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Das Ruby Hotel in Florence hat einen besonderen Vibe | ABC-Z

Es ist ja nicht so, dass wir nicht gerne „Guten Morgen“ sagen, aber noch lieber schlafen wir aus. Wenn man schon einmal wegkommt von zu Hause, wo die Kinder schreien und die Steuererklärung wartet, das Bad geputzt werden muss und die ungelesenen Bücher sich stapeln, dann wollen wir auch einmal Zeit für uns haben. Ein bisschen Me-Time: sich im Bett räkeln, Musik hören, an alles und nichts denken. Wir und Kendrick Lamar nennen das „vibe“, also Stimmung. In Ruby-Hotels steht auf der Zimmerkarte, die man seit jeher zum Zeichen des elitären Ruhebedürfnisses an die Außentür hängt, statt dem biederen „Bitte nicht stören„ ein Aperçu auf den 2013 veröffentlichten Lamar-Song: „Bitch, Don’t Kill My Vibe“, hier nach den vornehmen Regeln der Hotelfachschule abgemildert zu: „Please, don’t kill my vibe“.

Der Eingangsbereich in Florence.Unternehmen

Das ist in seiner rockigen Noblesse paradigmatisch für das Ruby-Gefühl, von dem vielleicht noch nicht jeder gehört hat, das aber immer mehr Menschen zu spüren beginnen. Es ist ein Gefühl, das mit Reduktion und Rock zu tun hat. Mit Ausgelassenheit und Abenteuerlust. Das weit entfernt scheint vom altvorderen „Kunde ist König“-Denken der Nachkriegshotellerie und mehr zu tun hat mit den verschiedenen Spielarten des „Co“, das eine jüngere Generation sich zum spielerischen Erkennungszeichen auserkoren hat: Co-Working, Co-Parenting, Co-Hosting. Wer ein Ruby-Hotel betritt, der betritt nicht in erster Linie eine Schlafstätte, sondern einen Erlebnisort. Und zwar nicht im Sinne von Gadgets und Aktivitätsangeboten, sondern von der Stimmung her: Die Rezeption ist gleichzeitig Bar mit Barista-Bereich, an der man lieber einen Cocktail oder einen Flat White bestellt, als sich über den Zimmerservice zu beschweren. Den kann man trotzdem täglich in Anspruch nehmen oder im Sinne der Umwelt gegen einen Drink an der Bar eintauschen – denn wer putzt selbst schon zu Hause täglich sein Zimmer?

Tanzen und Tattoos ausdrücklich erlaubt

Die Lobby – eine Mischung aus Kaffeehaus und Creative Space, ein Ort, an dem man sich gute Gespräche sofort vorstellen kann, zugänglich, unangestrengt, belebend. Niemand fragt beim Eintreten inquisitorisch, wer man ist oder was man will, man kann sich erst einmal an einen der Tische setzen und sich das Treiben anschauen.

Die Innenausstattung ähnelt einem Bühnenbild, verschiedene Retro-Gegenstände stehen in Vitrinen, Bücher und Vinyls lehnen in den Regalen. In jeder Ruby-Lobby steht irgendwo eine E-Gitarre, die man sich tatsächlich unentgeltlich ausleihen kann. Und in jedem Zimmer gibt es einen kleinen Verstärker – das Leben ist zu kurz, um sich nicht hin und wieder für ein paar Minuten wie ein Rockstar zu fühlen.

Dazu passt, dass das Management von Ruby bei seinen Mitarbeitern Tätowierungen nicht nur toleriert, sondern aktiv fördert. Seit Juni 2022 läuft eine Anwerbungskampagne, die jedem Beschäftigten, der nach Vertragsunterzeichnung mindestens sechs Monate dabei bleibt, ein Tattoo, Piercing oder neuen Haarstyle im Wert von 500 Euro zahlt. Ziel sei es, „sich von der Masse der Arbeitgeber abzuheben und gleichzeitig zu zeigen, dass die Hotellerie nicht mehr so verstaubt ist, wie ihr Image teilweise noch ist“, sagt dazu die führende Personalverantwortliche und fügt hinzu, dass ihr Unternehmen nach Menschen suche, die „zu sich stehen und ihre Persönlichkeit zeigen wollen“. Ob sich die Persönlichkeit wirklich durch eine Tätowierung oder nicht eher durch den Augenaufschlag offenbart, sei dahingestellt – was die Kampagne vor allem ausdrückt, ist eine Unbefangenheit, die man mit dem Selbstbild einer Hotelkette nicht automatisch verbindet. Vor allem nicht mit einer deutschen.

„Ruby’s Naked and Famous“

„Kette“, so will der Münchner Ruby-Gründer Michael Struck sein kleines Hotel-Imperium auch nicht verstanden wissen. Lieber spricht er von der „Ruby-Gruppe“ oder „Ruby-Familie“. 2013, im selben Jahr, in dem Kendrick Lamar seinen „Vibe“-Song veröffentlichte, gründete er Ruby, um dem eingesessenen Hotellerie-Geschäft einen jugendlichen Punk-Punkt entgegenzusetzen. Und einen ziemlich guten Grundimpuls: Statt unübersehbar viele Angebote in Sachen Wellness, Gastronomie und Room-Service zu machen, die ein Kurzreisender sowieso nie in Anspruch nehmen kann, konzentriert sich das Angebot von Ruby auf das Wesentliche.

Es herrscht ein Pragmatismus, der anders als etwa in Motel-One-Hotels nie rein funktional wirkt. Denn der Anspruch an das Wenige, was da ist, ist durchaus hoch. Das beginnt mit der Lage der Häuser, die fast überall zentral ist, das erstreckt sich auf die Abläufe des Check-in und -out, die digital, bargeldlos und meistens in Sekundenschnelle ablaufen, und das endet bei einer gut ausgestatteten Bar, die rund um die Uhr genutzt werden kann und so vielversprechende Signature-Cocktails wie „Bea Paloma“ oder „Ruby’s Naked & Famous“ im Angebot hat. Dafür verzichtet man auf extravagante Zimmergrößen, einen Concierge-Service, üppige Fitness- und Wellness-Anlagen und ein Ganztags-Restaurant. „Lean Luxury“ nennen sie bei Ruby das Konzept, übersetzt: „schlanker Luxus“. Schlank durchaus auch im Sinne von „schlanker Taler“, denn wenn man früh genug bucht, bekommt man sein Zimmer mitunter schon für rund 100 Euro.

Rock im room: In den Zimmern des Ruby-Hotels in Florenz ist Musik drin.
Rock im room: In den Zimmern des Ruby-Hotels in Florenz ist Musik drin.Unternehmen

Auf den Namen kam der Gründer nach eigenen Angaben im Schlaf – Ruby, das drückt etwas leicht Verwegenes, lakonisch Elegantes aus, „Ruby Tuesday“, der Stones-Song kommt einem in den Sinn, die kalifornische Rotweinsorte und vielleicht auch jene gleichnamige marokkanische Geliebte des italienischen Trump-Prototypen Berlusconi. Ruby – das klingt in jedem Fall irgendwie nach sexyhafter Schlaftrunkenheit, nach aufgewühlten Laken, einem zerliebten Bett, auf dem Nachttisch steht noch ein halbvolles Cocktailglas, auf dem Boden liegt ein lederner Gürtel. Und vom Bettende hängt ein feuerrotes Band. Das gibt es in jedem Zimmer, damit werden die Betten gewissermaßen versiegelt. Eine explizit erotische Metapher also, mit der jeder, der in einem Ruby-Hotel schläft, abends ins Bett geht.

Aber nicht alles ist hier Hitze und Leidenschaft. Ruby hat auch eine ganz pragmatische Seite. Zum Beispiel in Sachen Trinkwasserversorgung: Ein schönes Glas und der Hinweis auf das trinkbare Leitungswasser ersetzen die Minibar. Statt einer Badewanne gibt es eine angenehm druckvolle Regendusche und verschiedene Duschgels mit wohlklingenden Namen: „Light Gravity“ duftet nach Bergamotte, „Soul Elixir“ mehr nach Kokosnuss – und das Zitronen-Lavendel-Haarwaschmittel stimuliert mit seinem Namen „Mad Muse“ noch einmal das Rockergefühl des Hotelgasts.

Die E-Gitarre in der Lobby steht immer zur freien Verfügung.
Die E-Gitarre in der Lobby steht immer zur freien Verfügung.Unternehmen

In jedem Ruby-Zimmer gibt es neben dem Verstärker auch einen Bluetooth-Lautsprecher, über den man entweder seine eigene Musik oder eine wöchentlich wechselnde Ruby-Playlist hören kann. Getanzt werden darf auch, solange die Nachbarn sich ähnlich beschwingt fühlen. Mitunter, so hört man, finden in Ruby-Hotels in der Lobby spontane Partys oder Klein-Gigs statt – alles andere würde einen bei einer Unterkunft mit diesem Selbstanspruch auch überraschen.

Beruhigende Wirkung im stressigen Alltag

Mittlerweile gibt es schon 20 Ruby-Hotels in 14 europäischen Städten, darunter Hamburg, München, London und Genf. Zuletzt hat ein Ruby in Florenz eröffnet, mitten an der zentralen Piazza della Libertà, wo der Verkehr von sieben Straßen und drei Alleen zusammenfließt und im Winter vor dem Triumphbogen eine riesige Eislaufbahn aufgebaut wird. Den Platz säumen herrschaftliche Gebäude im klassizistischen Stil, die durch einen majestätischen Säulengang miteinander verbunden sind. Abends sitzen die Leute unter den Arkaden, trinken Negroni und hören dem Hupen der Autos zu. Die Lage ist gut, weil auf Abstand zu dem touristischen Moloch der überfluteten Innenstadt und doch nur 15 Gehminuten vom Zentrum entfernt.

Gleich links, nachdem man das florentinische Ruby durch einen von Zierzypressen gesäumten Eingang betreten hat, zieht eine kleine Bibliothek die Aufmerksamkeit auf sich. Einen alten Kamin umrahmend, stehen dort historisch eingebundene Bücher im Regal – mehr zur Zierde als wirklich zerlesen zu sein, aber die Chance böte sich eben doch: den späteren Abend in einem der blauen Sessel mit einem „Italo Smash“ in der Hand und einem Leopardi-Buch auf dem Schoß zu verbringen. Allzu viele Gäste haben das wohl bisher nicht getan, der Parkettboden ist jedenfalls noch ohne Gebrauchsspuren und auch die „Leonardo“-Bildbände liegen noch unbenutzt auf dem kühlen Travertin des Lesetischs. Aber allein für die Stimmung tut so eine Bibliothek viel Gutes, sie hat einen beruhigenden Effekt auf das wankelnde Gemüt: Man schläft oben einfach besser im Wissen darum, dass unten die ganze Nacht eine Leselampe brennt.

Die Treppen, die zu den schönsten Zimmern des Hotels oben unter dem Dach führen, sind aus Marmor. Nichts Ungewöhnliches für Italien und doch für den deutschen Provinzgeschmack jedes Mal eine kleine Offenbarung, wie schlicht und selbstbewusst Schönheit wirken kann. Wer käme auf die Idee zu fragen, was der Marmor wärmetechnisch bringe, welche Dämmrichtlinien damit erfüllt würden? Der Marmor strahlt etwas Erhabenes, vom Zeitenlauf Enthobenes aus – wie eine Kerze, die in einer Kirche angezündet wird. Wer würde da die Frage wagen: wozu?

Wer ins Ruby geht, verspürt die Lust

Im Zimmer setzt sich die spielerische Theaterstimmung aus der Lobby fort. Neben dem großen Bett mit seinen Oversize-Kissen gibt es mehrere Schalter, um das Licht je nach Stimmungslage zu dimmen. Der Spiegel im Bad ist mit seinen vielen Glühbirnen einem Schminkspiegel aus der Garderobe nachempfunden. Auch über dem Bett hängen verschiedene Spiegel, deren Funktion sich nicht sofort erschließt: Geht es ihnen um eine implizite Aufforderung, seine geheimen sexuellen Phantasien auszuleben? Oder darum, das durchs Deckenfenster einfallende Sonnenlicht auf möglichst virtuose Weise zu brechen? Am Ende ist das gar hochangesagte Gegenwartskunst, die man aus Mangel an Szenekenntnis wieder einmal nicht richtig erkannt hat.

Der Schlaf unter Spiegeln hat jedenfalls einen ähnlichen Thrill wie der unter Uhren – man fühlt sich von fremden Augen beobachtet und in eine andere Welt verführt. Eine Welt, in der die Musik einfach etwas lauter aufgedreht wird, damit die Nachbarn sich ungezwungen lieben können, eine Welt, in der die Nächte aufregender sind als die Tage, eine Welt, die ihre Zeit nicht in Stunden, sondern in Elvis-Songs rechnet: Ruby, das ist das Gegenteil zu Motel One. Das ist nicht praktische Ausstattung, sondern verträumte Einladung. Das ist Konzentration auf das wilde Wesentliche.

Wer ins Ruby geht, gehört zu einer Generation, die ihre Identität nicht von der Lebenslänge, sondern von der Lebenslust herleitet. Wer ins Ruby geht, geht einen kleinen Schritt vom Wege. Der fühlt sich ein bisschen freier, ein bisschen rockiger als sonst.

Da ist schon etwas gelungen, das mehr ist als eine weitere Hotelkette mit noch üppigerem Frühstücksbuffet. Ruby, das ist auch eine Metapher auf das, was zu vielen gerade zu dringend fehlt: die Lust, in Stimmung zu kommen.

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