Das Ende eines großen Missverständnisses | ABC-Z

Nein, eine neue Basis-Befragung über die Parteispitze der Berliner SPD werde es nicht geben. Zumindest soweit wollte sich Nicola Böcker-Giannini festlegen, obwohl sie in einer Woche nur noch ein einfaches Mitglied sein wird. Als Parteichefin ist sie mit ihrem Co-Vorsitzenden Martin Hikel kolossal gescheitert. Kaum anderthalb Jahre nach ihrem deutlichen Sieg beim Mitgliedervotum werfen beide das Handtuch. Die Unterstützung „der Funktionäre“ sei zu gering gewesen, sagten sie am Montag im Weddinger Kurt-Schumacher-Haus der Berliner SPD.
Hikel hatte vor zweieinhalb Wochen seine abermalige Kandidatur als Neuköllner Bezirksbürgermeister wegen zu schwacher Unterstützung des Kreisverbandes zurückgezogen. Nun beschrieb er die Differenzen. Das Duo hatte das parteiinterne Rennen um die Basis-Stimmen mit der Forderung nach einem pragmatischen Kurs gewonnen. In Erinnerung bleibt die Forderung, das kostenlose Schulessen und die Kita-Gebührenfreiheit abzuschaffen.
Der Kurs der Landeschefs vertrug sich nicht mit zentralen Forderungen der Funktionäre
Das wäre ein veritabler Kurswechsel der Berliner SPD gewesen. Die Entlastung von Eltern halten viele in der Partei, allen voran der mächtige Fraktionsvorsitzende Raed Saleh, für ein wichtiges Argument für sozialdemokratische Politik. In den Haushaltsberatungen mit der CDU in Berlin hat Saleh die Gebührenfreiheit verteidigt. Inzwischen hat es die gebührenfreie Bildung auch in die Programmatik der Bundespartei geschafft. Auch in der Integrationspolitik gibt es nach den Worten Hikels einige Differenzen zwischen Leuten wie ihm, die Probleme auch beim Namen nennen würden, und anderen in der SPD. „Wir sind regelmäßig an Grenzen gestoßen“, klagte Hikel. Ob dahinter eine koordinierte Aktion stecke, wollte er nicht sagen.
Während Hikel sich selbst aus dem Spiel nahm, obwohl SPD-Spitzenkandidat Steffen Krach die 68,5 Prozent bei der Neuköllner Nominierungsversammlung als ausreichend für eine erneute Bürgermeister-Kandidatur wertete, ließ es Böcker-Giannini am Wochenende darauf ankommen. Obwohl es zahlreiche Warnungen gegeben hatte, trat sie in Reinickendorf um Platz drei auf der Bezirksliste an, um so ins Abgeordnetenhaus zu kommen. Dabei verlor sie aber gegen die junge Laurence Stroedter.
In Reinickendorf scheiterte Landeschefin Böcker-Giannini bei der Listenaufstellung
Sie ist die Tochter des langjährigen Reinickendorfer SPD-Chefs und Fraktionsvize im Abgeordnetenhaus Jörg Stroedter. Dieser ist verheiratet mit Innensenatorin Iris Spranger (SPD). Mit dieser wiederum verbindet die Noch-Landeschefin Böcker-Giannini eine tiefe Abneigung. Spranger warf 2023 Böcker-Giannini als Sport-Staatssekretärin raus und erteilte ihr sogar Hausverbot, weil sie ihr Fehler bei der Organisation der Fußball-EM 2024 vorwarf. Ob solche Motive hinter der Nicht-Wahl der Landeschefin stehen, ist offiziell nicht zu sagen. Böcker-Giannini stellte aber fest, dass es in anderen Landesverbänden wohl normal wäre, eine Vorsitzende auf einem vorderen Listenplatz antreten zu lassen.
Klar ist aber, dass das Scheitern Böcker-Gianninis nicht in die Erzählung passt, es habe bei der Kandidatenaufstellung einen Durchmarsch der Parteilinken gegeben. Reinickendorf gilt nicht als linker Kreis und auch der keinesfalls linken Innensenatorin Spranger war es gelungen, sich im Kreisverband Marzahn-Hellersdorf gegen ausgewiesene linke Konkurrenz durchzusetzen.
Schon lange war offensichtlich, dass sich das Führungsduo nicht durchsetzen konnte
Nach Informationen der Morgenpost wäre es für die Landeschefin aber möglich gewesen, nach einem Rückzug Hikels aus freien Stücken auf die Parlaments-Kandidatur zu verzichten und dafür als Frau an der Seite von Steffen Krach weiter Landeschefin zu bleiben. Diese Option habe sie aber nicht ernsthaft angestrebt, hieß es.
Tatsächlich war es von Anfang an absehbar, dass Hikel und Böcker-Giannini sich im eher linken SPD-Landesverband nicht würden durchsetzen können. Beide beklagten am Montag erneut, dass sie schon mit ihren Personalvorschlägen für den Landesvorstand gescheitert seien. Immerhin hielten sie es sich zugute, einen breit angelegten Programm-Prozess als Gesprächsforum für die Partei und die Stadtgesellschaft etabliert und umgesetzt zu haben. Auch in der Parteizentrale hätten sie einige Neuerungen eingeführt. Auf die praktische Tagespolitik nahmen sie aber fast keinen Einfluss. Den Haushalt verhandelte die Fraktion mit Saleh an der Spitze, die Vorsitzenden wurden allenfalls informiert.
Der Aufbau eines rechten Parteiflügels als Gegengewicht zur Linken ist nicht gelungen
Die Frage aber bleibt, warum sich die eher konservativ tickende Basis der Berliner SPD, wie sie bei der Landesvorsitzenden-Wahl deutlich wurde, nicht in die aktive Politik der Sozialdemokraten einbringt. Böcker-Giannini und Hikel hatten den Neuaufbau einer parteirechten Gruppierung angekündigt. Es brauche aber Zeit, ehe er in den Gremien ankomme, sagte die scheidende Landeschefin.
Zudem seien in der Berliner SPD viele Beschäftigte aus Verbänden und Bundesministerien organisiert, sagte Böcker-Giannini. Diese Leute sind nach ihrer Einschätzung offenbar nicht wirklich gewillt, sich mit den Niederungen der Kommunal- und Landespolitik in ihren Basis-Organisationen zu engagieren und die mehrheitlich linken Genossen und die vielerorts zahlreichen Jusos in die Schranken zu weisen.
Morgenpost Späti
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Die scheidenden Landeschefs empfahlen ihrer Partei, in der Mitte nach Wählern zu suchen und die CDU zur Hauptgegnerin zu erklären. Die Frage, mit wem die SPD nach der Wahl zusammenarbeiten wolle, solle „offengehalten werden“. Das war wohl der letzte Rat an die Partei. Hikel verabschiedete sich: „Tschüss, schön war‘s.“















