„Ich will, dass es zu 100 Prozent sicher ist“ | ABC-Z

Herr Beckmann, freitags und samstags fahren Sie in Ihrer Freizeit von 22 Uhr bis vier Uhr nachts kostenlos Frauen nach Hause. Wie kam Ihnen die Idee, das Not-Taxi ins Leben zu rufen?
Meine beste Freundin ist an einem Abend mit dem Taxi nach Hause gefahren und hat leider den falschen Taxifahrer erwischt. Er hat sie sexuell belästigt, ihr zwischen die Beine gefasst. Sie war allein im Taxi, hatte große Angst. Zu Hause hat sie sofort die Polizei gerufen. Einen Tag später hat sie mir davon erzählt. Ich war total geschockt und sauer. Aber vor allem war ich traurig, dass so etwas überhaupt passiert. Man könnte doch so viel bessere Sicherheitsvorkehrungen treffen.
Was müsste Ihrer Meinung nach verändert werden?
Ich lag abends im Bett und dachte darüber nach. Es gibt doch Frauentaxis, bei denen Frauen anrufen und sagen können: Hallo, ich möchte gerne ein Taxi haben. Ich habe mir dann Bewertungen im Internet durchgelesen und festgestellt, dass das eigentlich nichts bringt. Der Abholer ist trotzdem fremd, und oft ist es genauso teuer, wie Taxi zu fahren. Klar, Taxis sind häufig sicherer als zu laufen oder Bus oder Bahn zu fahren. Aber ich will, dass es zu 100 Prozent sicher ist. Deshalb habe ich es selbst in die Hand genommen. Ich fahre nun selbst ehrenamtlich am Wochenende Frauen nach Hause, die in Not sind und Angst haben, und die vielleicht gerade kein Geld haben, um sich ein Taxi zu nehmen.
Wie reagieren die Frauen auf Sie, wie bauen Sie das nötige Vertrauen auf?
Ich bin vorsichtig und reagiere behutsam auf die Frauen. Wenn ich sie abhole, sind sie immer dankbar, dass sie nicht laufen müssen. Oft sind sie in einer Situation, aus der sie schnell heraus wollen. Ich hatte zum Beispiel eine Frau abgeholt, die völlig verheult war. Ich habe versucht, mich darum zu kümmern, dass es ihr besser geht. Als sie realisiert hatte, dass sie jetzt in Sicherheit ist, ging es ihr dann auch besser.
Die Frau teilt mir auf Instagram, Whatsapp oder per Anruf mit, wo sie sich befindet und wo sie hinmöchte. Ich habe extra eine zweite Telefonnummer und ein zweites Handy besorgt, das ich immer freitags und samstags anschalte. Ich kann eine bis maximal drei Frauen mitnehmen. Ausschließlich Frauen, das ist die Regel. Wenn ein Mann dabei ist, der auch nach Hause will, mache ich das nicht. Das ist ein Not-Taxi für Frauen, die sich unsicher fühlen. Wenn ich losfahre, schicke ich der Frau ein Codewort. Danach kann sie mich bei meiner Ankunft fragen, um sicherzugehen, dass ich es wirklich bin.
Wie stellen Sie sicher, dass das Angebot niemand ausnutzt?
Wenn jemand das Angebot offensichtlich ausnutzt, wird er von mir auf Instagram gesperrt. Mein Team und ich sehen es nicht ein, Leute zu fahren, die halt mal feiern gehen wollten und keine Lust haben, später das Taxi zu bezahlen.
Wie schlimm muss die Lage sein, dass eine Frau bei Ihnen anrufen kann?
Ich erinnere mich an meinen ersten Anruf. Das war eine Dame, die beim Feiern früher nach Hause wollte, weil es ihr nicht gut ging. Sie war allein und in einer Ecke, in der man als Frau wirklich nicht allein unterwegs sein sollte. Als sie eingestiegen ist, sagte sie, es tue ihr leid, ihre Situation sei ja eigentlich keine richtige Notsituation, aber sie würde sich einfach unwohl fühlen, wenn sie jetzt allein nach Hause fahren müsste. Ich habe ihr gesagt: Doch, das ist eine Notsituation. Vielleicht ist das bei der Polizei oder im Krankenhaus keine, aber für uns schon.
Ihr Angebot gibt es seit zwei Monaten. Wie wird es angenommen?
An einem Abend fahren wir ungefähr vier Frauen – aus den verschiedensten Gründen. Es war schon Gewalt dabei, und es gab Frauen, die Angst hatten, zur Polizei zu gehen, Frauen, die kein Geld für ein Taxi hatten, Frauen, die nach einem Streit mit dem Freund so durcheinander und labil waren, dass sie sich nicht in öffentliche Verkehrsmittel setzen wollten.
Was sagen Männer zu Ihrem Angebot?
Ich habe bisher keine Beschwerden bekommen, im Gegenteil. Männer haben mir bisher rückgemeldet, dass die das Angebot megacool finden. Einige kennen das selbst, dass sie ihre Freundinnen abholen müssen, weil sie allein nicht mehr ohne Angst nach Hause kommen. Wir haben auch viel Unterstützung von Männern bekommen, Re-Posts auf Instagram oder kleine Spenden.
Inzwischen fahren nicht mehr nur Sie, sondern Sie haben ein Team. Wie ist das entstanden?
Die ersten zwei, drei Wochen bin ich allein gefahren und habe das von 22 Uhr bis sechs Uhr morgens gemacht, jetzt machen wir das bis vier Uhr morgens. Manchmal hatte ich am nächsten Tag Termine und war dann todmüde. Dann haben sich Leute bei mir gemeldet, die mich unterstützten wollten. Ich habe sie erst mal persönlich kennengelernt, gerade da muss man ja vorsichtig sein. Es gibt jetzt noch zwei weitere Männer im Team, die Polizisten sind und das in ihrer Freizeit zusätzlich machen. Sonst würde ich keine weiteren Männer annehmen. Die weiteren im Team sind Frauen. Das sind sympathische Menschen, die helfen wollen, so wie ich.
Aktuell finanzieren Sie das Projekt aus eigener Tasche, kostenlos mitfahren zu können ist Teil Ihres Konzepts. Wie wollen Sie das auf Dauer aufrechterhalten?
Es bleibt dabei, dass wir keinen finanziellen Nutzen aus der Sache ziehen wollen. Ich hoffe, dass wir uns irgendwann in der Zukunft mit Einnahmen über Instagram finanzieren können, wenn wir genügend Unterstützung durch Abonnenten haben. Vielleicht schaffen wir es, einen Verein zu gründen und Förderung zu bekommen, mit der wir das Projekt am Laufen halten können. Wir können das nicht ewig aus eigener Tasche machen.
Ist Ihr Projekt auch ein Signal an die Gesellschaft?
Ich möchte darauf aufmerksam machen, wie wichtig es ist, anderen Menschen zu helfen – egal in welcher Art. Ob es Freunde, Familie oder fremde Menschen sind, die krank sind oder Probleme im Leben haben. Oder in diesem Fall Frauen, denen ich so ein bisschen Sicherheit garantieren kann. Gewalttaten gegen Frauen und sexuelle Belästigung sind noch immer und immer mehr ein großes Thema, auch in Deutschland. Wir sind doch eigentlich ein Land, das sozial so viel Stärke und Potential hat. Ich kann hier meine Kraft reinstecken, ohne daran kaputtzugehen.