„True Crime“ in Ostbayern: Vom brennenden „Laubfrosch“ bis zum Briefbomber – Bayern | ABC-Z

Schrecklich, aber nicht verdächtig – das dürfte der Gendarm gedacht haben, der vor fast 100 Jahren, im Winter 1929, im Landkreis Regensburg zu einem brennenden „Laubfrosch“ gerufen wurde. Das war ein frühes Opel-Serienmodell, zwischen Etterzhausen und Mariaort fand die Polizei den Wagen mit einem Toten darin: scheinbar der registrierte Halter Kurt Tetzner. Im Polizeibericht wurde eine Explosion des Treibstoffs als mögliche Unglücksursache vermerkt. Die verkohlte Leiche brachte man ins Leichenhaus im nahen Dorf Kneiting und benachrichtigte Tetzners Ehefrau.
Doch der Fall nahm rasch eine Wende. Dem Kneitinger Bürgermeister fiel auf, dass die Gattin „nicht den Eindruck einer trauernden Frau“ machte. Die Oberpfälzer Polizei erfragte bei den Kollegen in Leipzig, wo Tetzner herkam, dessen Lebensumstände. Und man erfuhr, dass der 23-jährige gescheiterte Handelsreisende kurz zuvor einen potenziellen Unfalltod mit einer ungewöhnlich hohen Summe versichert hatte, 145 000 Reichsmark.
Auf Drängen der Versicherung wurde der tote Mann obduziert, die Rechtsmedizin war noch eine recht junge Zunft. Weder in der Mundhöhle noch im Lungengewebe war Ruß zu finden. Und der Mediziner stellte zudem fest, dass die zarten Knochen der Leiche nicht zu Kurt Tetzner passten, der einen stämmigen Körperbau hatte. Dazu stieß die Polizei auf eine Zeitungsmeldung, wonach in Gaimersheim bei Ingolstadt ein Wanderarbeiter von einem Laubfrosch-Fahrer überfallen und betäubt wurde, gerade noch konnte der junge Mann flüchten – die Beschreibung des Täters passte indes gut auf Tetzner. Kurzum, da stimmte etwas nicht.
Dieses Verbrechen ist ein weit zurückliegender Fall, den die Journalistin Isolde Stöcker-Gietl in „Wahre Verbrechen in Niederbayern und der Oberpfalz“ skizziert. Untertitel des dieser Tage erschienenen Buches: „Gelöste und ungelöste Kriminalfälle – Ermittlungen, Gerichtsprozesse, Abgründe“. Es ist bereits die zweite derartige Veröffentlichung der Chefreporterin der Mittelbayerischen Zeitung, die seit vielen Jahren Kriminalfälle in Ostbayern begleitet, auch bei Gericht. In das erste Buch 2020 waren etwa die damals jüngsten Entwicklungen am Landgericht Regensburg im überregional beachteten Mordfall Maria Baumer eingeflossen.
:Mord ist ihr Hobby
Leonie Bartsch und Linn Schütze erzählen von wahren Kriminalfällen und erreichen ein Millionenpublikum. Warum es so wichtig ist, dass die Fälle wirklich passiert sind und aus welchem Grund sie nun einen Liebes-Podcast starten.
„Ausgerechnet hier“, das ist so eine Floskel, die man häufig liest, wenn in vermeintlich ländlicher Idylle Verbrechen stattfinden. Als wäre die Provinz vor menschlichen Abgründen gefeit. Stöcker-Gietl rekonstruiert ein Stück Kriminalgeschichte quasi vor der Haustür, präzise, aber nicht überfrachtet mit unnötigen Details. Das ist packend geschrieben, doch nie reißerisch oder sensationslüstern. Die Spannbreite der Fälle beträgt fast 100 Jahre. So sind es mal historische Akten, die sie auswertet, mal beruft sie sich auf Experten und – mit Feingefühl – auch auf Zeugen oder Angehörige.
Zurück zum Laubfrosch-Fall, ein spektakuläres Doppelgänger-Verbrechen; wobei die Ähnlichkeit überschaubar war. Tetzner hatte nach der gescheiterten Entführung in Gaimersheim einen anderen Mann gefunden, ermordet und mit seinem Wagen angezündet. Dessen Identität wurde nie geklärt, vielleicht war es ein Münchner Schneidergeselle. „Der Gedanke war schlau, die Ausführung dumm. Die Geldsumme war das Treibende der Tat“, schrieb Tetzner selbst in der Haft. Gefasst wurde er in Straßburg, wo er mit seiner Frau untertauchen wollte. 1931 wurde Tetzner im Innenhof des Landgerichts Regensburg hingerichtet. Das Fallschwert dafür hatte man aus München-Stadelheim angeliefert.
Ein Schnitt durch die Kehle, sieben Messerstiche – am helllichten Tag in einem Laden in Cham
Die Autorin schildert auch die Umstände eines Amoklaufs in Saltendorf im Kreis Schwandorf. An einem Oktoberabend 2005 betrat dort ein Mann die Versammlung eines Pfarrgemeinderats, man hatte das Treffen gerade beendet, „Großer Gott wir loben dich“. Er eröffnete mit einer Pistole das Feuer, es gab einen Toten und mehrere Schwerverletzte. Und einen Täter, den jeder im Ort kannte, der aber doch nicht dazu gehörte. „Die Kugeln eines Verachteten“, schrieb die Süddeutsche Zeitung damals über den Prozess.
Es geht auch um den Mord am Besitzer eines Schuhgeschäfts in Cham, der 1993 im Laden erstochen wurde. Ein Schnitt durch die Kehle, sieben Messerstiche, am helllichten Tag. Bis heute ist das ein „Cold Case“, ein ungeklärter Fall. Oder da sind die Toten in einer Pension in Passau 2019, ein Mann und zwei Frauen, mit Armbrustpfeilen im Körper. Die Ermittlungen führten zu einer Art Sekte, zu unglaublichen Vorgängen rund um einen Guru.


Vielen Menschen in Bayern in Erinnerung ist wohl der niederbayerische Briefbomber, der 2004 die Öffentlichkeit in Schrecken hielt. Vor allem ostbayerische Landräte und Oberbürgermeister hatten explosive Post erhalten, zum Glück gab es keine schwereren Verletzungen. Über DNA-Spuren geriet die Gemeinde Hutthurm bei Passau in den Fokus, ein Massen-Speicheltest wurde abgehalten, damals eine Besonderheit. Die These der Polizei, dass es sich um einen älteren, politikverdrossenen Mann handeln müsste, prägte die Einladungen zum Test, der ohne Treffer blieb. Erst von einem zweiten Test wäre der 22-jährige Täter erfasst gewesen, er nahm sich zuvor das Leben. Und sein Motiv nahm er mit ins Grab.
Es geht nicht nur um gelöste Fälle in diesem Buch, auch um Ungeklärtes, um Unerklärliches – die Autorin begibt sich dabei aber nicht in wilde Spekulationen. Anders als es oft bei Hobbyermittlern in der boomenden True-Crime-Szene üblich ist.
Isolde Stöcker-Gietl: Wahre Verbrechen in Niederbayern und der Oberpfalz: Gelöste und ungelöste Kriminalfälle – Ermittlungen, Gerichtsprozesse, Abgründe. MZ Buchverlag, 160 Seiten, 17,90 Euro.





















