Influencer-Boom: Vor allem viel Papierkram | ABC-Z

Instagram, Youtube und Co
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Fulltimejob Influencer: Mehr Arbeit als nur Grilltipps verteilen
Do 18.09.25 | 06:24 Uhr | Von
Immer mehr Menschen verdienen ihr Geld vor der Kamera als Influencer:in. Was leicht aussieht, ist oft ein Fulltimejob, noch dazu mit aufwändiger Buchhaltung. Ein Praxisbericht von C. Rubarth und H. Daehler
Klaus Glaetzner wuchtet das riesengroße Stück Tomahawk-Steak auf einen von rund 20 Grills, die in seinem Garten in der Nähe von Bad Freienwalde nahe an der Grenze zu Polen stehen. Seine Frau filmt ihn dabei, wie er das Stück Fleisch samt Knochen wendet. Öl spritzt, gelb-rote Flammen steigen auf. Bis zu 1.5 Millionen Menschen schauen sich die Videos des 49-Jährigen auf dessen Youtube-Kanal an. Naheliegender Titel: “Klaus grillt”.
Im Kosmetikstudio ihrer Mutter in Weißensee baut Jeannine Langen währenddessen ihr Ringlicht auf, steckt ihr Handy hinein, drückt auf den Record-Knopf. “Leute, ich habe noch nichts gegessen heute,” spricht sie direkt in die Kamera, “aber ihr wisst ja, ich habe immer was in petto.” Gleich wird sie eine Packung voll mit weinroten Fruchtschnüren öffnen, den niedrigen Zuckergehalt anpreisen und reinbeißen.
Auf ihrem Handy schneidet sie die kurzen Aufnahmen noch kürzer, setzt Texte drauf, verlinkt den Shop, über den ihre Zuschauer:innen mit ihrem Code “Jeannine15” 15 Prozent Rabatt bekommen. “Wenn die Firma sieht, dass durch meine Empfehlung auf Instagram Umsätze oder Käufe generiert werden, buchen sie mich weiter.”

Immer mehr Geld für Influencer:innen
Klaus Glaetzner und Jeannine Langen sind Influencer:innen und machen Geld, indem sie sich mit Produkten filmen oder filmen lassen.
Diese Art von Werbung mit Hilfe von Influencer:innen hat in den vergangenen Jahren rasant an Bedeutung gewonnen. Laut dem Statistikportal Statista, das Daten von Markt- und Meinungsforschungsinstituten auswertet, sollen die Ausgaben für Influencerwerbung in Deutschland im Jahr 2025 bisher 827,7 Millionen Euro betragen.
Das ist fast viermal so viel, wie noch 2019 (217,71 Millionen Euro). Eingeflossen in die Berechnung ist dabei nur das Geld, das Influencer:innen direkt gezahlt wurde, nicht aber der Wert von Geschenken, die Influencer:innen zu Werbezwecken zugesandt wurden.
Mit den Followerzahlen steigen die Einnahmen
Den Kanal “Klaus grillt” gibt es schon seit rund elf Jahren. Mit seinen 475.000 Abonnent:innen und vielen Kooperationspartner:innen aus dem Grillbereich kann Klaus gut davon leben. “Ich bin YouTuber geworden, weil ich immer Spaß am Grillen hatte”, sagt Glaetzner, “YouTube war damals noch nicht ganz so groß, aber das hat mich interessiert, es gab noch nicht so viele Videos. Da dachte ich: ‘Mensch, das kann ich mindestens genauso.”
“Ich war schon immer kamerageil”, sagt die 33-jährige Jeannine Langen, “ich habe mich gerne präsentiert und stand auch gerne im Mittelpunkt.” Maskenbildnerin wollte sie eigentlich werden, fing dann aber bei ihrer Mutter im Kosmetiksalon an.
Als ihre Followerzahlen mit Storys auf Instagram über wachsenden Babybauch und Heiratsantrag wuchsen, sah sie Potenzial. Mit jetzt gut 35.000 Follower:innen auf Instagram steht sie eher am Anfang ihrer Social Media-Karriere.
GenZ besonders stark vertreten
In Berlin gibt es nach einer Auswertung der Influenceragentur Netzschreiber 27 Influencer:innen pro 1.000 Einwohner:innen. 98.000 Menschen verdienen hier mit dieser Arbeit Geld. In Brandenburg sind es nach der gleichen Quelle 34.000, das entspricht 13,3 pro 1.000 Einwohner:innen. Für die Auswertung wurden Instagram-Accounts mit mindestens 1.000 Follower:innen berücksichtigt
Nach Einschätzung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft von 2022 können Influencer:innen erst ab einer Followerzahl von mindestens 20.000, eher noch 100.000, ihren Lebensunterhalt bestreiten. Vor allem sind es junge Erwachsene der sogenannten Gen Z – zwischen 18 und 26 Jahre alt -, die ihr Geld in Vollzeit als Content Creator:innen verdienen. Nach einer Umfrage von YouGovDeutschland sind das bereits sechs Prozent in ihrer Altersklasse.
Nicht Hobby, sondern Fulltimejob
Klaus Glaetzner hat neben dem Outdoor-Grillplatz auch noch einen Indoor-Grillbereich, dort drehen er und seine Frau die Grillvideos im Winter – drei bis vier Videos pro Woche, fast immer Fleisch, ganz selten Gemüse.
Was vor der Kamera nach Spaß und Hobby aussieht, ist ein Fulltimejob. Influencer:innen müssen engen Kontakt zu Firmen und Kooperationspartner:innen halten, damit Geld reinkommt. Acht bis zehn Stunden sei er pro Tag Unternehmer, nicht Grillmeister, sagt Glaetzner: “YouTube ist nur eine Einnahmequelle, wir müssen Instagram und Facebook bespielen, Kommentare beantworten, Videos fertig machen, mit Mitarbeitern sprechen, uns um die Steuer kümmern.” Denn jede Grillzange, die ihm zugeschickt wird, muss er auflisten, und erklären, wie und wie lange er sie nutzt. Das ist viel Papierkram.
Junge Influencer:innen mit Steuer oft überfordert
Das Thema Steuererklärung ist für Influencer:innen generell kompliziert. Hilfe kriegen sie von Business Coach Simone Bernet, die bei neuen Klient:innen oft Wissenslücken feststellt: “Die merken gar nicht, dass sie Geld verdienen, wenn sie von einem Auftraggeber ein neues Handy bekommen, also quasi Sachzuwendungen.” Dadurch würden die Influencer:innen automatisch in eine Selbstständigkeit geraten, in der sie Einkommenssteuer und ein Gewerbe anmelden müssten.
Gerade junge Leute seien oft überfordert mit den Feinheiten des deutschen Steuerrechts und gerieten schnell in Konflikt mit den Behörden, wo das Berufsbild der Content-Creator:innen noch nicht so bekannt sei: “Die Arbeitsagentur denkt, wenn sich jemand selbstständig macht, reichen zehn Stunden Beratung.“ Bernet wünscht sich von Behörden mehr Unterstützung für das Berufsbild Selbstständigkeit.
Steuerprüfung trotz Steuerberater
Einen Steuerberater hat Klaus Glaetzner seit Beginn an seiner Seite. Trotzdem kamen zwei Steuerprüferinnen des Finanzamts vorbei. “Die haben auch was gefunden”, sagt der Brandenburger. “Weil wir einen Raum für die Aktenablage abgesetzt haben, in dem ich auch Sportgeräte zwischengelagert habe, hat das Finanzamt gesagt: private Nutzung. Da könnte ich mich übers Finanzamt aufregen, aber sie haben Recht.” Eine niedrige fünfstellige Summe wird jetzt wohl nachträglich fällig.
Auch Jeannine Langen hat sich Hilfe geholt, damit nichts schief geht. Ihr Manager Sven Riegel berät sie auch in Steuerfragen. “Was halt alle Influencer:innen falsch machen”, sagt er, “ist viele Produkte annehmen, die alle registriert sind und wenn dann die Gegenprüfung kommt, dann kommt der große Fauxpas.”
Laut den Finanzverwaltungen von Berlin und Brandenburg existieren keine belastbaren Zahlen darüber, wie viele Steuernachzahlungen und Steuerprüfungen es im Bereich Social Media und Influencer:innen gibt. Die würden nach den bundeseinheitlichen Statistikgrundsätzen nicht einzeln ausgewiesen.
Reaktionen und Views sind die Währung
Auf Jeannine Langens Fruchtschnüre-Storys auf Instagram reagieren ein paar Leute jetzt mit fliegenden Herzen. Es könnten mehr Views sein, also mehr Menschen, die die Story gesehen haben. Denn die sind relevant für die Auftrag- also Geldgeber.
In der Nähe von Bad Freienwalde schneidet Klaus Glaetzner das Steak in finderdicke Scheiben, streut etwas grobes Salz drauf und schiebt sich eine Scheibe in den Mund. “Steuerlich unbedenklich”, sagt er. “Ich muss das ja essen, es ist Teil der Show.”
Sendung: Abendschau, 18.09.2025, 19:30 Uhr















