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Berufspendler als Helfer: Trend geht zur Zweitfeuerwehr | ABC-Z

Kevin Schubach steht mit seinen 33 Jahren für die junge Generation von Feuerwehrleuten. In Eichelsdorf aufgewachsen, hilft er seit vielen Jahren als ehrenamtlicher Brandschützer und Retter in diesem Stadtteil von Nidda. Wie aber viele andere jüngere Feuerwehrleute kennt der groß gewachsene Mann mit den kurz geschnittenen dunklen Haaren das Leben als Berufspendler. Und die Folgen für die Einsatzbereitschaft von Feuerwehren vom Morgen bis in den Abend hinein.

Jahrelang hat Schubach für den Wetteraukreis in Friedberg gearbeitet. Ging zu Hause in Eichelsdorf der Alarm los, brauchte er gar nicht erst von seinem Arbeitsplatz zu seinem Auto zu eilen. Mit dem Auto dauert die Fahrt von Nidda in die Kreisstadt eine gute halbe Stunde – viel zu lang, um daheim rechtzeitig in voller Montur an einen Einsatzort zu gelangen. So stand er nach seinen Worten schlicht nicht zu Verfügung, wenn tagsüber ein Haus brannte oder jemand nach einem Unfall aus einem Wagen gerettet werden musste. Mittlerweile kann er aber nicht nur nachts wieder tatkräftig in Nidda mithelfen.

38 von 1100 Einwohnern aktiv bei der Wehr

Denn seit dem vergangenen Jahr leitet er die Abteilung Brandschutz im Rathaus seiner Heimatstadt. Zudem hat er das Ehrenamt des Stadtbrandinspektors inne. „Wegen der tendenziell sinkenden Einsatzbereitschaft von ehrenamtlichen Feuerwehrleuten am Tag ist das Hauptamt stärker gefragt“, sagt er. Wie ihm geht es etwa auch Christian Veitenhansl in Butzbach. Stand er viele Jahre bei der Frankfurter Berufsfeuerwehr in Diensten, so kümmert sich der Stadtbrandin­spektor hauptberuflich im Rathaus um Feuerwehr und Bevölkerungsschutz. An Einsätze in Butzbach brauchte er ebenfalls nicht zu denken, wenn er am Main war. Und wie Schubach muss er die Einsatzpläne für den Tagesalarm zusammenpuzzeln.

Niddas Stadtbrandinspektor kann grundsätzlich nicht über einen Mangel an Feuerwehrleuten klagen. Im Gegenteil: 410 Einsatzkräfte leben nach seinen Worten in den 18 Stadtteilen verteilt. In Eichelsdorf seien es 38 bei 1100 Einwohnern – „das ist ganz gut“. Jährlich gewinne die Feuerwehr in Nidda 25 junge Helferinnen und Helfer durch die Jugendarbeit. Die Jugendfeuerwehren sind die wichtigste Nachwuchsquelle. 71 Prozent der Feuerwehrleute am Ort haben sich einer Umfrage zufolge von klein auf mit den Aufgaben der Retter vertraut gemacht. Und zuletzt sei der Großteil der Neuzugänge weiblich gewesen.

Verschärfte Lage durch Fabrikschließung

Die Umfrage brachte aber auch eine andere Erkenntnis. Demnach stehen beruflich bedingt nur 70 der 410 Männer und Frauen tagsüber regelmäßig zur Verfügung. „Die Hälfte unserer Einsatzkräfte arbeitet zehn Kilometer oder weiter von Nidda entfernt“, berichtet Schubach. Aber selbst bei knapp zehn Kilometern sei es nicht einfach zu bewältigen, zuverlässig unter der Woche von acht bis 18 Uhr für den Tagesalarm bereitzustehen. In den vergangenen Monaten kam ein Ereignis erschwerend hinzu: Der Eigentümer ließ die Spezialpapier-Fabrik im Stadtteil Ober-Schmitten in die Insolvenz rutschen und gab sie auf. Der traditionsreiche, aber Verluste erwirtschaftende Betrieb wurde geschlossen. „Dort hatten wir auch tagsüber immer eine schlagkräftige Feuerwehr, jetzt ist das nicht mehr der Fall“, sagt Schubach. Denn so mancher ehemalige Mitarbeiter der Fabrik musste sich nach einem anderen Arbeitsplatz umsehen. Anderswo als in Ober-Schmitten.

Eine ähnliche Erfahrung machte die Freiwillige Feuerwehr von Eichelsdorf vor einigen Jahren, nachdem die dortige Papier- und Folienfabrik Maria Soell geschlossen worden war. Immerhin stehen an Wochenenden rund 20 Einsatzkräfte zur Verfügung, wie Schubach sagt. Das genüge, da ein Einsatzfahrzeug zu besetzen sei. Sechs Leute brauche eine sogenannte taktische Einheit am Ort. „Das muss sein, aber das schaffen wir tagsüber unter der Woche gerade so“, fügt er hinzu. Die Mannschaft setzt sich im jeweiligen Fall zusammen aus Mitgliedern, die anderswo Schicht arbeiten und gerade freihaben, solchen, die Urlaub haben, und daheim mobil arbeitenden Beschäftigten.

Bedenken bei Arbeitgebern

Schubach spricht von „Glaskugel-Denken“. Das bedeutet: Im Unglücksfall werden die Feuerwehrleute großflächig alarmiert, damit genügend Helfer zusammenkommen. Das Ergebnis sei nicht vorhersehbar. An einem Tag rückten 60 Männer und Frauen an, an anderen vielleicht zehn. Vor diesem Hintergrund gebe es mittlerweile Erst- und Zweitwehren. Wenn jemand beispielsweise in Eichelsdorf oder Wallernhausen wohne, aber in der Kernstadt arbeite, dann sei er tagsüber eben dort für seine Zweitwehr verfügbar und nicht in seinem Heimatort.

Noch etwas anderes erschwert die Einsatzplanung. Zwar sind abhängig beschäftigte Feuerwehrleute nach dem Hessischen Brand- und Katastrophenschutzgesetz von ihrem jeweiligen Arbeitgeber „für die Dauer der Teilnahme unter Gewährung des Arbeitsentgelts, das sie ohne die Teilnahme erhalten hätten, von der Arbeitsleistung freizustellen“. Doch wenn ein Arbeitgeber sage, eine solche Freistellung wirke sich wirtschaftlich zu nachteilig für seinen Betrieb aus, dann könne die Feuerwehr schlecht dagegen argumentieren. Manche Arbeitgeber könnten überdies mit der Feuerwehr nichts anfangen und meinten mit Blick auf Freistellungen, das sei das Problem der Stadt. Im Rathaus hingegen ist ein ehrenamtliches Engagement laut Schubach von Vorteil. Bei Neueinstellungen punktet demnach jemand mit Erfahrung in der Feuerwehr bei gleicher Qualifikation gegenüber einem Bewerber, der lieber löschen und bergen lässt.

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