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Neurieds Kämmerer: „So eine schwierige Situation habe ich noch nie erlebt“ – Landkreis München | ABC-Z

Robert Beckerbauer kennt die Gegensätze. Erst hat er als Kämmerer der 12 000-Einwohner-Gemeinde Unterföhring den Haushalt einer der wohlhabendsten Kommunen im Landkreis München verwaltet, jetzt muss er in derselben Rolle im nur rund 20 Kilometer entfernten Neuried mit etwa 9 000 Einwohnern jeden Euro umdrehen. Die finanzielle Situation der beiden Landkreiskommunen könnte konträrer nicht sein. Auch wenn Unterföhring zuletzt Einbrüche bei den Gewerbesteuereinnahmen hinnehmen musste, so stemmt die Kommune einen Haushalt mit einem Gesamtvolumen von mehr als 200 Millionen Euro und ist schuldenfrei. Neuried steckt in einer  Haushaltskrise. Am Jahresanfang klaffte ein Millionenloch in der Kasse, ein ausgeglichener Etat für 2025 steht immer noch nicht, die Pro-Kopf-Verschuldung liegt bei 2 164 Euro, weit über dem bayerischen Durchschnitt.

SZ: Herr Beckerbauer, was macht mehr Spaß – das Geld einer reichen Kommune mit vollen Händen auszugeben oder in einer armen Gemeinde jeden Euro zusammenkratzen?

Robert Beckerbauer: Als ich 2020 nach Unterföhring kam, hat es mich natürlich gereizt, in einer der finanzstärksten Kommunen in Bayern zu arbeiten und Gestaltungsspielraum zu haben. So ein Haushalt ist schnell aufgestellt, man kann großzügig sein und im Prinzip ins Investitionsprogramm schreiben, was man will, weil es sich immer durch eine Rücklagenentnahme absichern lässt. In Neuried liegt mir die aktuelle Situation im Magen, das ist mein 22. Haushalt, so eine schwierige Situation habe ich noch nie erlebt. Aber es ist auch eine Herausforderung. Am Ende brauchen wir eine Lösung und die zu finden, hat ja auch etwas Befriedigendes.

Sie sind nach nur drei Jahren in Unterföhring nach Neuried gewechselt, weil ihnen mit der Kämmererstelle eine Wohnung angeboten wurde. In Unterföhring drohte Ihnen eine Eigenbedarfskündigung. Haben Sie sich vorher die Finanzsituation in Neuried angesehen?

Vor Unterföhring war ich 16 Jahre lang Kämmerer in Simbach am Inn, davor vier Jahre im Landratsamt München in der Kämmerei. Die 29 Landkreiskommunen habe ich natürlich beobachtet. Neuried rangierte bei der Umlagekraft immer so auf Platz 22, eher weit hinten. Anfang 2023, als ich nach Neuried kam, sah die Finanzlage aber ganz großartig aus. In den Jahren zuvor gab es hohe Gewerbesteuereinnahmen. Ich dachte: ‚Schön, da passiert etwas, da kann man gestalten.‘ Klar, das konnte auch ein Ausreißer sein, die Gewerbesteuer ist ein Tagesgeschäft. Aber ich habe in Simbach gesehen: Wenn das Geld im Großen und Ganzen ausreicht, dann ist das ein angenehmes Arbeiten als Kämmerer. Dass es sich in Neuried dann so entwickeln würde, damit konnte niemand rechnen. Schon in meiner zweiten Gemeinderatssitzung im Mai 2023 musste ich einen massiven Einbruch bei der Gewerbesteuer verkünden. Damit kämpfen wir noch immer. In diesem Jahr sind wir mit 4,4 Millionen Euro Deckungslücke im Verwaltungshaushalt ins Haushaltsjahr gestartet.

Muss in Neuried derzeit jeden Euro mehrmals umdrehen: Kämmerer Robert Beckerbauer. (Foto: Florian Peljak)

Sie haben Gestaltungsspielraum in Unterföhring erlebt und Verzicht in Neuried. Wie unterscheidet sich der Arbeitsalltag als Kämmerer?

In Unterföhring war ich überrascht, was alles dranhängt, wenn eine Kommune finanzstark ist. Denn wo viel Geld ist, sind die Erwartungen groß, von Bürgern, vom Gemeinderat. Als ich in Unterföhring anfing, lief die Baustelle auf dem Schulcampus auf Hochtouren: 165 Millionen Euro Kosten, ein neues Gymnasium, eine Grundschule, eine Mensa, eine Turnhalle, dazu eine Tiefgarage. Da muss vieles gleichzeitig passieren, das bringt eine Verwaltung einer eher kleinen Kommune schon an die Grenzen. In einer wohlhabenden Gemeinde ist es die Hauptaufgabe als Kämmerer, auf Folgekosten von Investitionen hinzuweisen. Man muss sich den Unterhalt beispielsweise eines Bürgerhauses wie in Unterföhring dauerhaft leisten können. Das wird gerne vergessen.

Und was gibt es in Neuried zu tun?

Schon im vergangenen Jahr war es finanziell sehr eng und wir mussten eine Haushaltssperre erlassen, weil das Geld ausging. Wie das funktioniert, musste ich erst mal im Standardwerk für Kommunales Haushaltsrecht nachschauen, das habe ich noch nie erlebt. Seitdem braucht es für jede größere Ausgabe, die keine Pflichtaufgabe ist, einen Gemeinderatsbeschluss. Wir prüfen seit Monaten in der Kämmerei jeden einzelnen Haushaltsposten, ob wir etwas sparen können, da geht es auch um 100 Euro. Und dann sind da die vielen, vielen Sitzungen, in denen wir das alles nochmal im Gemeinderat durchgehen. Alles andere bleibt gerade liegen.

„Es hilft nichts, wir brauchen mehr Einnahmen.“

Wie kriegen Bürgerinnen und Bürger die Einschnitte zu spüren?

In der Gemeinderatssitzung im Juni haben wir die Kitagebühren und die Hundesteuer erhöht, die Gewerbe- und die Grundsteuer. Die Vereine bekommen weniger Geld und wir sparen bei Straßensanierungsarbeiten, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Das war sehr schmerzlich für den Gemeinderat, aber es hilft nichts, wir brauchen mehr Einnahmen. In Unterföhring kann man sich die schönen Dinge leisten wie ein Bürgerhaus und ein großes Kulturprogramm. Die Kinderbetreuung ist übrigens kostenlos. Neuried verlangt mit die höchsten Krippengebühren im Landkreis. Es hat schon Vorteile, in einer Gemeinde zu wohnen, die finanziell leistungsfähig ist, aber sozialgerecht ist das nicht.

Inwiefern ist die Finanzsituation von Neuried beispielhaft?

Ich rechne damit, dass es noch mehr Kommunen in der Region künftig so gehen wird. Ich sehe hier ein strukturelles Problem. Die Finanzkraft der Gemeinden sinkt, auch weil die Gewerbesteuereinnahmen aufgrund der schlechten Konjunktur weniger werden. Das wird sich durch die besonderen Abschreibungsmöglichkeiten für Firmen, die das Gesetz für ein steuerliches Investitionssofortprogramm des Bundes vorsieht, noch verstärken. Und die Gewerbesteuer ist eine der wichtigsten Einnahmequellen der Kommunen.  Außerdem kommen auf die Kommunen immer mehr Aufgaben zu.

Welche meinen Sie?

Noch mehr Kinderbetreuung, einen Lärmaktionsplan aufstellen, die Wärmewende schaffen und energieautark werden und vieles mehr. Gleichzeitig ist die Kreisumlage, also, was wir an den Landkreis abgeben müssen, zuletzt auf 51,8 Prozent gestiegen. Was passiert denn, wenn die Finanzkraft der Kommunen weiter sinkt? Dann wird die Kreisumlage noch weiter steigen. Unser Nachbarlandkreis Starnberg rechnet nächstes Jahr sogar mit über 60 Prozent Kreisumlage. Wie sollen Gemeinden da noch einen Haushalt planen?

Was passiert dann?

Dann müssen die freiwilligen Leistungen weiter gestrichen werden. Das geht zulasten des Vereinslebens und das ist es ja, was das Leben in einer Kommune lebenswert macht. Wenn man den Blick in die Oberpfalz oder nach Oberfranken richtet, sieht man viele Gemeinden, die seit Jahren unter Haushaltssicherung stehen, die Bedarfszuweisungen oder Schuldenbeihilfen vom Freistaat Bayern kriegen, weil sie keinen Haushalt mehr aufstellen konnten. Die mussten vorher alle freiwilligen Leistungen einstellen. Ich hoffe, dass wir daran vorbeikommen, weil dann wird es wirklich hart.

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