News

Schon am ersten Tag spült Merz seine harte Wende weich | ABC-Z

Friedrich Merz ist noch weit entfernt davon, zum Kanzler gewählt zu werden. Da entscheidet er sich schon für ein gewagtes Manöver. Er braucht Geld.

Friedrich Merz hat ein „außergewöhnlich gutes Wahlergebnis“ erzielt. Nun gut – von Olaf Scholz war man das gewohnt, die eigene Leistung in galaktische Dimensionen auszudehnen. Dass der nächste Bundeskanzler schon vor seiner Wahl zum Regierungschef gleichfalls damit anfängt – damit konnte man nicht unbedingt rechnen. 

13.435 von gut 60 Millionen Wahlberechtigten – Merz ist haarscharf an der faktischen Unregierbarkeit vorbeigeschlittert. Er hat unfassbares Glück gehabt. 

Merz plant zwei „Wenden“: Man muss skeptisch sein

Denn dann hätten neben der Arbeiterpartei von anno dazumal auch noch die Grünen mitregiert. Und damit eine zunehmend übellaunige Zeitgeistlinke, welcher der Zeitgeist längst enteilt ist. Von den beiden Zentral-„Wenden“, die Merz ankündigte, Asyl und Wirtschaft, wäre nichts übrig geblieben. 

Die gerade an den Wählern gescheiterte Sozialdemokratie flieht in die Wählerbeschimpfung und rettet sich in die personelle Kontinuität ihrer Misserfolge. Die beiden Parteivorsitzenden, mit hauptverantwortlich für das historisch miese Abschneiden der ältesten Partei Deutschlands, wollen bleiben, was sie sind. 

Das trifft auf Saskia Esken zu. Oder sie wollen ihre Macht gleich mehr als verdoppeln – das steckt hinter der Arbeitsplatzbeschreibung von Lars Klingbeil, der an diesem Mittwoch von Rolf Mützenich die Steuerung der Parlamentsfraktion übernehmen will – zusätzlich zum Parteivorsitz. 

Klingbeil schafft sich die Option auf die nächste Kanzlerkandidatur

Garniert mit seinem Satz vom nötigen „Generationenwechsel“ bedeutet dies, dass Klingbeil sich die Option schafft auf die nächste Kanzlerkandidatur. Denn Boris Pistorius, der einzige Sozialdemokrat, der aufgrund seines außergewöhnlichen Rückhalts bei Wählern Merz hätte gefährlich werden können, ist beim nächsten Mal, falls dieses nächste Mal in vier Jahren stattfindet, ein Oldie im Rentenalter. 

Esken nennt das Wahlergebnis, gemeint ist das Rekord-Abschneiden der AfD, „bitter für das Land“. Die SPD-Vorsitzende, eine leidenschaftliche „Kämpferin gegen rechts“, behauptet allen Ernstes, jetzt überlege das migrantische Bevölkerungsdrittel, „ob in diesem Land noch Platz für sie ist“. Was für ein „Tünkram“. 

Denn: Mit ihrem Antifa-Wahlkampf hat die SPD nichts gerissen, außer die Zielmarke zum Negativrekord. Deutschlands Arbeiterpartei heißt jetzt AfD. Dazu kam von der SPD am Tag danach: nichts.  

Die zwei psychologischen Tricks der SPD

Nichts hat die SPD gleichwohl weniger im Sinn, als sich Merz zu unterwerfen. Im Gegenteil: Sie baut schon einmal an der Leiter, die sie zur doppelt so starken Union dennoch auf Augenhöhe bringen soll. Das macht sie mit zwei psychologischen Tricks: 

Der erste: Sie nimmt ihrem eigenen Regierungseintritt die Selbstverständlichkeit. Die Schuld dafür schiebt sie Merz in die Schuhe. Die AfD-Stimmen für den Migrationsantrag der Union lassen sich auch noch in der neuen Konstellation bestens ausschlachten. Klingbeil sagt: „Ob die SPD in eine Regierung eintritt, steht nicht fest.“ 

Und er sagt noch mehr: „Wenn ich mir manche Äußerungen von Friedrich Merz anschaue, dann hat das die Gräben zur SPD tiefer gemacht.“ 

Damit klebt die SPD an die „linken Spinner“, mit denen Merz Demonstranten „gegen rechts“ bedachte, ein Preisschild. Der Preis könnte etwa so aussehen, dass die linke „Antifa“ Teil auch der Regierung Merz bleibt. Dass Merz den ganzen Demokratie-Rettungs-NGOs die staatlichen Geldquellen abdrehen will, haben wir noch nicht vernommen. 

Mit der SPD-Basis stellt Klingbeil ein Damoklesschwert auf

Klingbeils zweiter Trick: Er knüpft den Regierungseintritt an die Zustimmung der sozialdemokratischen Basis. Was so nett nach Basis-Demokratie klingt, ist in Wahrheit ein vorweggenommenes Basis-Diktat.  

Mit der SPD-Basis stellt Klingbeil jetzt schon mal ein Damoklesschwert auf, unter das er den nächsten Bundeskanzler legen will. Praktisch geht das so: Sagt Merz „Grenzkontrollen“, erwidert Klingbeil: Leider nicht – Du weißt doch, meine Basis … 

Merz selbst baut auch schon einmal vor. So entschieden wie im Wahlkampf klingt der Kanzlerkandidat der Union schon einen Tag nach der Wahl nicht mehr. Noch im letzten Aufeinandertreffen mit Scholz hatte Merz eine Bastion geräumt beim zentralen Thema – der Migrationspolitik. 

Merz selbst sozialdemokratisiert die Migrationswende

Nun füllte er gleich noch zwei Mal Weichspüler nach. Und sagt: „Niemand von uns will die Grenzen schließen.“ Im Wahlkampf hörte sich das noch ganz anders an, also: völlig anders. Nämlich so: 

„Es wird ein faktisches Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland für alle geben, die nicht über gültige Einreisedokumente verfügen.“ 

Damit nicht genug: Die Grenzkontrollen, die Merz im Wahlkampf als Dauereinrichtung verlangt hatte, will er als Bundeskanzler nur noch „auf Zeit“ beschließen lassen. Womit er einem wesentlichen Einwand der SPD – von Scholz und dessen Innenministerin Nancy Faeser – als CDU-Mensch entgegenkommt. Was hier gerade passiert? 

Merz selbst sozialdemokratisiert schon einmal die Migrationswende, noch bevor die Sozialdemokraten in seiner Regierung sind. Ähnliches zeichnet sich auch auf anderem „Spielfeld“ ab. 

Schuldenbremse: Merz verschiebt das Sparen ins Reich der schönen Theorie

Nächster Punkt sind die Finanzen, genauer: die Schuldenbremse. Im Wahlkampf hat Merz versprochen, sie für den Bund unbedingt einhalten zu wollen. Geld sei schließlich genug da – eine Billion nämlich. Fragen nach der Finanzierung von Deutschlands Sicherheit hatte Merz weggekehrt. 

Nun, in Turbo-Geschwindigkeit, gerät die Schwiemelei an ihr Ende. Denn grundsätzlich gilt: Eine Regierung, die für die äußere Sicherheit frisches Geld mobilisieren will, muss entweder anderswo sparen oder die Schuldenbremse abschaffen. 

Er wolle darüber mit SPD und Grünen und FDP reden. Wie das ausgeht, ist jetzt schon klar: Da es auf die Stimmen der FDP nicht ankommt und Grüne und SPD lange schon neue Schulden fordern, kann Merz seine Speed-Grundgesetzänderung haben. 

Was für ein „Move“ – gleich am ersten Tag nach der Bundestagswahl

Argumentativ bedarf es dazu einiger Verrenkungen. Von der Regierung Scholz verlangt Merz, bloß keine neuen Fakten mehr zu schaffen – zu seinen Lasten. Wenn der Bundestag die aber schafft – zu seinen Gunsten – dann hat Merz nichts dagegen. 

Was für ein „Move“ – gleich am ersten Tag nach der Bundestagswahl. Vorgeschlagen haben dieses Manöver zwei Spitzengrüne – Cem Özdemir, der in Baden-Württemberg Ministerpräsident werden will. Und Robert Habeck, der Bundeskanzler werden wollte. 

Zurück zu den Schulden. Zur Erinnerung: Ein wesentliches Hindernis für neue nationale Schulden hat schon Ursula von der Leyen aus dem Weg geräumt, die Parteifreundin von Merz. Sie will für neue Verteidigungs-Schulden eine Ausnahme von den Maastrichter Schuldenregeln schaffen. 

Temperament trifft Wirklichkeit – auch in der Außenpolitik mit Trump

Auch in der Außenpolitik hat Merz ein allzu burschikoses Zitat schon einen Tag danach wieder einzufangen versucht. Unmittelbar nach der Wahl hatte Merz eine der wesentlichsten außenpolitischen Fragen, die nach dem künftigen Verhältnis Deutschlands zu den USA, noch so beantwortet: 

„Absolute Priorität“ habe für ihn, so schnell wie möglich Europa so zu stärken, „dass wir Schritt für Schritt auch wirklich Unabhängigkeit erreichen von den USA“. 

Wie bitte? Ein christdemokratischer Bundeskanzler, ein Nachfolger Konrad Adenauers und Helmut Kohls, der sich für ein sicherheitspolitisches „Decoupling“ vom wichtigsten Verbündeten verabschieden will? 

An diesem Montag, befragt von mehreren amerikanischen Journalisten, hörte sich das dann schon wieder anders an. Merz: „Ich hoffe, dass wir die Amerikaner von guten transatlantischen Beziehungen überzeugen können.“ Und: Die USA seien ein „wichtiger Teil der Nato“. 

Augenscheinlich hat Merz begonnen, die Grauzone zwischen seinem flotten Temperament und der zähen Wirklichkeit neu zu vermessen. Vermutlich gewinnt die Wirklichkeit. 

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"