SPD, Grüne und FDP in Streitlust: Plötzlich wackelt das Sicherheitspaket der Ampel wieder | ABC-Z

Kaum ist die Landtagswahl in Brandenburg ausgezählt, gibt es in der Ampelkoalition kein Halten mehr: Sowohl in einer öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am Montag als auch in der nicht-öffentlichen Sitzung des Digitalausschusses am Mittwoch brachen alle Dämme.
Auf breiter Front kritisierten die Bundestagsabgeordneten das Sicherheitspaket, das die Bundesregierung Anfang September als Reaktion auf den Anschlag in Solingen verabschiedet hatte. Die Diskussion zwischen den Digitalpolitikern und der Parlamentarischen Staatssekretärin (PSt) des Bundesinnenministeriums (BMI) wurde sogar so laut, dass man sie im Bundestag bis vor verschlossene Türen hören konnte.
Im Verlauf der Sitzung fragte ein Abgeordneter der FDP die BMI-Vertreterin demnach, wie es im Ministerium und speziell bei Innenministerin Nancy Faeser ankomme, dass ihr hauseigenes Gesetz von den Sachverständigen ein derart vernichtendes Urteil erhalten hat. Rita Schwarzelühr-Sutter, die Parlamentarische Staatssekretärin, reagierte empört, soll geantwortet haben: „Also noch sind wir eine Ampel. Und ich verstehe Ihre Kritik jetzt nicht. Es haben ja Minister aller Parteien im Kabinett zugestimmt.“
Ursprünglich ging die Unterstützung der Ampelparteien demnach sogar noch weiter: So soll das BMI nur eine Formulierungshilfe für die umstrittenen Sicherheitsgesetze vorgelegt haben, die fertigen Entwürfe kamen angeblich von den Spitzen der Koalitionsfraktionen.
Bis zur letzten Landtagswahl hielten die Ampelfraktionen die Füße still
Von der betonten Einigkeit nach Solingen ist in der ersten Sitzungswoche nach der Sommerpause jedenfalls nichts mehr übrig. Aus Fraktionskreisen heißt es, zahlreiche Abgeordnete hätten intern bereits die Zustimmung verweigert, wenn das BMI nicht nachbessert. Bei so viel Gegenwehr aus den eigenen Reihen hatte die Opposition im Digitalausschuss wenig zu tun.
Der CDU-Politiker Thomas Jarzombek fragte bei Schwarzelühr-Sutter und diversen Unterabteilungs- und Referatsleitern aus dem Bundesjustizministerium nach, welche der Befugniserweiterungen für die Ermittler den Anschlag von Solingen hätten verhindern können. Eine Antwort soll das BMI schuldig geblieben sein. Es gab lediglich einen Hinweis, dass man möglicherweise die Identität des Täters schneller hätte klären können.
Wie berichtet sollen die Ermittler von Bundeskriminalamt (BKA) und Bundespolizei künftig biometrische Daten von Gesichtern und Stimmen mithilfe von Künstlicher Intelligenz, also automatisiert, mit dem Internet abgleichen dürfen. Unter anderem mit allem, was an Video- und Bild- und Tonmaterial frei in sozialen Netzwerken verfügbar ist.
Weiter soll das BKA Befugnisse zur „Weiterverarbeitung von Daten zu weiteren Zwecken“ bekommen. Damit wird das BKA personenbezogene Daten zur Entwicklung, Überprüfung oder zum Trainieren von IT-Produkten weiterverarbeiten können und unter bestimmten Umständen an Dritte übermitteln. Dazu sollen laut Gesetzentwurf KI-gestützte Datenbanken angelegt werden.
Innenministerium zeigt wenig Einsicht
Den härteren Schlagabtausch lieferte sich die Parlamentarische Staatssekretärin im weiteren Sitzungsverlauf mit den Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP. Eine Abgeordnete der SPD fragte dem Vernehmen nach, ob das BMI drei Tage nach der Kritik von Rechtsexperten weiterhin der Meinung sei, die Sicherheitsgesetze seien verfassungs- und datenschutzkonform. Darauf soll die BMI-Vertreterin geantwortet haben: Ja, die Gesetze benötigten lediglich kleine Präzisierungen.
Am BMI prallt die Kritik ab wie von Teflon.
Damit widerspricht die Staatssekretärin unter anderem der Einschätzung der Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI), die ganz deutlich Nachbesserungen gefordert hatte und Teile für rechtswidrig hält. Die Grünen kritisierten, dass die Regierung versäumt hatte, die BfDI bereits im Entstehungsprozess der Gesetze einzubinden. „Am BMI prallt die Kritik ab wie von Teflon“, beschrieb eine Sitzungsteilnehmerin hinterher ihren Eindruck.
Auch zu den zahlreichen offenen Fragen zu Ablauf und Technik hatte das Ministerium keine neuen Erkenntnisse. Bereits am Montag war deutlich geworden, dass es zum Beispiel keine einheitliche Definition davon gibt, was überhaupt biometrische Daten sind. Auch woher die Bilder, Videos und Tonspuren für die KI-gestützten Datenbanken kämen, sei unklar. Wie diese Daten von Tätern, Opfern und Unbeteiligten geschützt werden, lässt das Gesetz zur Terrorbekämpfung ebenfalls offen.
Unklar ist auch, wie die automatisierte Datenanalyse ablaufen soll: Mit einer eigenen Datenbank für BKA, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie Polizeibehörden, oder müssen die Ermittler jedes Mal einen Echtzeitabgleich mit dem Internet durchführen, oder lagert man das Problem an Privatunternehmen aus?
Techniklösung aus dem Zauberhut
Antworten zur technischen Umsetzung und Machbarkeit blieb das Innenressort schuldig. Schwarzelühr-Sutter verwies lediglich auf den Wunsch, das Gesetz solle technikoffen formuliert werden. So, als würden die Sicherheitsgesetze den rechtlichen Rahmen bilden für eine Technologie, die erst noch gesucht oder entwickelt werden muss. Dies veranlasste einen Abgeordneten aus den Regierungsfraktionen zum Kommentar: „Einen Blankoscheck unterschreibe ich nicht.“
Haben die Sicherheitsgesetze – mit ihrer Fallhöhe durch den Bezug zum Anschlag in Solingen – also die Sprengkraft, die Ampel auseinander zu reißen? Wir haben uns umgehört und die Digitalpolitiker um ein Zwischenfazit gebeten.
Es ärgert mich schon lange, dass ständig so getan wird, als ob Technik und Künstliche Intelligenz unsere gesellschaftlichen Probleme lösen könnten.
Es gebe bei den Sicherheitsgesetzen an vielen Stellen noch große Fragezeichen, sagt Anna Kassautzki (SPD). „Es ärgert mich schon lange, dass ständig so getan wird, als ob Technik und Künstliche Intelligenz unsere gesellschaftlichen Probleme lösen könnten“, sagte die SPD-Digitalpolitikerin. Nach jetzigem Stand gebe es keine Verfahren am Markt, welche grundrechts- und datenschutzkonform die beschriebenen Aufgaben lösten.
Der digitalpolitische Sprecher der FDP-Fraktion hatte bereits am Montag im Innenausschuss kritische Nachfragen gestellt. Nach der weiteren Befassung mit den Sicherheitsgesetzen kommt Maximilian Funke-Kaiser zum Schluss: „Es dient der öffentlichen Sicherheit in Deutschland nicht, wenn wir den Sicherheitsbehörden neue Instrumente an die Hand geben, die nicht bürgerrechtskonform sind.“ So verspiele die Ampelkoalition Zeit, und das Vertrauen der Bürger in den Gesetzgeber nehme weiter ab.
„Nahezu die gesamte digitalpolitische Expertise unseres Landes kommt zur Schlussfolgerung, dass der aktuelle Gesetzesentwurf aus dem Haus von Nancy Faeser einer bürgerrechtlichen Erosion gleicht“, sagt die Innen- und Digitalpolitikerin Misbah Khan. Durch die Arbeit des Parlaments müsse nun ein Maßnahmenpaket her, das die Bürgerrechte aller Menschen garantiere und gleichzeitig die Sicherheitslage maßgeblich verbessere, sagte die Grünen-Politikerin.
Die Ampel ist angetreten als Koalition der Bürgerrechte und macht nun das Gegenteil davon!
Nachdem sie eine lange Liste an offenen Fragen und Bedenken vorgetragen hatte, kam die Digitalpolitikerin der Linken zum Schluss: „Die Ampel ist angetreten als Koalition der Bürgerrechte und macht nun das Gegenteil davon!“ Anke Domscheit-Berg warf der Bundesregierung vor, die durch Desinformationskampagnen geschürte Angst vor Migranten schamlos auszunutzen, um staatliche Überwachungsfantasien in der Hoffnung auf geringeren Widerstand durchzupeitschen.
Der heftige Widerstand aus dem Parlament und der Zivilgesellschaft scheint jedenfalls dazuzuführen, dass die Bundesregierung die Sicherheitsgesetze nun doch nicht im Eilverfahren durch den Bundestag bringen will. So ist in der letzten Septemberwoche keine zweite und dritte Lesung im Bundestag vorgesehen.
Für den Oktober steht die Tagesordnung noch nicht fest. Bleibt abzuwarten, ob die Kritik aus den Ampelfraktionen nur ein Schattenboxen ist, oder tatsächlich zu Änderungen am Gesetzestext führt.