Borussia Dortmund – FC Barcelona: Das große Wunder knapp verpasst | ABC-Z

Nach zehn Minuten hofften sie wirklich alle wieder. Soeben war Borussia Dortmund in Führung gegangen, Serhou Guirassy hatte vom Elfmeterpunkt getroffen und die Zuschauer hüpften zu Zehntausenden Auf und Ab und brüllten das ewige “Borussia Dortmund internationaaaaal”. Mit der Energie, die da durchs Stadion schwappte, hätte man in diesen Minuten ganz Deutschland bestromen können. Es war die frühe Führung – genau so eine, die es braucht, um Aufholjagden vom Typ “eigentlich unmöglich” zu starten.
Denn wenn sie ehrlich sind, haben wohl auch die wenigsten BVB-Fans wirklich geglaubt, ihre Mannschaft könnte das 0:4 aus dem Hinspiel noch aufholen. Das Westfalenstadion hatte zwar schon etliche Wunder erlebt: Málaga, Atlético, Real Madrid (oh, alles spanische Vereine) – aber das wäre dann wirklich zu viel des Guten. Gleich drei Dinge sprachen dagegen: Die vier Gegentore aus dem Hinspiel; der Fakt, dass der FC Barcelona in diesem Kalenderjahr noch kein Spiel verloren hat; der Fakt, dass der BVB in diesem Kalenderjahr schon acht Spiele verloren hat, unter anderem gegen Vereine, von denen man in Barcelona noch nie gehört hat (Kiel, Bochum, Augsburg).
Nun, das große Wunder blieb aus. Der BVB gewann zwar 3:1 gegen Barcelona, aber das waren am Ende zwei Tore zu wenig. Ein kleineres Wunder aber haben die Dortmunder geschafft: Sie haben ein mitreißendes und im Kollektiv exzellentes Fußballspiel abgeliefert. Ein Umstand, den man dem Verein in dieser Saison kaum noch zugetraut hätte. Und der fragen lässt, warum so etwas nicht öfter klappt?
Das Verteidigen haben Flick-Teams nicht erfunden
Am Ende standen 18 Torschüsse für den BVB gegen Barcelona. Mehr als in so manchem Bundesligaspiel (zum Beispiel gegen Kiel, Bochum, Augsburg). Die Dortmunder hatten die Schwächen des FC Barcelona antizipiert. Die Mannschaft von Hansi Flick spielt, wie Mannschaften von Hansi Flick eben spielen: Fröhlich nach vorn, aber das Verteidigen haben sie nicht erfunden. Wenn man ihr die Stärke, die Offensive raubt, bleibt nur noch die schwache Defensive. Und genau das beherzigte der BVB.
“Wir haben heute ganz anders agiert”, sagte Dortmunds Trainer Niko Kovač nach dem Spiel. Schärfer sei seine Mannschaft gewesen, aggressiver, mutiger. Sie habe “durchverteidigt”, sagte er, was mehr oder weniger bedeutet, dass sein Team früh auf den Gegner zugerannt ist und dabei jeder einzelne Spieler mitgemacht hat. Auf dass der Gegner keine Lücke findet und irgendwann den Ball verliert. “Wir haben keinen Raum gegeben, sodass sie nicht ihr Kombinationsspiel aufziehen konnten”, sagte Kovač.
Das bedeutete, dass Barcelonas drei so potente Offensivkräfte, namentlich der in Dortmund bekannte Robert Lewandowski, der Brasilianer Raphinha, sowie Spaniens Wunderkind Lamine Yamal so gut wie nie in die Nähe des Balles kamen. Und wenn doch, bekamen sie es ob der auf sie zurasenden Dortmunder mit der Angst zu tun. Oder ihnen fiel nichts ein. Oder sie verschluderten ihre wenigen Aktionen leichtfertig, als hätten sie noch nie etwas von Dortmunder Fußballwundern gehört. Es dauerte 37 Minuten, ehe die BVB-Fans Gelegenheit hatten, Lewandowski auszupfeifen: Erst da hatte er das erste Mal für alle sichtbar und relevant den Ball.
Ernüchterung unter Spaniens Kommentatoren
Barcelona schien stark beeindruckt von der Aggressivität des Gegners, der lärmenden menschlichen Steilwand namens Südtribüne und irgendwie allem. Schon vor dem frühen 1:0 flog der Ball mehrmals wild durch den eigenen Fünfmeterraum. Fast jeden zweiten Ball sammelten die aufgestachelten Dortmunder ein. Nur selten kam Barça in die Nähe des gegnerischen Strafraums. Sehr zur Enttäuschung der spanischen Kommentatoren auf der Pressetribüne, die deutlich seltener so stimmungsvoll in ihr Mikrofon schreien durften wie erhofft.
Was Aufholjagden angeht, ist die Rechnung ja immer etwas kompliziert, besonders, wenn es um so viele Tore Rückstand geht. Wann etwa braucht man realistischerweise wie viele Tore, um noch die Hoffnung von Spielern und Fans am Leben zu halten? Nach Guirassys erstem Tor waren es noch etwa 83 Minuten für drei Treffer. Machbar. Aber in Halbzeit eins fiel trotz maximaler Überlegenheit (10:1 Torschüsse) schon keines mehr, und eigentlich ist so ein 1:0 zur Pause zu wenig. Die Hälfte der Zeit ist ja schon rum, aber erst ein Viertel der Tore aufgeholt.
Aber die BVB-Fans mussten darüber nicht zu arg nachdenken, denn erneut fiel auch in der zweiten Halbzeit ein schnelles Tor (49.). Wieder war es Serhou Guirassy, der den Ball nach einer Ecke und der Vorarbeit von Ramy Bensebaini per Kopf über die Linie drückte. 2:0, das hieß: noch zwei Tore in 41 Minuten, plus Nachspielzeit. Fünf Minuten später allerdings folgte der Glaubens- und Stimmungskiller.