyale Mitstreiter ersetzen. Projekte würden nicht mehr nach wissenschaftlicher Expertise, sondern nach politischer Agenda geprüft. Stimmen Sie zu?
Ja, das bereitet mir Sorgen. Trump ernennt Personen, die nicht unbedingt qualifiziert sind. Die Regierung möchte sicherstellen, dass die Leute in diesen Führungspositionen ihre Agenda unterstützen, unabhängig davon, ob sie wissenschaftlich fundiert ist.
Haben Sie selbst Fördermittel verloren?
Bisher nicht.
Befürchten Sie einen Brain-Drain?
Ja, und es könnte sogar noch schlimmer werden. Die Trump-Regierung plant, die Mittel für die NSF um 56 Prozent und für das NIH um etwa 40 Prozent zu kürzen. Ich sehe nicht, wie wir Forschende mit diesem Budget im Land halten können. Wir halten alle den Atem an.
Fördermittel wurden eingefroren und wieder freigegeben. Mitarbeitende entlassen und wieder eingestellt.
Chaos ist das Ziel. Es ist unmöglich, gegen alles gleichzeitig zu kämpfen. Und es lenkt ab. Manche Dinge kommen durch, ohne dass wir es merken.
Gibt es deshalb so wenig Protest?
Das ist ein Grund. Ein weiterer sind Vergeltungsmaßnahmen gegen Institutionen, die protestieren. Es gibt zwei Denkweisen: Einige glauben, dass niemand sicher ist; egal, was wir tun. Aber wir hoffen, dass wir etwas bewirken können, wenn wir unsere Meinung sagen. Andere halten sich lieber bedeckt, damit die Regierung sie nicht als Nächstes attackiert. Wenn die Menschen Angst haben, sich zu äußern, kann die Regierung ihre Agenda ohne Konsequenzen durchsetzen. Aber es gibt Proteste, und es gibt mehr Anrufe bei Abgeordneten denn je. Ich persönlich denke, dass viele von uns alles verlieren, wenn das neue Wissenschaftsbudget kommt. Jetzt können wir noch versuchen, das zu verhindern.
Sie kritisieren Trump und Kennedy Jr. offen auf Ihrem Instagram-Account. Haben Sie keine Angst?
Oh doch!
Warum machen Sie es trotzdem?
Ich fühle mich moralisch verpflichtet. Ich möchte meinen Kindern eine Zukunft ermöglichen, auf die ich stolz sein kann. Ich weiß, dass ich ein persönliches Risiko eingehe. Aber ich will nicht schweigen, ohne es versucht zu haben. Ich will nicht, dass meine Kinder in zehn Jahren sagen: „Mama, warum hast du nichts gemacht?“
Wurden Sie angegriffen?
Nicht körperlich. Aber da ich offen sage, dass ich meine Kinder impfen lasse, bekomme ich viele aggressive Kommentare. Trolle schreiben, dass ich ins Gefängnis gehöre, dass meine Kinder mir weggenommen werden sollten, dass ich eine schreckliche Mutter sei. Manche schreiben, dass sie hoffen, dass meine Kinder an einer Impfreaktion sterben. Dabei habe ich rigorose Filter eingestellt. Instagram löscht automatisch Nachrichten, die Wörter wie „töten“ oder „vergewaltigen“ enthalten. So entgehen mir vielleicht einige, aber ich brauche die Filter für meine psychische Gesundheit.
Wie gehen Sie mit dem Hass um?
Wenn ein Impfgegner seine Follower auf mich loslässt, ändere ich meine Einstellungen so, dass nur Personen, die mir seit mehr als 24 Stunden folgen, kommentieren können. Ich blockiere Personen, die mich oder meine Kinder bedrohen oder beleidigen.
:Kennedy will Publikationen in angesehenen Medizinjournalen untersagen
In einem Podcast kündigte der US-Gesundheitsminister an, dass öffentlich geförderte Forschungsvorhaben künftig nicht mehr in medizinischen Fachzeitschriften publiziert werden sollen, sondern in regierungseigenen Journalen. Wissenschaftler sind entsetzt.
Warum ist es Ihnen so wichtig, Wissenschaft zu erklären?
Ich bin in einem Haushalt von Impfgegnern und Wissenschaftsfeinden aufgewachsen. Dank großartiger Lehrer habe ich meine Liebe zur Wissenschaft entdeckt. Hinzu kommt, dass bei meinem Sohn während meiner ersten Schwangerschaft eine genetische Erkrankung diagnostiziert wurde. Als Wissenschaftlerin konnte ich die Ursachen verstehen und Fachärzte finden. Gleichzeitig sah ich in Mütter-Chatgruppen, dass andere diese Möglichkeit nicht haben. Ich habe verstanden, dass der Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen ein Privileg ist. Dann kam Covid und hat gezeigt, dass Wissenschaft uns alle betrifft. Wir müssen sie für alle verständlich machen. Für fundierte Entscheidungen.
Sie sagten, Sie seien in einem wissenschaftsfeindlichen Haushalt aufgewachsen. Was bedeutet das?
Ich wuchs in einer fundamentalistischen, christlichen Familie auf. Wir gingen fünfmal pro Woche in die Kirche. Mein Lebensziel war es, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Meine Mutter ist sehr ängstlich. Sie hatte gelesen, dass Impfungen zu Taubheit führen können. Deshalb stellte sie kritische Fragen, als sie mich das erste Mal zum Kinderarzt brachte. Der Arzt sagte nur: „Sie impfen Ihr Kind, weil ich es sage!“ Sie ging nie wieder zu einem Arzt. Sie brachte mir bei, Wissenschaft und Medizin anzuzweifeln.
Bis zur vierten Klasse bin ich auf eine öffentliche Schule gegangen. Dann durfte ich nicht mehr hin, weil meine Mutter glaubte, dass die Schule mich verderben würde. Die christliche Privatschule konnten wir uns nur teilweise leisten. Deshalb kaufte meine Oma mir ein christliches Curriculum. Ich unterrichtete mich selbst. Ich lernte, gab mir Hausaufgaben und benotete meine Arbeit, weil es niemanden sonst interessierte. Am Ende der 10. Klasse bettelte ich darum, wieder auf die öffentliche Schule gehen zu dürfen. In meiner ersten Chemiestunde in der 11. Klasse verliebte ich mich in die Wissenschaft.
Sie haben einen Blogbeitrag mit dem Titel „Science Saved Me“ veröffentlicht.
Mein Vater verließ uns sehr früh. Meine Mutter fuhr nicht Auto und hat nie gearbeitet. Ich war die Versorgerin der Familie, fuhr Auto, ging zur Uni und arbeitete 20 Stunden pro Woche. Irgendwann wurde alles zu viel. Meine Professoren ermutigten mich für meine Promotion wegzuziehen, das zwang meine Mutter, unabhängig zu werden. Ohne meine Entdeckung der Wissenschaft und ohne diese Lehrer wäre ich heute nicht, wo ich bin. Ich frage mich oft, warum ich das Glück hatte, zu entkommen …
Heute planen Sie Bildungsprogramme für benachteiligte Studenten und Schüler. Möchten Sie als Mentorin wirken?
Ja, ich möchte etwas zurückgeben. Nicht alle sollen Wissenschaftler werden. Aber ich möchte ihnen helfen zu erkennen, dass es einen Platz für sie in der Wissenschaft gibt. In der Bildung. In der Arbeitswelt. An Orten, an die sie vielleicht noch gar nicht gedacht haben. Das kann Menschenleben verändern, besonders in den ländlichen Gebieten Amerikas.