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Wie umgehen mit Merz’ AfD-Pakt?: Die SPD weiß nicht, ob sie lachen oder heulen soll | ABC-Z

Das gemeinsame Abstimmungsverhalten von Union und AfD ist jener Fauxpas von Friedrich Merz, auf den die abgeschlagene SPD lange gehofft hat. Doch statt Enthusiasmus über bessere Wahlkampfchancen dominiert das Entsetzen. Auf die Union zugehen will man trotzdem nicht – aus vielen Gründen.

Was hatten sie nicht gehofft bei der Sozialdemokratie, dass das passieren würde! Dass dem impulsiven Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz die Pferde durchgehen und er mit einer undurchdachten Aktion die eigenen Wahlaussichten beschädigen würde. Am Mittwoch war es nun so weit: Die Union hat mit Ansage eine Mehrheit für ihren Entschließungsantrag mit den Stimmen der AfD herbeigeführt. Am Freitag will sie das Ganze wiederholen, diesmal sogar für ein verbindliches Gesetz – das sogenannte “Zustrombegrenzungsgesetz”.

Jenseits ethischer Fragen ist der CDU-Vorsitzende damit immens ins Risiko gegangen: Die Union könnte Stimmen an die AfD, das Original in Sachen harter Flüchtlingspolitik, verlieren und zugleich SPD und Grüne stärken. Beide Parteien erwarten einen Mobilisierungseffekt im eigenen Lager und hoffen auf Unionswähler, die Merz’ Kehrtwende im Umgang mit der AfD falsch finden – so wie die langjährige CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Doch von Jubel keine Spur: Unter den Sozialdemokraten herrschen Schock und Betroffenheit vor – was sie freilich nicht davon abhält, diese Gefühlslage öffentlichkeitswirksam auf die Bühne zu bringen.

Merz auf zwei Ebenen angreifbar

Den Anfang machte ein Statement des Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich, der in Absprache mit den Grünen nach Bekanntwerden des historischen Abstimmungsergebnisses die Bundestagssitzung unterbrach. Mützenich wandte sich auf der Fraktionsebene an die Medien, die sozialdemokratischen Abgeordneten versammelten sich hinter Mützenich. Es war ein sorgsam geplantes Bild, das die große Bedeutung der gemeinsamen Mehrheit von Union und AfD in die Wohnzimmer der Republik transportieren sollte. “Betrübt und entsetzt” sei er, sagte Mützenich und warf dem Unionsfraktionsvorsitzenden Merz “Wortbruch” vor.

Das sind die zwei Ebenen, auf denen die SPD – und nicht nur sie – Merz in den verbleibenden 24 Tagen bis zur Bundestagswahl vor sich hertreiben wird: der “Dammbruch”, gemeinsame Sache mit der AfD zu machen, und der “Wortbruch”. Zu diesem hatte sich Merz im Bundestag offensiv bekannt. Er hat ihn begründet mit seinem Gewissen, unbedingt eine Kehrtwende herbeiführen zu müssen, damit die AfD nicht noch mehr Zulauf erhalte nach dem Magdeburg-Attentat und den Messermorden in Aschaffenburg.

Scholz spricht von schwarz-blauer Koalition

Zu sehen war diese erwartbare Angriffslinie der SPD noch am selben Abend: Die Wähler würden ihre Schlüsse ziehen, sagte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz im ZDF. “Natürlich spielt es eine Rolle, ob man befürchten muss, ob es hinterher eine schwarz-blaue Koalition, eine schwarz-blaue Mehrheit gibt im Deutschen Bundestag, die dann Konsequenzen hat.” Nichts deutet darauf hin, dass Merz und die übrigen Spitzen von CDU und CSU eine wie auch immer geartete Regierungszusammenarbeit mit der AfD auch nur erwägen. Doch nach Merz’ Kehrtwende haben SPD und Grüne Wahlkampffutter: Kann man diesem Kanzlerkandidaten Merz noch vertrauen, dass er nicht irgendwann auch diese Grenze einreißt, wenn es ihm politisch opportun erscheint?

Scholz ließ die Wählerinnen und Wähler im ZDF wissen, er könne Merz in dieser Frage jedenfalls “nicht mehr trauen, was ich bis vor einer Woche getan habe”. Der in Umfragen bislang weit abgeschlagene Amtsinhaber wird in den Vorgängen dieser Woche die womöglich letzte Chance sehen, doch noch Bundeskanzler bleiben zu können. Entsprechend könnte man auch bei der SPD ein wahltaktisches Interesse an einer weiteren Verhärtung des Konflikts vermuten.

Warum die SPD sich nicht am Zug sieht

Ein pro-aktives Angebot der SPD, einen Kompromiss zum “Zustrombegrenzungsgesetz” zu finden, werde es nicht geben, heißt es aus der Partei. Dabei wäre dies hypothetisch eine Möglichkeit, die Union aus den “Fängen der AfD” (Scholz) zu befreien. Es könnte ein Schritt zur Wiederannäherung sein, schließlich steuern Union und SPD auf eine Regierungskoalition zu. Wobei die nun möglichen Verwerfungen in den Umfragen dazu führen könnten, dass es gar nicht für eine Zweier-Koalition zwischen Union und SPD oder Grünen reichen wird.

Doch die SPD will Merz nicht aus der Zwangslage befreien, in die er sich nach sozialdemokratischer Lesart selbst begeben hat. Dafür hat sie gleich mehrere Gründe: erstens das erwähnte wahltaktische Kalkül, zweitens aus echter Kränkung über Merz rüdes Vorgehen, drittens beharrt man darauf, dass den beiden Attentaten in Magdeburg und Aschaffenburg Behördenfehler der unionsgeführten Länder Sachsen-Anhalt und Bayern vorausgegangenen waren. Demnach hätte es ausreichend bestehende Gesetze gegeben. Und viertens sind die Sozialdemokraten ganz und gar nicht einverstanden mit der Erzählung von Union, AfD und FDP, die SPD tue nichts zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen.

Am Abend wollen SPD und Grüne ihr Gesetz zur Umsetzung der Reform des Europäischen Asylsystems zur Abstimmung stellen. Der Union geht die Reform nicht weit genug, weil sie darin zu viele Hürden für die Unterbringung von Flüchtlingen in Staaten außerhalb der EU wähnt. SPD und Grünen hingegen sind mächtig stolz auf die Einigung, die keinem Bundesinnenminister von CDU und CSU gelungen sei. Künftig soll die Flüchtlingsverteilung und -rückführung deutlich effizienter und solidarischer verlaufen. SPD und Grüne haben hierfür sogar die Kröte geschluckt, dass künftig selbst Kinder für unbegrenzte Zeit in Lagern an den EU-Außengrenzen eingesperrt werden können.

Ferner verweist man auf die Einführung permanenter Grenzkontrollen durch die Ampel, die deutlich gesunkenen Flüchtlingszahlen, die zusätzlichen Befugnisse für Sicherheits- und Ausländerbehörden und auf ein von der Union blockiertes Sicherheitsgesetz. Auch dieses ging der Union nicht weit genug. Zugleich verweist die Union nun ihrerseits auf die Überlastung des Bundesamtes für Asyl und Flüchtlinge (BaMF), das seinen Anteil daran habe, dass der ausreisepflichtige Afghane noch frei herumlief und schließlich eine Kita-Gruppe mit einem Messer attackierte.

Vor dem Hintergrund dieser um sich greifenden Verhärtung sieht die SPD den Ball im Feld von Merz und seiner Union. Diese müssten ihre Hand reichen, statt es auf eine gemeinsame Mehrheit mit der AfD für das Zustrombegrenzungsgesetz ankommen zu lassen. Vieles spricht also dafür, dass sich das Szenario vom Mittwoch am Freitag wiederholt. In den vergangenen Wochen haben zwar praktisch alle Lager davor gewarnt, dass sich die demokratischen Parteien wie in Österreich komplett überwerfen. Doch auf ebenjenen Abgrund rasen alle Beteiligten mit zunehmender Geschwindigkeit zu.

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