Frauennetzwerk sucht in Erding nach Lösungen für mehr Gleichberechtigung – Erding | ABC-Z

Langsam füllt sich in der Brasserie Dostojewskij der lange Tisch. Frauen unterschiedlichen Alters begrüßen sich herzlich, lachen, aber ein gemütlicher Abend wird es nicht werden. Sie sind in die Erdinger Altstadt gekommen, um sich zu informieren, zu vernetzen und Antworten zu finden, zum Beispiel auf die Frage, warum im Jahr 2025 Frauen immer noch Akzeptanz und Grenzen einfordern müssen. Warum klappt das nicht mit der kompletten Gleichberechtigung? Ein Abend zwischen Ärger, Sorgen und Zuversicht.
Mit am Tisch sitzt Julia Post, Sprecherin für Frauenpolitik der Landtags-Grünen. Sie sei auf dem Weg vom Erdinger Bahnhof gerade an einem AfD-Stand vorbeigekommen, erzählt sie. Diese Partei nehme Frauenrechte „massiv unter Beschuss“. Wenn Rechtsextreme erstarken, dann würden Frauenrechte geschwächt. „Antifeminismus ist die Einstiegsdroge in den Rechtsextremismus“, sagt Post.
Es melden sich einige Frauen zu Wort, die die Gleichberechtigung inzwischen in einer„Rückwärtsbewegung“ sehen. Es sei unverständlich, sind sich die Teilnehmerinnen einig, dass gerade nicht wenige junge Frauen wieder in traditionelle Rollen schlüpfen würden, so wie es die angeblich perfekten und sorglosen „Tradwives“ im Netz vorlebten.
Zugleich habe sich die Situation in der Arbeitswelt für Frauen nicht gravierend verbessert. Angefangen vom Gender-Pay-Gap über fehlende Kita-Plätze bis zur Tatsache, dass 60 Prozent der Frauen in Teilzeit arbeiteten: „Das ist nicht der Weg in die finanzielle Unabhängigkeit“, betont Julia Post.
Im bayerischen Landtag werde über Genderverbot „erregt diskutiert“, aber kaum über „echte Probleme“, wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Sicherheit von Frauen, erklärt die frauenpolitische Sprecherin. Frauenrecht sei ein Menschenrecht, „und das muss noch sichtbarer gemacht werden in der Öffentlichkeit“, aber auch in den Debatten über Verteilung von Haushaltsgeldern.
Nur 25 Prozent Frauen sitzen im Landtag. „Wir machen gerade eine Rolle rückwärts“, sagt eine Erdingerin. „Wir müssen mit am Tisch sitzen, im Stadtrat, im Gemeinderat oder Kreistag“, fordert Julia Post. Hier seien „alle Demokratinnen“ gefordert. Luft nach oben ist reichlich, auch in Erding. Von den 40 Stadtratsmandaten sind insgesamt nur neun an Frauen vergeben, und unter den insgesamt 26 Kommunen im Landkreis gibt es ganze drei Bürgermeisterinnen.
„Wir Frauen müssen für unsere Rechte kämpfen und unser Umfeld motivieren“, sagt Helga Stieglmeier, langjährige Stadt- und Kreisrätin sowie ehemalige frauenpolitische Sprecherin der bayerischen Grünen. Gerne auch parteiübergreifend. So sei es als gemeinsames Projekt aller Frauen im Erdinger Stadtrat gelungen, einen Safe Point für Mädchen und Frauen am Erdinger Herbstfest einzurichten. Es sei aber doch schwierig, Frauen zu finden, die sich für ein kommunales Amt bewerben wollten, sagt Lisa Schießer, Sprecherin des Erdinger Grünen-Kreisverbands, die zu dem offenen Netzwerktreffen eingeladen hatte. Vielleicht schreckten Frauen auch Berichte über Anfeindungen im Netz ab, ergänzt Julia Post. Das sieht Helga Stieglmeier anders: „Es ist auf keinen Fall so, dass ich jeden Tag Hassmails bekomme“, sagt die Grünen-Politikerin. Sie arbeite „ganz normal“ im Stadtrat, und ihr mache die Arbeit auch sehr viel Spaß, „denn ich sehe, dass ich etwas bewirken kann“.
Bei fehlender Chancengleichheit geht es mitunter um Leben und Tod
Als Steffi Irmscher-Grothen, die Leiterin des Frauenhauses im Landkreis Erding, zu erzählen beginnt, wird klar: Bei fehlender Chancengleichheit geht es mitunter um Leben und Tod. Frauen, die vor ihren gewalttätigen Männern fliehen wollten und über keine eigenen Mittel verfügten, könnten sich auch die Miete fürs Frauenhaus nicht leisten, und müssen zu ihrem Peiniger zurückkehren. „Sicherheit muss man sich leisten können“, so das Fazit von Julia Post.
Dabei werden laut Post in Bayern jedes Jahr etwa 50 000 Frauen Opfer häuslicher Gewalt. Die Zahl der Femizide habe sich innerhalb von fünf Jahren in Bayern verdoppelt, rechnet Julia Post vor. 2019 waren es in Bayern 21, zwei Jahre später wurden 40 registriert.
Mit Frauenhäusern sei Bayern schlecht ausgestattet, sagt Julia Post. Steffi Irmscher-Grothen stimmt ihr zu. Die Fördergelder reichten nicht für den Betrieb des Frauenhauses im Landkreis Erding. Zum Glück gleiche der Kreistag das Defizit aus. Zehn Prozent Eigenanteil müsse der Frauenhaus-Träger, der BRK-Kreisverband, aber selbst aufbringen. „Wir sind auf Spenden angewiesen“, so Irmscher-Grothen.
Die Fachstellen für Täterarbeit bei häuslicher Gewalt kommen der Nachfrage kaum hinterher
Es müsse noch viel mehr Präventionsarbeit geleistet werden, sind sich alle einig. Die Fachstellen für Täterarbeit bei häuslicher Gewalt seien schlecht ausgestattet und kämen der Nachfrage kaum hinterher. Wichtig sei, mit Projekten auch in den Schulen anzusetzen. Dazu bedürfe es einen Ausbau bei der Schulsozialarbeit – und hierfür brauche es wiederum mehr Geld.
Julia Post zeigt sich dennoch zuversichtlich. Hoffnung verbinde sie mit dem heuer verabschiedete Gewalthilfegesetz. Allerdings wird es mit dem Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt für Frauen und ihre Kinder noch dauern. Er tritt erst am 1. Januar 2032 in Kraft.