Gegen Trump hilft ihm nur eine Doppelstrategie | ABC-Z

Berlin. Ukraine, Gaza, Zollkrieg: Der Kanzler sollte eine Europa-Vision à la Helmut Kohl 2.0 entwerfen, die zu Stärke und Geschlossenheit führt.
Wohl kaum eine Bundesregierung musste zu Beginn ihrer Amtsperiode so viele Krisen und Kriege gleichzeitig anpacken wie die neue Koalition. Ein Überblick über die wichtigsten außenpolitischen Baustellen für den Kanzler und den Außenminister.
Ukraine-Krieg und Aufrüstung der Bundeswehr
In Europa hat sich die Überzeugung durchgesetzt: Der Ukraine-Krieg ist nicht nur ein regionaler Konflikt. Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Wirtschaft seines Landes auf Kriegsproduktion getrimmt. Westliche Geheimdienste warnen vor einem Angriff Russlands auf Nato-Territorium in den kommenden Jahren. Deshalb muss die neue Bundesregierung die eigenen Streitkräfte massiv aufrüsten.
Doch es geht nicht nur um Panzer, Kampfjets oder Drohnen. Darüber hinaus gilt es, die Wehrfähigkeit gegenüber Cyber-Attacken und hybrider Kriegsführung hochzufahren. Die Bundeswehr, die auf rund 180.000 Kräfte herunterreduziert wurde, muss auch personell aufgestockt werden. Der schwarz-rote Koalitionsvertrag orientiert sich „zunächst“ an dem Modell eines freiwilligen Wehrdienstes. Um der Kriegsskepsis in Teilen der Bevölkerung entgegenzuwirken, muss die Bundesregierung mit Nachdruck für ihren Kurs werben. Ein Land ist nur dann wehrhaft, wenn es mental stark ist.
Die Frage, ob Deutschland der Ukraine „Taurus“-Marschflugkörper liefern soll, könnte zur innenpolitischen Zerreißprobe werden. Der neue Kanzler Friedrich Merz (CDU) hat dies vorgeschlagen. Moskau warnte vor einer „direkten Beteiligung“ Deutschlands am Krieg. SPD-Chef Lars Klingbeil hat deutlich gemacht, dass seine Partei bei ihrem Nein bleibt.
Europas Verteidigung: Selbstständigkeit statt Abhängigkeit von Amerika
Die EU kann nicht mehr auf den militärischen Schutzschirm Amerikas bauen. Sie muss in relativ kurzer Zeit gewaltige Summen für die eigene Verteidigungsfähigkeit lockermachen. Die neue Bundesregierung ist gefordert, am Aufbau einer schlagkräftigen europäischen Streitmacht mitzuwirken und sich bei der Bestellung von Waffen mit den Partnern abzusprechen.
Merz sollte eine Europavision à la Helmut Kohl 2.0 entwerfen, die Stärke und Geschlossenheit zum Ziel hat. Da die EU oft zu schwerfällig agiert, bedarf es in Zukunft öfter einer Koalition der Willigen. Ankerländer sind außer Deutschland die Atommächte Frankreich und Großbritannien sowie Polen und Italien.
Der Kanzler muss vor allem den Schulterschluss mit Frankreich wiederherstellen. Die Appelle von Präsident Emmanuel Macron für ein souveränes Europa wurden in Berlin zu lange ignoriert. Auch sollte Macrons Angebot, den Atomschirm seines Landes auf Europa auszudehnen, ernsthaft geprüft werden.

Friedrich Merz (rechts) bei seinem Antrittsbesuch am 7. Mai in Paris.
© Getty Images | Tom Nicholson
USA: Kühlen Kopf bei Trump & Co bewahren
US-Präsident Donald Trump hat die transatlantischen Beziehungen zerrüttet. Die Vereinigten Staaten entwickeln sich zu einer Großmacht mit imperialen Ambitionen. Dass Trump zudem Freund und Feind mit der Zollkeule traktiert, unterstreicht: Die Welt erlebt durch Putins Aggressionskrieg und Trumps „America First“-Nationalismus einen doppelten Epochenbruch.
Das Kanzleramt und das Außenministerium müssen bei Trump & Co. kühlen Kopf bewahren. Es empfiehlt sich eine Doppelstrategie. Deutschland sollte alles daransetzen, dass Europa in Washington politisch geschlossen auftritt und seinen Hebel als Handelsmacht ausspielt. Auf Trumps Zolldrohung sollte eine robuste Zoll-Gegenwehr aufgezeigt werden, die die amerikanische Wirtschaft schmerzt. Gleichzeitig sind Europa und Deutschland gut beraten, die Tür zu Verhandlungen nie zuzuschlagen. Es bedarf diplomatischer Geschmeidigkeit, um die USA in der Nato zu halten – auch als Abschreckung gegen Putins Expansionsträume.

US-Präsident Donald Trump hat die transatlantischen Beziehungen zerrüttet.
© Uncredited/Pool/dpa | Uncredited
Zollkrieg und Diversifizierung der Wirtschaft
Trumps Zollkrieg ist ein Angriff auf die Globalisierung. Die exportgetriebene deutsche Wirtschaft sollte daher ihre Abhängigkeit vom volatilen US-Markt zurückfahren und sich neue Absatzgebiete suchen: noch mehr in Europa, Lateinamerika, Afrika sowie in Ostasien einschließlich China. Das heißt keine Abkoppelung von einem bestimmten Wirtschaftsraum – auch nicht vom amerikanischen, aber eine viel breitere Diversifizierung. Wirtschaft wird zwar durch Unternehmen gemacht. Aber die Politik kann wichtige Dienste als Türöffner leisten.
Naher Osten: Israel und Iran
In Nahost können Deutschland und die EU nur von der Seitenlinie aus Akzente setzen. Mit Trumps Unterstützung hat Israels Premier Benjamin Netanjahu einen Freifahrtschein für seine massive Bombardierung des Gazastreifens. Im Kampf gegen die Hamas nimmt er in Kauf, dass Zehntausende Zivilisten getötet werden.
Zu schweren innenpolitischen Verwerfungen könnte es kommen, sollte Merz sein Versprechen wahrmachen und Netanjahu nach Deutschland einladen. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte gegen Israeli einen Haftbefehl wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen verfügt. Weil Deutschland das Römische Statut des IStGH ratifiziert hat, müsste es den Haftbefehl eigentlich vollstrecken. Die Debatte würde die Bundesregierung in ein tiefes Dilemma stürzen: Einerseits besteht eine historische Verantwortung gegenüber Israel, andererseits hat sich Deutschland immer für die Durchsetzung internationalen Rechts eingesetzt. In der SPD und in der Linkspartei wurde Merz’ Ankündigung kritisiert.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Die USA versuchen derzeit, den Iran zu einem Abkommen zu drängen, das die Herstellung von Atombomben nachweislich ausschließt. Deutschland sollte zusammen mit seinen europäischen Partnern den Druck der Amerikaner flankieren. Sollte das Mullah-Regime über Kernwaffen verfügen, würde ein nuklearer Rüstungswettlauf im Nahen Osten drohen – mit unabsehbaren Folgen.