Eiskunstlauf startet in Olympiasaison: Mehr Spektakel als gewöhnlich – was machen die Dueutschen? – Sport | ABC-Z

Olympischen Paarlauf gab es schon, bevor die Winterspiele 1924 erfunden wurden. Seitdem haben sich die Läufer ununterbrochen die interessantesten Kunststücke im Duett auf Glatteis ausgedacht – erst noch am Boden, später auch in der Luft. Der jüngste Einfall stammt von dem kanadischen Duo Deanna Stellato-Dudek und Maxime Deschamps: Sie führten kürzlich einen Rückwärtssalto auf. Genauer gesagt hat Deschamps seine Partnerin aus dem Stand in die Flugbahn katapultiert. Es lässt sich nun darüber streiten, was das Erstaunlichste an dieser Welturaufführung im Wettkampf war: dass Stellato-Dudek beim Grand-Prix-Auftakt in Angers nicht versehentlich die Nase des Gefährten erwischte; oder dass ihr die Premiere unfallfrei im Alter von 42 Jahren gelang. Ihr Enthusiasmus ist jedenfalls ungebrochen: Ursprünglich hatte sie beim Salto sogar von seiner Schulter abspringen wollen – dieses halsbrecherische Risiko hat ihr Deschamps, 34, gerade noch ausreden können, erzählte sie amüsiert.
Die Kanadier Stellato-Dudek/Deschamps waren Paarlauf-Weltmeister 2024. Ihr Salto mortale liefert den untrüglichen Hinweis darauf, dass der Eiskunstlauf, das große Theater des Sports, wie alle vier Jahre eine besondere Spielzeit erlebt. Angebrochen ist die Olympiasaison, die Spielzeit einstudierter Spektakel, in der mehr Kapriolen als sonst im Kalender stehen.
:“Meine Heimat war eine Zeit lang nur das Eis”
Katarina Witt war zweimal Olympiasiegerin, viermal Weltmeisterin und eine Weltberühmtheit in Ost und West. Ein Gespräch über ein DDR-Kind als Eiskunstlauf-Rockstar in den USA, verlorene Wurzeln, ein verschwundenes Land – und das emotionale Ankommen in der Bundesrepublik.
Wenn an diesem Wochenende auch die Europameister aus Berlin, Minerva Hase und Nikita Volodin, beim Traditionsturnier Skate Canada in die Grand-Prix-Serie einsteigen, werden sie in Saskatoon auf Stellato-Dudek/Deschamps treffen. Nicht, dass der Salto den Kanadiern besonders viele Punkte einbringen würde: Er ist kein eingetragenes, zertifiziertes Element. Dass sie ihn überhaupt ins Programm nahmen, liegt wohl hauptsächlich daran, dass er seit voriger Saison nicht mehr verboten ist. Als die fabelhafte Französin Surya Bonaly – die einzige Frau, an deren Rückwärtssalto sich Stellato-Dudek erinnert – das Kunststück 1998 in ihrer Solo-Kür bei den Winterspielen von Nagano aufführte, musste sie noch mit Punktabzügen rechnen. Aber es geht beim Kufentheater vor Publikum und Juroren immer auch um Kreativität. Und um den kühl kalkulierten Überraschungseffekt.

In dieser Hinsicht ist dem chinesischen Verband bislang der größte Coup gelungen. Er zauberte vergangene Woche beim Cup of China in Chongqing, dem zweiten Grand Prix des Winters, die Olympiasieger Sui Wenjing und Han Cong aus dem Hut. Die Verblüffung war tatsächlich so groß, als hätte man in der Millionenstadt am Jangtse weiße Kaninchen oder weiße Delfine gesichtet. Sogar Kollegen wie Annika Hocke und Robert Kunkel, das zweite deutsche Spitzenpaar, waren erstaunt, als sie Sui und Han mit großer Entourage in der Trainingshalle in Chongqing erblickten.
Denn Sui/Han waren seit Februar 2020, seit sie in Peking mit Gold dekoriert wurden, nicht mehr bei Wettbewerben aufgetaucht. Zwar gab es Gerüchte um ein Comeback der zweimaligen Weltmeister aus Harbin, die seit 2007 Hand in Hand übers Eis liefen. Aber Han, mittlerweile 33, hatte eine Stelle als Universitätslehrer angenommen und zehn Kilogramm an Gewicht zugenommen, wie der Weltverband ISU zu berichten wusste. Sui, 30, probierte unterdessen, mäßig erfolgreich, Paarlauf mit anderen Partnern aus. Noch im September, als bei der Olympiaqualifikation für die Winterspiele 2026 in Mailand im Februar ein Teilnehmerplatz für China gesichert werden musste, vertrauten die Funktionäre die nationale Aufgabe einem jüngeren Duo an.
„Wir waren überrascht, dass sie mitgelaufen sind“, hat Robert Kunkel am Mittwoch nach der Rückkehr aus Chongqing gesagt. Weder dem Duo Hocke/Kunkel noch dem Publikum war entgangen, dass es den Sprüngen und artistischen Hebungen der Olympiasieger nach der langen Pause noch ein wenig an Sicherheit fehlt. Sie wurden trotzdem Dritte, und Sui schickte im Hinblick auf die Winterspiele sogleich eine kleine Warnung an die Weltelite: „Kein Athlet will nicht gewinnen, und wir streben definitiv die Goldmedaille an“, erklärte sie. Nach so kurzer Übungszeit wieder wettbewerbsfähig zu sein, sei schließlich Motivation genug.

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Bei einem Sturz im Sommer schlitzen die Kanten von Annika Hockes Schlittschuhen beide Hände von Robert Kunkel auf
Annika Hocke, 25, und Robert Kunkel, 26, die EM-Dritten von 2023, wurden diesmal Sechste des Wettbewerbs, ihnen fehlt ebenfalls noch Routine nach einem schockierenden Eisunfall und dem resultierenden wochenlangen Trainingsausfall. Ende Juli waren sie gestürzt und so unglücklich gefallen, dass die messerscharfen Kanten von Annika Hockes Schlittschuhen beide Hände Kunkels aufschlitzten. Eine Hauttransplantation war notwendig. Inzwischen fühle er nur noch eine „minimale Einschränkung der Beweglichkeit“, sagt Kunkel, aber eher im Alltag und nicht auf dem Eis, wenn er seine Partnerin bei komplizierten Hebungen mit Händen trägt und hält. Beim Wettkampf in China haben sie jetzt eine weitere Leistungssteigerung festgestellt. Und fast nebenbei nach Punkten die Olympiavorgaben der Deutschen Eislauf-Union gemeistert. Auch den Sportdirektor der DEU, Jens ter Laak, hat ihr Auftritt nach der erschütternden Vorgeschichte, wie er sagte, „sehr positiv überrascht“.
Das Publikum lässt sich bislang von den Kapriolen und Knalleffekten der Eistheatersaison faszinieren, von den Salto-Kanadiern oder den Comeback-Chinesen. Manche Überraschung indes entwickelt sich fast im Stillen. Die Paarlaufexperten etwa zeigen sich beeindruckt von der kühlen Souveränität, die derzeit das junge georgische Paar Anastasija Metelkina und Luka Berulava auf der Eisfläche zelebriert. Metelkina/Berulava waren zweimal Juniorenweltmeister und im jeweils selben Jahr gleichzeitig schon EM-Medaillengewinner bei den Senioren. Auch in China ließen sie jetzt Konkurrenz hinter sich. Ebenfalls hoch im Kurs stehen die japanischen Weltmeister Miura/Kihara, die WM-Dritten Conti/Macii aus Italien – sowie die WM-Zweiten Minerva Hase/Nikita Volodin. DEU-Sportdirektor ter Laak sieht eine „sehr enge Dichte“ in der Weltspitze: „Es gibt vier oder fünf Top-Paare, die fast gleichauf sind.“
Die Glanzlichter in der Grand-Prix-Serie zauberten in den vergangenen beiden Jahren die in Berlin trainierenden Europameister Minerva Hase und Nikita Volodin aufs Eis, die zweimal im Finale triumphierten. Für sie hebt sich, nach zwei kleineren Wettkämpfen, jetzt in Kanada der Vorhang. Aber auch sie haben eher im Stillen die Voraussetzung für ihre Olympiasaison erarbeitet. Nikita Volodin, in St. Petersburg geboren, hat zum Beispiel den Einbürgerungstest bestanden. Ganz ohne Trommelwirbel.





















