EU schwächt Lieferkettengesetz: Wirtschaft jubelt, Kritik wächst | ABC-Z

Wenn in Deutschland über zu viel Regulierung und Bürokratie geschimpft wird, ist ein Begriff nicht weit: das Lieferkettengesetz. Mithilfe des Gesetzes sollen Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ihre Produkte unter Einsatz von Kinderarbeit oder auf Kosten von Menschenrechten und der Umwelt entstanden sind. Die gute Absicht ist unbestritten – die bürokratische Belastung halten viele Unternehmen aber für unzumutbar. Sie müssen ihre komplexen Lieferketten bis in die letzte Verästelung dokumentieren und auf potentielle Verstöße überprüfen.
Aus Sicht vieler betroffener Unternehmen gibt es nun eine deutliche Entlastung. Denn die Europäische Union will das europäische Lieferkettengesetz abschwächen, noch bevor es angewendet wird. Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments einigten sich in Brüssel darauf, dass die Vorgaben nur noch für wenige große Unternehmen gelten sollen. Das Parlament und die EU-Mitgliedsländer müssen die Änderung noch genehmigen, normalerweise ist das aber reine Formsache. Die Regeln, über die seit mehreren Jahren verhandelt wird, werden zudem um ein weiteres Jahr nach hinten verschoben, auf Juli 2029.
„Die Zeit des Zögerns ist vorbei“
Entsprechend groß war am Dienstag der Jubel in der deutschen Wirtschaft. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sprach von einem „Meilenstein für den Bürokratierückbau“. Europäische Regeln würden endlich praxisnäher, Berichtslasten gingen zurück, der Mittelstand werde entlastet. „Das ist ein starkes Signal: Europa kann vereinfachen und Bürokratie abbauen“, sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Ähnlich äußerte sich Wolfgang Große Entrup, der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der chemischen Industrie. Er forderte Parlament und Rat auf, noch vor Jahresende zuzustimmen. „Die Zeit des Zögerns ist vorbei – unsere Unternehmen brauchen endlich Rechtssicherheit und echten Bürokratieabbau.“
Die abgeschwächten EU-Vorgaben sollen künftig nur noch für Großunternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mindestens 1,5 Milliarden Euro gelten. Ursprünglich waren als Grenze 1000 Mitarbeiter und eine Umsatzschwelle von 450 Millionen Euro vorgesehen. Zudem sollen Unternehmen, die gegen die Regeln verstoßen, auf EU-Ebene keiner zivilrechtlichen Haftung mehr unterliegen – wodurch für Opfer von Menschenrechtsverstößen eine Klagemöglichkeit entfällt.
Wenn sich Unternehmen nicht an die Vorgaben halten, soll eine Strafe von maximal drei Prozent ihres weltweiten Nettoumsatzes verhängt werden können. Zudem soll es nach Angaben aus dem Parlament und der EU-Staaten künftig keine Pflicht mehr geben, Handlungspläne für Klimaziele auszuarbeiten.
„Kniefall vor Trump“
Allerdings bedeutet die Einigung auf EU-Ebene für deutsche Unternehmen nicht, dass sie bis Mitte 2029 von jeglichen Lieferkettenpflichten enthoben wären. Denn hierzulande ist schon Anfang 2023 das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ in Kraft getreten. Es betrifft Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern und verfolgt dieselben Ziele wie die geplanten europäischen Vorgaben. Dieses Gesetz soll nahtlos durch die europäische Regelung ersetzt werden, dies könnte jetzt also bis Juli 2029 dauern.
Weil auch das deutsche Gesetz in den Unternehmen auf viel Gegenwehr stößt, hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zugesagt, es abzuschwächen. Im September 2025 hat die Bundesregierung eine Reform des Gesetzes auf den Weg gebracht. Im Kern soll die Berichtspflicht über die Einhaltung der Sorgfaltspflichten abgeschafft werden. Die dicken Berichte, die derzeit angefertigt werden, könnten dann der Vergangenheit angehören. Allerdings sollen die Unternehmen zugleich nicht aus der Pflicht genommen werden, ihnen drohen weiterhin Bußgelder.
Sie sollen künftig nur noch bei schweren Verstößen verhängt werden. Kritiker, wie das Sachverständigenratsmitglied Veronika Grimm, halten die geplante Abschwächung deshalb für halbherzig. Die Unternehmen hätten wenig vom Wegfall der Berichtspflicht, wenn sie im Zweifelsfall doch nachweisen müssten, in der Lieferkette nicht gegen Menschenrechte und Umweltstandards verstoßen zu haben, so Grimm. Beschlossene Sache ist die Abschwächung in Deutschland noch nicht, das Votum des Bundestags steht noch aus.
Die absehbaren Erleichterungen für die Wirtschaft auf EU-Ebene riefen am Dienstag allerdings auch harten Widerspruch hervor. Misereor-Menschenrechtsexperte Armin Paasch bezeichnete die Einigung in Brüssel als „Kniefall vor Trump auf Kosten von Menschenrechten, Umwelt und Klima“. Vor allem der amerikanische Präsident und große amerikanische Rohstoffunternehmen hätten auf die Abschwächung gedrungen. Paasch fordert das Europäische Parlament und die Bundesregierung auf, das Ergebnis abzulehnen. „Es ist beschämend, dass die EU ihre wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten von Näherinnen, indigenen Gemeinschaften, Landarbeitern und Kindern auf Kakaoplantagen steigern will“, sagte der Vertreter der katholischen Hilfsorganisation.
Auch politisch ist die Einigung, die im EU-Parlament von der konservativen Fraktion um CDU und CSU sowie rechten und rechtsextremen Parteien mitgetragen wird, umstritten. René Repasi, Sprecher der sozialdemokratischen S&D-Fraktion, sagte: Mit dieser Einigung verspielt eine konservativ-rechtsextreme Mehrheit eine Chance für Europa. Ein starkes europäisches Lieferkettengesetz wäre ein Wettbewerbsvorteil für die europäische Wirtschaft. Ähnlich äußerten sich Vertreter der Grünen im Europaparlament. Das Europaparlament will schon nächste Woche in Straßburg darüber abstimmen.





















