Erding: Museum beleuchtet die Geschichte der Mobilität und den Veloziped Club – Erding | ABC-Z

Neun junge Männer und Frauen haben sich um circa 1905 schick kostümiert. Gleich geht es zum Maskenball in den Lex Saal. Zuvor lassen sich die Mitglieder des Erdinger Veloziped Clubs aber noch mit ihren mit Blumen geschmückten Fahrrädern ablichten. Der neue Fotokalender des Museums Erding widmet sich unterhaltsam und lehrreich dem Thema Mobilität – und erstmals bringt Künstliche Intelligenz einige der Bilder zum Laufen.
Die zwölf Schwarz-Weiß-Fotos des Kalenders zum Thema „Erding unterwegs“ stammen aus dem Zeitraum 1860 bis in die 1960er-Jahre. Jedes Bild ist ein Stück Zeitgeschichte. Zum Beispiel der Name Veloziped-Club: Viele Wörter aus dem Französischen haben durch historische Bündnisse Eingang ins Bayerische gefunden. Veloziped für Fahrrad oder Trottoir für Gehsteig – die Bezeichnungen sind aus dem Sprachgebrauch heute weitestgehend verschwunden. „Damals nutzte der Radverein gerne Veloziped, das klang schön elegant“, erzählt Museumsleiter Harald Krause.
Fürs Kalender-Cover hat das Museum eines der ältesten Fotos ausgesucht. Es ist um 1895 in der Landshuter Straße entstanden und besticht durch seine Tiefenschärfe. Man sollte aber ganz genau hinschauen, rät Museumsleiter Harald Krause. Denn eine authentische Szene ist hier nicht abgebildet. Es handelt sich vielmehr um eine Werbefotografie, bei der alle Personen und Fahrzeuge genau platziert wurden.
Für den neuen Kalender haben Krause und Simone Lachmann vom Museumsarchiv mit dem Mitarbeiterteam das Zehntausende Fotos umfassende Archiv durchstöbert und recherchiert. Manchmal ist es ein kleines Detail, das die Jahreszahl des Fotos verrät. Das Kalenderblatt von Oktober zum Beispiel zeigt eine Menschengruppe mit Krafträdern vor dem Gasthof „Weißes Bräuhaus“, in dessen Obergeschoss sich ein Kino befand. „Über das Datum haben wir lange gerätselt“, sagt Simone Lachmann. Den ausschlaggebenden Hinweis habe schließlich das Filmplakat an der Hauswand gegeben: „Staatsanwalt Jordan“ hatte 1926 Premiere.

Viele Geschäfte und Hausfassaden auf den Fotos sind längst verschwunden. Und wer kann sich heute noch eine Tankstelle mitten in der Altstadt vorstellen? An der Friedrich-Fischer-Straße ist auf einem Foto um 1935 am rechten Fahrbahnrand eine achteckige Shell-Zapfsäule zu erkennen. Links und rechts parken Automobile mit dem Kennzeichen „II-A“ der Stadt München. „Motorisierte Ausflügler“ hat das Museum daher das Bild überschrieben.
Das Thema Mobilität hat in Erding stets Konjunktur. Im ersten „Deutschen Automobil Adreßbuch“ von 1909 sind für Erding 17 Eigentümer von Kraftfahrzeugen genannt. Zum Vergleich: Im Jahr 2024 verzeichnete eine städtische Übersicht für Erding etwa 22 000 neu zugelassene Autos. Dabei überstieg die Zunahme der Zulassungen die Zunahme der Bevölkerung um ein Vielfaches.

Mobil waren die Erdinger aber auch mit dem Zug: Ein Bild aus den 1950er-Jahren zeigt die qualmende Einfahrt einer Tenderlok der Baureihe 64 in den Bahnhof Erding. Den Spitznamen „Bubikopf“ trug die Lok wegen ihrer Bauweise. Auf einem weiteren Foto von 1935 lehnt ein Busfahrer mit Krawatte und Knickerbocker an einem „Kraftpost-Bus“. Der Bus der Reichspost verkehrte zwischen Erding und München. Ebenfalls für Mobilität sorgte in Erding das Lohnkutscher-Unternehmen Selmaier. Ein Foto um das Jahr 1935 zeigt im Kalender Josef Selmaier als „Taxifahrer“ am Steuer eines 40 PS starken NSU.

Erstmals wurden fünf der Bilder von Museumsmitarbeiter Thomas Schöberl animiert und mit Hilfe Künstlicher Intelligenz (KI) in Alltagsszenen verwandelt. Über einen QR-Code auf der Rückseite des Kalenders lassen sich die Kurzfilme abrufen. „Sie sind eher eine amüsante ,Spielerei’ und keine wahrheitsgetreue Dokumentation. Auf Neudeutsch: ein Deepfake“, sagt Museumsleiter Harald Krause. Dem Betrachter sollte bewusst gemacht werden, nicht alles zu glauben, was im Internet präsentiert werde.
Mithilfe von KI beginnen zum Beispiel die fünf verkleideten Burschen beim Festumzug 1956 zu Fischers Fröhlichem Tag zu marschieren, sogar der Hund wackelt fröhlich mit dem Kopf. Auch die Mitglieder des Erdinger Veloziped Clubs werden lebendig: Die jungen Frauen vollführen eine gekonnte Drehung.
Manches ändert sich trotz technischen Fortschritts aber auch nicht. Die Räder des Veloziped Clubs sind sogenannte Sicherheitsniederräder, eine Weiterentwicklung des Hochrads. Wie dem Katalog des Museums Erding zu entnehmen ist, blieb ihre Konstruktion bis heute nahezu unverändert.
Der Fotokalender 2026 ist zum Preis von 20 Euro im Museum Erding während der Öffnungszeiten Dienstag bis Sonntag, 13 bis 17 Uhr, erhältlich (Telefon: 08122/408158 oder E-Mail: museum@erding) sowie in ausgewählten Erdinger Buchhandlungen.





















