Kultur

Susan Sontag: Autorin, Diva, Aktivistin | ABC-Z

Manhattan im Literaturhaus. Der Times Square als Schauplatz einer Ausstellung über die Autorin Susan Sontag. Für die neu eröffnete Schau „Susan Sontag – Everything Matters“ hat sich das Gestaltungsteam Costanza Puglisi und Florian Wenz (unodue{ münchen) wirklich Mühe gegeben: vertikale Regal-Konstruktionen und riesige Fotografien auf den Fenstern wecken tatsächlich New-York-Vibes. Aus den Lautsprechern dringt die typische Geräuschkulisse samt Verkehr und Sirenen, wenn auch nur als angenehm leises Hintergrundrauschen. Ja, wenn man sich Mühe gibt, kann man sich hier durchaus in die Stadt von Susan Sontag träumen.

Eine Ausstellung über eine Schriftstellerin verlangt nach einer anderen Dramaturgie als eine Kunstausstellung: Ist die Kunst hier doch eine, die sich zwischen zwei Buchrücken befindet und aus Buchstaben besteht. Da ist schon ein wenig mehr Drumherum und Aufbereitung nötig, um daraus eine ansprechende Ausstellung mit Mehrwert zu kreieren. Im Falle von Susan Sontag ist es möglicherweise ein klein wenig einfacher, gibt es doch jede Menge eindrucksvoller Porträtfotos von ihr, unter anderem von Stars wie Richard Avedon oder ihrer Partnerin Annie Leibovitz. Denn, wie der Regisseur Robert Wilson 2003 über sie sagte: „Sie hatte Stil, sie war unvergleichlich.“ Susan Sontag war eine Ikone, nicht nur intellektuell.

Und so spürt diese Ausstellung, die Anna Seethaler kuratiert hat, neben ihrem Werk auch ihrem Leben nach. Da Sontags Sohn David Rieff nicht besonders viel von dem „Krusch“ herausrückte, wie Literaturhaus-Leiterin Tanja Graf all die gesammelten Dinge bezeichnet, mit denen sich die Autorin in ihrer New Yorker Wohnung umgab, hat das Ausstellungsteam selbst mit allerlei zusammengesammelten Objekten kleine visuelle Mood-Boards erstellt, um ein wenig Sontag-Flair nach München zu holen. Zitate von Sontag laufen wie Reklamen auf dem Times-Square über Leuchttafeln an den Hochhaus-Objekten.

„Ich schreibe, um herauszufinden, was ich denke“

Sontag war eine, der das Schreiben und das Denken Notwendigkeit war, um in der Welt zu existieren, die in ihr Tagebuch Sätze wie diesen schrieb: „Ich schreibe – und rede-, um herauszufinden, was ich denke.“ Dieses Dokumentieren der Wirklichkeit in Texten und Listen erinnert an Heinrich von Kleists berühmten Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“, es ist dieses Ringen um ein Verstehen der Welt, ein Einkreisen und Zu-Fassen-Kriegen. Susan Sontag war eine, die die das Geschehen um sich herum aufsaugte, die sich für alles interessierte. „Ich werde mich voll und ganz auf alles einlassen… alles ist wichtig!“, notierte sie am 23. Mai 1949 in ihrem Tagebuch. Alles ist wichtig. Everything matters. Daher der Titel der übrigens zweisprachigen Ausstellung.

Diese spürt dem Leben und Wirken dieser großen Denkerin in fünf Kapiteln nach, beginnend mit ihrer Kindheit und dem „Lesen“, wie dieser erste Teil der Ausstellung überschrieben ist. Sontag wurde als Susan Lee Rosenblatt am 16. Januar 1933 in New York geboren, wuchs aber in der Wüste in Tucson auf. Eine intellektuelle Ödnis für das Mädchen, das sich in Bücher floh. Vor allem Thomas Mann hatte es ihr angetan. „‚Der Zauberberg‘ ist der beste Roman, den ich je gelesen habe“, notierte sie 1948. Auf „Lesen“ folgt „Schreiben“, die Ausstellung hat einiges an Handschriften, Tagebuch-Einträgen und Erstausgaben zu bieten. Auch eine Kurzgeschichte, die sie 1974 im Playboy veröffentlichte. Sontag machte keinen Unterschied zwischen Hoch- und Populärkultur – und musste als freie Autorin schließlich auch Geld verdienen.

Immer wieder finden sich auch ihre berühmten Listen, in denen sie zum Beispiel festhielt, was sie zu kaufen gedachte oder welche Eigenschaften sie an einem anderen Menschen „antörnen (jemand, den ich liebe, muss mindestens zwei oder drei davon haben)“. Darunter: Intelligenz, Schönheit, aber auch Douceur und Glamour. Man bekommt das Bild von einer Frau, die man gerne kennengelernt hätte. Einer Frau, die überall hingeschaut hat und sich von allem ein Bild gemacht hat. Die Fotografie und Film liebte (Kapitel „Sehen“) und sich aktiv zu Wort meldete, wenn sie Unrecht sah (Kapitel „Handeln“). Die nie gleichgültig war und ins Handeln kam, wenn es nötig war. In den 1960er Jahren reiste sie als Kritikerin des amerikanischen Kriegseinsatzes nach Vietnam, um sich ein Bild der Lage zu machen. 1993 inszenierte sie während des Bürgerkriegs Samuel Becketts „Warten auf Godot“ in Sarajewo.

Auch ihrem persönlichen Grauen hat Sontag sich intellektuell gestellt. Dreimal in ihrem Leben hatte sie mit schweren Krebserkrankungen zu kämpfen, 2004 starb sie an ihrer Krankheit. In Texten wie „Krankheit als Metapher“ oder „Aids und seine Metaphern“ räumt sie auf mit metaphorischen Sichtweisen von Krankheiten als Fluch oder Strafe. Diesem Kapitel ihres Lebens widmet sich der Ausstellungsteil „Über-Leben“.

Sontag erfand die moderne Schriftstellerin

Video-Statements von Daniel Schreiber, Lena Gorelik, Jovana Reisinger, Verena Lueken und Luisa Neubauer reflektieren Sontags Themen im Hier und Jetzt. Sie machen bewusst, wie viel diese Frau angedacht und angestoßen hat. Oder, wie Daniel Schreiber es formuliert: „Susan Sontag hat erfunden, wie es ist, eine moderne Schriftstellerin und Intellektuelle zu sein, und wir alle, die heute schreiben, profitieren von ihr.“ Ein Film-Porträt von Birgitta Ashoff rundet die Ausstellung ab. Kann es also gelingen, eine Ausstellung über eine Schriftstellerin? Ja, kann es. Diese sinnliche Schau bringt einem den Menschen Susan Sontag näher und macht Lust, sich wieder oder auch zum ersten Mal in ihr Werk hineinzulesen.

„Susan Sontag. Everything Matters“ bis 30. November Mo bis So von 11 bis 18 Uhr, Do bis 20 Uhr im Literaturhaus München, Salvatorplatz 2

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