Stalin spottete – doch Johannes Paul II., Franziskus & Co. überraschten | ABC-Z

Rom. Leo XIV. könnte eine Rolle im Ukraine-Krieg spielen. Manche hoffen darauf. Er wäre nicht der erste Papst, der sich diplomatisch betätigt.
Nach Aussage von Winston Churchill soll Stalin einmal höhnisch gefragt haben: „Wie viele Divisionen hat der Papst?“. Der sowjetische Diktator wollte damit zum Ausdruck bringen, dass ein Papst weder militärische Macht noch wirtschaftliches Gewicht habe, und sprach diesem jegliche außenpolitische Beachtung aus Sicht der Sowjetunion ab. Heute, 90 Jahre später, gibt es schon lange keine Sowjetunion mehr – der Papst herrscht aber weiterhin auch ohne die Hilfe von Panzerkolonnen im Vatikan.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Die moralische Autorität des Pontifex ist nach wie vor groß: Der neue Papst Leo XIV. könnte sogar bald eine relevante Rolle als Friedensstifter im Ukraine-Konflikt spielen. Nachdem US-Präsident Donald Trump erklärt hat, der Vatikan könne als Austragungsort für Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine dienen, fragen sich viele, ob der Heilige Vater tatsächlich einen Durchbruch bei den Friedensgesprächen erzielen könnte. Sollte es der erste US-Papst in der Kirchengeschichte schaffen, alle Konfliktparteien an den Verhandlungstisch zu bringen? Dies wäre jedenfalls nicht das erste Mal, dass der Vatikan den Diplomaten spielt.
Papst als Friedensstifter: Dieser Pontifex etablierte den Heiligen Stuhl als Vermittler
Ein Blick in die Geschichte gibt Anlass zu Hoffnung. Im Laufe der Jahrhunderte konnte der Vatikan, der dank der Lateranverträge seit 1929 ein unabhängiger Staat ist, mehrere diplomatische Erfolge erzielen. Als italienische Truppen 1870 Rom eroberten, verlor der Vatikan seine weltliche Macht. Seitdem verfügt der Papst über kein relevantes Territorium mehr, sondern nur noch über geistliche Macht – aber damit lässt sich auch einiges erreichen. Dies geschieht ohne Waffen, nur mit diplomatischem Geschick, Neutralität und vor allem moralischer Autorität.
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Ein gutes Beispiel ist Papst Leo XIII., von dem sich der neugewählte Papst Leo XIV. inspiriert fühlt. Sein Pontifikat dauerte 25 Jahre lang, von 1878 bis zu seinem Tod im Jahr 1904. Er etablierte den Heiligen Stuhl als Vermittler in internationalen Konflikten, zum Beispiel zwischen dem Deutschen Reich unter Reichskanzler Otto von Bismarck und dem Königreich Spanien. Der Einsatz gegen die Sklaverei und für die Arbeiterschaft trugen zum Prestige des Papsttums bei.
Papst Benedikt XV: „Soll die zivilisierte Welt nur noch ein Leichenfeld sein?“
Das politische Erbe von Leo XIII. wurde vom Weltkriegspapst Benedikt XV. weiterentwickelt. Dieser wahrte strenge Neutralität gegenüber allen Kriegsparteien, verurteilte den Krieg als „unnützes Blutvergießen“ und organisierte humanitäre Aktivitäten – zum Beispiel einen Vermissten-Suchdienst. Kaum bekannt ist sein Protest gegen den Genozid an den Armeniern im Jahr 1915. Seine berühmte Friedensnote vom 1. August 1917 war ein verzweifelter, aber erfolgloser Versuch, den Ersten Weltkrieg zu beenden. „Soll denn die zivilisierte Welt nur noch ein Leichenfeld sein?“, fragte er in seinem Schreiben, nachdem die Deutschen in Flandern erstmals ätzendes Senfgas eingesetzt hatten.

Papst Benedikt XV.: Pontifikat im Weltkrieg.
© IMAGO/Gemini Collection | IMAGO stock
Ein weiteres Beispiel für den Einfluss eines Papstes auf die Weltpolitik ist Johannes Paul II. Sein Besuch in seinem Heimatland Polen im Juni 1979, weniger als ein Jahr nach seiner Wahl zum Papst, löste in der streng katholischen Bevölkerung eine beispiellose Welle der Emotionen aus. Von Moskau aus wurde die Papst-Reise mit Argwohn beobachtet. Das kommunistische Regime befürchtete, der Papst würde „antisozialistische Aktivitäten der reaktionären Geistlichkeit in Polen“ fördern, wie die polnische Regierung damals äußerte.
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1980 begann die polnische Gewerkschaft Solidarność mit Streiks, die sich über das ganze Land ausbreiteten. Johannes Paul II. pflegte gute Kontakte zum Gewerkschaftsführer Lech Wałęsa und empfing ihn 1981 im Vatikan. Im folgenden Jahr besuchte US-Präsident Ronald Reagan, der Solidarność unterstützte, den Papst. Insider sprachen damals von einer „Heiligen Allianz gegen den Kommunismus“. Johannes Paul II. stand auch in häufigem Kontakt mit dem polnischen Ministerpräsidenten, General Wojciech Jaruzelski. Dieser erklärte später während der zweiten Reise des Papstes nach Polen im Juni 1983, er sei vom Charisma und der Moral des Papstes beeindruckt gewesen.

Papst Johannes Paul II. 1979 im polnischen Tschenstochau: „Heilige Allianz gegen den Kommunismus“.
© DPA Images | dpa
Franziskus half bei den Beziehungen zwischen Kuba und den USA
Johannes Paul II. erzielte nicht nur in seiner Heimat diplomatische Erfolge. In Südamerika kam es zwischen Argentinien und Chile zu einem Territorialkonflikt um die Inseln des Beagle-Kanals. Im Jahr 1978 wäre es beinahe zu einem Krieg gekommen, doch der neu ernannte Papst konnte ihn gerade noch verhindern. Dies gelang ihm dank des päpstlichen Nuntius in Argentinien, Pio Laghi, und vor allem dank Kardinal Antonio Samorè, den er zum Vermittler im Konflikt ernannte. Obwohl beide Geistlichen inzwischen verstorben waren, wurde im November 1984 im Vatikan der sogenannte Friedens- und Freundschaftsvertrag zwischen den beiden südamerikanischen Ländern unterzeichnet.
Auch der im April verstorbene Papst Franziskus betätigte sich auf diesem Feld. Er trug zur Wiederherstellung diplomatischer Beziehungen zwischen den USA und Kuba bei. Seit der kubanischen Revolution im Jahr 1959 und den darauffolgenden US-Embargos herrschten zwischen den beiden Ländern seit Jahrzehnten erhebliche Spannungen. Papst Franziskus plädierte für eine Neuaufnahme der Beziehungen zwischen den beiden Ländern und rief in Briefen sowohl US-Präsident Barack Obama als auch den kubanischen Präsidenten Raúl Castro zu Dialog und Versöhnung auf. Der südamerikanische Hintergrund des argentinischen Papstes half ihm, Vertrauen zu gewinnen. Delegationen beider Länder trafen sich im Vatikan zu geheimen Gesprächen. Ein entscheidendes Treffen fand im Oktober 2014 statt.

Papst trifft Kommunist: Franziskus im Gespräch mit Fidel Castro.
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Am 17. Dezember 2014 verkündeten Obama und Castro gleichzeitig die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern und dankten Papst Franziskus öffentlich für seine Vermittlung. Bereits Papst Johannes XXIII. hatte während der Kubakrise 1962 dazu beigetragen, dass sich die Präsidenten der USA und der Sowjetunion, John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow, aus der weltpolitischen Konfrontation herausmanövrieren konnten.