Freie Demokratische Partei-Parteitag: Lindner verabschiedet sich und Christian Dürr wird gewählt – Politik | ABC-Z

Christian Lindner geht, wie er stets aufgetreten ist: beschwingt-professionell. Selbst den Abschied von seinem Lebenswerk schafft er mit Humor und Optimismus. Als er einst in der Landespolitik anfing, sei er gezwungen worden, sich um das Thema Kinderbetreuung zu kümmern, erinnert er in seiner Rede auf dem FDP-Parteitag am Freitag. Jetzt hört er auf mit der Parteiarbeit und ist gerade Vater geworden, kennt sich jetzt also auch privat und praktisch mit Windeln aus. „Am Ende meiner politischen Laufbahn, am Beginn meiner zweiten Karriere steht wieder Kinderbetreuung, es schließt sich ein Kreis“, sagt Lindner fröhlich.
Seine gute Laune steckt an, die FDP-Delegierten klatschen viel für Lindner. Die Partei hat ihm ja auch einiges zu verdanken, Lindner zählt seine Leistungen in seiner Rede praktischerweise selbst auf: Die FDP habe mehr Mitglieder und sei moderner aufgestellt als bei seinem Amtsantritt 2013. Die Liberalen haben, wie Lindner sagt, es „übrigens“ zum ersten Mal in der Geschichte geschafft, zweimal hintereinander bei einer Bundestagswahl zweistellig zu werden. Es ist seine größte Leistung, die seine Partei nicht vergessen wird.
Einen emotionalen Moment lässt Lindner zu
Die FDP hat es unter Lindner aber auch geschafft, zum zweiten Mal aus dem Bundestag zu fliegen. Doch detailliert über die Gründe für diese Misere will Lindner nicht reden, dafür sei „heute nicht der Anlass“. Er wollte nur zwei Deutungen nennen, warum die FDP in der Ampelzeit an Zustimmung und Glaubwürdigkeit verloren habe: „Die einen fanden, wir hätten zu viele Kompromisse mit linken Parteien beschlossen und deshalb unser Profil verloren“, sagt Lindner. „Die anderen fanden, wir hätten mehr Kompromissbereitschaft zeigen müssen, um nicht zum Blockierer reduziert werden zu können.“ Welche Deutung stimmt und was folgt daraus? Dazu von ihm kein Wort.
Nur einmal ist Lindner während seiner Rede ein Moment der Betroffenheit anzusehen, kurz nachdem er seiner Frau öffentlich gedankt hat, weil sie ausgehalten habe, dass er so wenig Zeit für sie hatte: „Obwohl du mich geheiratet hast und nicht die FDP.“ Sie sei ein Korrektiv für ihn gewesen: „Wenn ich deprimiert war, das kam häufiger vor, hast du mich aufgebaut“, sagt Lindner. „Das bedeutet mir alles und das werde ich nie vergessen.“ Die Partei applaudiert, Lindner schaut länger nach unten, muss kurz durchatmen. Dann geht es in seiner Rede weiter mit Weltpolitik, professionell.
Aus Lindners Schatten zu treten, dürfte Dürr schwerfallen
Auf diesem Parteitag will die FDP aber eigentlich nach vorn schauen. Und vorn, da steht jetzt Christian Dürr, der Nachfolger von Lindner als Parteivorsitzender. Bei Redaktionsschluss lag Dürrs Wahlergebnis noch nicht vor. Doch sicher ist: Für ihn wird es ziemlich schwer werden, aus Lindners Schatten zu treten. Schuld daran ist Dürr selbst, aber auch sein Vorgänger.
Denn der 46-jährige Lindner ist noch zu energiegeladen, um sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen. Er hat bereits angekündigt, sich auf Social Media weiter politisch zu äußern. Bereits kommentiert hat er dort Rentenideen der SPD (schlecht) und die Chancen der Kanzlerschaft von Friedrich Merz (mal sehen). Die Droge Politik bringt neben Ärger eben auch Aufmerksamkeit und Anerkennung und ist offenkundig schwer abzusetzen, zumal wenn der Entzug einen so kalt ereilt wie im Falle Lindner. „Ihr merkt, mir fällt dieser Abschied nicht leicht“, gibt er in seiner Parteitagsrede zu. „Mein liberales Herz will eigentlich schon wieder losstürmen, die nächsten hundert Veranstaltungen planen, Beschlüsse auf den Weg bringen, die Groko stellen, Menschen gewinnen.“ Aber der Verstand sage ihm, dass alles seine Zeit habe.
Dass Lindner jederzeit die politische Lage kommentieren könnte, erschwert Dürr den Start, weil es Aufmerksamkeit von ihm weglenkt. Dürr ist deutlich weniger bekannt als Lindner. Ein Stück weit ist das natürlich normal, wenn ein langjähriger Parteichef an einen neuen übergibt, und kann sich mit der Zeit auch ändern. Aber da ist noch mehr.
Dürr macht es sich bisher auch selbst schwer. Anders als Lindner nach der Wahlniederlage 2013, griff er nach der Wahlniederlage nicht direkt nach der Macht in der FDP. Stattdessen überlegte er lange, ob er den Job übernehmen sollte. Manche in der Partei hatten schon vorher Zweifel, ob Dürr politisch stark genug ist, um eine verunsicherte FDP zu führen. Sein Zögern hat diese Zweifel zunächst nicht zerstreut. Lindner dagegen hat die FDP straff geführt. Seine Autorität war bis zuletzt nicht angegriffen.
Die Vorstellung der Generalsekretärin verpatzte Dürr
Ebenfalls schlecht lief Dürrs Vorstellung seiner Generalsekretärin. Es hätte ein guter Moment für die neue FDP in der Öffentlichkeit werden können: Dürr will Nicole Büttner ins Amt bringen, eine 40-jährige Geschäftsführerin einer KI-Beratungsfirma. Er wollte die Personalie auf Social Media verkünden, in einem Live-Video auf Instagram. Die FDP brauche mehr eigene Influencer, müsse digitaler werden, findet Dürr.
Dieser Versuch blieb jedoch verkrampft. Die neue Generalsekretärin stellte er an dem Brücken-Freitag nach dem 1. Mai vor und dann auch noch abends – also zu einem Zeitpunkt mit miesen Online-Einschaltquoten. Zudem war das Video über sein Instagram-Konto anfangs nicht zu finden. Anschauen konnte es nur, wer den Account einer FDP-Kollegin aus Nordrhein-Westfalen ansteuerte, die noch weniger Follower hat als Dürr. Daher waren lediglich 109 Menschen auf Instagram dabei, als Büttner vorgestellt wurde, auch später wurden es nur ein paar Dutzend mehr.
Eine verpasste Chance. Die größere FDP-Meldung in den Medien Anfang Mai war dann auch, dass Christian Lindner auf einem Restaurantparkplatz einen Hund angefahren hatte.
Zugestehen muss man Dürr: Richtig loslegen konnte er noch nicht. Aus Respekt vor dem Parteitag hielt er sich öffentlich zurück, hatte wenige Auftritte. Und die Parteizentrale, das Genscher-Haus in Berlin, konnte ihn vor der Wahl noch nicht unterstützen.
Unter Lindner waren die beiden großen Strömungen der FDP ziemlich verdeckt, die Progressiven und die Konservativen in der Partei traten nach außen nicht getrennt auf. Das war eine Lehre aus 2013, als die Liberalen die Wahl auch deswegen verloren, weil sie so zerstritten waren. Christian Dürr muss sich nun entscheiden, wie viel Raum er den beiden Strömungen gibt. Mehr Raum könnte die FDP breiter wirken lassen und verlorene Wähler zurückholen. Zu viel Raum für die Strömungen ginge allerdings zulasten der Einigkeit und könnte Wähler abschrecken, weil sie nicht wissen, wofür die Liberalen stehen.
Auf Lindner warten schon neue Bühnen, etwa bei der Konferenz „The Sound of Money“
Bemerkenswert ist eine Umfrage der Berliner Universitäten FU und HU, die kurz nach der Bundestagswahl stattfand. Demnach sind die Wähler bei der FDP untereinander emotional so gespalten wie bei keiner anderen Partei. Wähler politischer Konkurrenten finden sich untereinander in der Regel recht sympathisch. Bei der FDP ist es anders, ihre Wähler finden sich bisweilen gegenseitig ziemlich unsympathisch. Auch der Platz der Liberalen im Parteiensystem wird völlig unterschiedlich eingeschätzt.
Es gibt also Diskussionsbedarf. Vor wenigen Tagen konnten die Liberalen gar nicht aufhören zu diskutieren. Dürr traf Parteimitglieder im Berliner Südwesten, der Saal war voll, die Fragen nahmen kaum ein Ende. Bei Lindner bildeten sich nach solchen Terminen Schlangen von Menschen, die ein Selfie wollten. Bei Dürr passierte das an diesem Abend nicht, nach einem Foto war die Selfie-Nachfrage schon bedient.
Lindners Abschiedsrede auf dem Parteitag ist sein letzter Auftritt auf der FDP-Bühne, aber andere Bühnen warten schon auf ihn. In wenigen Tagen wird er wieder auftreten, als Finanzminister a.D. Die alte rot-grüne Bundesregierung hat Lindner genehmigt, dass er in der Karenzzeit als bezahlter Vortragsredner auftreten darf. Anfang Juni reist Lindner als Stargast einer Wirtschaftskonferenz ins bulgarische Sofia. Ein erster Schritt auf dem Weg vom Politikerleben zurück in die besser bezahlte Privatwirtschaft. Titel der Veranstaltung: „The Sound of Money“.