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Herbert Kapfers neuer Roman „Der Planet diskreter Liebe“ – München | ABC-Z

Seitenweise Subordinationsballett. Was als klassische Sexszene beginnt, wird zum Körperkontrollspiel, bei dem es um Zentimeter geht. So verschiebt sich das Kräftegleichgewicht, bis auch seine Erektion ihrem Willen unterworfen ist. Am Ende dann gibt es keinen Kai mehr. In Beas Zimmer gibt es nur noch Sami, ihren artigen Diener.

„Der Planet diskreter Liebe“ ist das dritte im Münchner Verlag Antje Kunstmann erschienene Werk Herbert Kapfers. Kapfer, der bis 2017 die Hörspielabteilung des BR leitete, ist ein meisterhafter Gedankenorchestrierer, beispielhaft zu bestaunen in „1919“, einem Buch, montiert aus schon existierenden Texten zeitgenössischer Autoren – in der Gesamtschau das Zeitbild eines Jahres als Mosaik.

So ist auch „Der Planet diskreter Liebe“ auf gut 200 Seiten eine Echokammer der Theorien und Ideen, in der man sich erst einmal orientieren muss. Dass, wie in der abschließenden Danksagung zu sehen, auch Elfriede Jelinek ihm mit Rat zur Seite stand, passt ins vielschichtige Bild.

Die Handlung ist einfach: Bea und Kai leben im Jahr 1975 in der Kommune kollektiv 7, in der Bea die Utopie einer neuen Gesellschaft sät. Das Textkonvolut selber, so ist vorangestellt zu lesen, wurde dem Autor von einer Niki Zorzor übermittelt und besteht wohl aus Aufzeichnungen Kais, die Zorzor mit Anmerkungen versehen hat. Die verweisen sprachethymologisch immer wieder ins Mittelhochdeutsche und auch auf den Bereich der Minnelyrik, als eine stilistisch artifizielle Kunstform des Begehrens.

Bea und Kai entwickeln eine Spielart des Sadomasochismus, bei der sie die Dominate ist. Ausgehend von der intimen Zweierbeziehung sollen die Machtverhältnisse der Gesellschaft von morgen neu justiert werden. Soweit zum gängigen Kommunensprech, den man als historisch überholt einordnen könnte. Vor dem Hintergrund des reaktionären Backlash unserer Tage scheint die Kampfansage an die Phallokratie aber durchaus aktuell.

So forsch einem die Ideen auch vorkommen, geht es hier doch, gespiegelt im Körperballett der beiden Protagonisten, um ein Austarieren von Ideen und Machtverhältnissen auf einer erstaunlichen Komplexitätsebene. Grundsätzlich unterschieden werden muss, so werden die beiden erkennen, zwischen dem Agieren im öffentlichen Raum und der Experimentierstube. Es ist ein reizvolles Suchen, Finden und Kombinieren von Gedanken. Ein Sprachspiel auch.

Zum Wohle aller soll die Herrschaft der Männer über den Planeten beendet werden

Kapfers Roman beginnt mit einer Begegnung Kais in Köln. Auf der Straße trifft er den mit sich und in ein Tonband sprechenden Dichter Rolf Dieter Brinkmann, der als Wortseismograf Begriffe, Eindrücke sammelt und neu zusammenstellt. Am Ende des Romans schmökert Kai in „Westwärts 1 & 2“. Brinkmann ist da gerade in London gestorben. Sein Vermächtnis: ein Lyrikgroßwerk. Aus der manischen Stoffsammlung hat sich Kunst geformt. Und die führt Kai wie durch eine Falltür wieder in eine neue Gedankenwelt: in die kurze Zeit Realität gewordener Utopie der Münchner Räterepublik. Mit Kurt Eisner, Ernst Toller und Erich Mühsam war dies auch der historische Moment, als Dichter für Augenblicke die Macht übernahmen.

Auch 1975 ist der Umsturz der herrschenden Verhältnisse das Ziel. Immer wieder zitiert wird Françoise d’Eaubonnes Text „Feminismus oder Tod“ – eine Ideenanleitung für den Ökofeminismus, der davon ausgeht, dass es zum Wohle aller Erdenbewohner besser wäre, die Herrschaft der Männer über den Planeten zu beenden. Eine Idee, die in der aktuellen weltpolitischen Situation eines gewissen Reizes nicht entbehrt.

Konkret plant die Kommune kollektiv 7 eine Aktion gegen die seinerzeit gerade angelaufene Verfilmung des Romans „Die Geschichte der O“, die nach den klassischen Herrschaftsverhältnissen der Pornografie die Frauen zu nackten Sklavinnen der Männer macht. So muss und soll es nicht mehr sein. Auf dem Experimentierfeld der Machtverhältnisse geht es zwischen Bea und Kai weit subtiler und weniger eindeutig zu als im pornografischen Mainstream.

Kurz bevor Polizisten die WG stürmen, kommt Bea, auch angetrieben von Deleuzes Aufsatz über Sacher-Masoch, zu der Erkenntnis: „Der Masochist findet Lust nicht im Schmerz. Die Bestrafung, die Erniedrigung, die Demütigung wird als notwendig erlebt, um Lust empfinden zu dürfen.“ Der Sadomasochismus ist so gesehen nicht Selbstzweck, sondern Ermöglicher des Begehrens, eine Art Korsett der Lust, in das Körper und Gedanken geschnürt werden. Ob sich so tatsächlich Neues formen lässt, ist bis heute nicht abschließend geklärt.

Herbert Kapfer: Der Planet diskreter Liebe. Kunstmann, 22 Euro, 224 Seiten

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