„Wenn die Spieler jubeln, sollen keine Frauen zu sehen sein“ | ABC-Z

Das war das letzte Match unter Präsident Khatami, das letzte Spiel, bei dem wir die Stimme erheben konnten. Wir spürten die Bedrohung durch die Extremisten, sie kamen. Bis zur Präsidentschaftswahl war es noch eine Woche, in Teheran waren viele internationale Journalisten. Und es war ein wichtiges Spiel.
Wie hatte sich die Gruppe gefunden?
Die Menschen hatten während Khatamis Amtszeit (1997 – 2005; d. Red.) acht Jahre daran gearbeitet, eine Zivilgesellschaft aufzubauen. Frauenrechte wurden eingefordert. Bis dahin galt man als Fußballfan nicht als intellektuelle Person. Aber das änderte sich unter dem Blickwinkel der Frauenrechte. Ab 2001 gab es das Internet, Weblogs wurden sehr wichtig, wir konnten uns vernetzen, an den Staatsmedien vorbei. Unsere Stimmen waren ungefiltert zu lesen. Und es gab auf einem Blog einen Aufruf zum Stadionprotest.
Ich war damals Ingenieursstudentin. Ich hatte keine Vorgeschichte, was politisches Engagement angeht. Aber es kamen Menschenrechtsanwältinnen, Künstlerinnen, ganz unterschiedliche Frauen, die alle Fußballfans waren. Und ich hatte mit acht Jahren meinen Vater verloren, bin mit einer alleinerziehenden Mutter in einer patriarchalischen Gesellschaft groß geworden. Ich wollte Feministin werden.
Was haben Sie vom Tag des Spiels in Erinnerung?
Anwälte hatten dem Gouverneur von Teheran angemeldet, dass wir ins Stadion wollen. Der hat gar nicht reagiert, glaube ich. Ich hatte an dem Tag ein wichtiges Examen an der Uni, in der Nähe des Azadi-Stadions, das mindestens bis zur Halbzeitpause dauern würde. Also rannte ich, Smartphones hatten wir ja nicht, hinterher sofort zum PC, um auf dem Blog zu schauen, wie die Lage ist. Ich sah, dass die anderen vor dem Tor demonstriert hatten. Ein Mädchen hatte sich dabei den Fuß gebrochen, es war chaotisch. Khatami war zum ersten und einzigen Mal im Stadion, und ziemlich weit oben muss jemand entschieden haben: Okay, lassen wir sie rein. Und das hatte ich dann leider verpasst.
Es waren Frauen im Stadion bei dem Spiel?
Ja, in der zweiten Halbzeit. Im Film „Offside“ von Jafar Panahi, der erzählt, wie sich Mädchen als Jungs verkleiden, um rein zu kommen, heißt es etwa in der Mitte des Films: „Draußen protestieren die Mädchen mit den weißen Kopftüchern.“

Der Film wurde mit dem Silbernen Bären bei der Berlinale ausgezeichnet. Hat Panahi mit Open Stadiums gesprochen?
Nein. Er wird auch die Blogs gesehen haben. Sogar ein paar Zeitungen haben darüber geschrieben, die Pressezensur war unter Khatami nicht so strikt. Und Jafar Panahis Tochter wollte zum Spiel und durfte nicht. Deshalb kannte er das Thema. Und als Deutschland ein dreiviertel Jahr vorher in Teheran gespielt hatte, waren auch schon sieben bis zehn Frauen am Stadion und protestierten. Sie wurden verprügelt. Dieses Thema baute sich auf.
Wie ging es mit Ihrer Gruppe weiter?
Bis 2009 waren wir eine Mischung aus Fans und einer Frauenrechtsgruppe, „Meydan“. Beim Aufstand der „Grünen Bewegung“ wurden die meisten der Meydan-Aktivistinnen verhaftet. Danach war es nicht mehr dasselbe. Die eine Hälfte ging ins Exil, die andere beendete den Protest rund um die Stadien. Aus der ursprünglichen Gruppe sind außer mir noch ein, zwei Frauen aktiv. Aber 2013, 2014 durften Frauen beim Volleyball plötzlich auch nicht mehr zuschauen. Jetzt gab es social media, es wurde für uns sehr viel leichter, auch internationale Aufmerksamkeit zu bekommen. Die nächste junge Generation wurde diskriminiert. Die haben sich engagiert und die Kampagne ist gewachsen. Das Thema wurde prominent.
Während der zweiten Amtszeit von Präsident Rohani (2017 – 2021; d. Red.) war es eine der zentralen Forderungen, landesweit, bis in die Kleinstädte und Dörfer hinein. Das ganze Land bekam mit, als sich 2019 Sahar Chodayari, „Blue Girl“, aus Protest gegen eine Inhaftierung, weil sie ein Fußballspiel besucht hatte, selbst verbrannte. Und inzwischen gibt es ja schon die nächste Generation – zwanzig Jahre jünger, die tragen es weiter.
Als wir zur Schule gingen, wurden wir permanent gefoltert: Hedschab, die „islamischen Regeln“. Wir haben gelitten, die Gesellschaft war wie betäubt. Aber in den acht Jahren Khatami konnten wir unsere Forderung nach Freiheit gedeihen lassen. Und die junge Generation hat jetzt die Unterstützung in ihren Familien, denn wir sind ihre Eltern, sie sind unsere Kinder. Und sie können weiter gehen. Jetzt ist die Gesellschaft nicht mehr betäubt, sondern sensibilisiert. Und kein Mädchen, keine Frau, die für die Freiheit eintreten, akzeptieren heute noch einen Rückschritt.
Was Sie beschreiben, klingt nach einer langsam, aber stetig fortschreitenden gesellschaftlichen Revolution unter der Oberfläche.
So ist es. Absolut. Im Ausland entstand nach dem Tod von Mahsa Amini das Bild, dass das Regime stürzen würde. Das stimmte so nicht. Das Regime klammert sich an die Macht, die Opposition in der Diaspora ist in gewisser Weise kollabiert. Aber das iranische Volk macht weiter. Und das ist wichtig. Das Regime weiß, dass es den Hedschab Frauen, die ihn nicht wollen, nur mit körperlicher Gewalt aufzwingen kann. Das hätte einen weiteren Aufstand zur Folge, der seine Macht gefährden würde.
Das Regime hat Angst, seine Doktrin gegen die junge Generation durchzudrücken?
Ganz genau. Ich bin unter den strengsten Hedschab-Gesetzen zur Schule gegangen. Heute laufe ich durch die Stadt und denke: Wow, ich kann nicht fassen, dass dies Teheran ist. Es ist ein vollkommen anderes Bild.
Heute dürfen Frauen in einigen Stadien Fußballspiele der Männer besuchen. Aber es herrscht keine Gleichberechtigung.
Nein. In Ahwas im Süden, in Maschhad und manchmal in Isfahan sind Frauen ausgeschlossen. Anderswo sind einzelne Spiele aus fadenscheinigen Gründen plötzlich Männern vorbehalten. Es herrscht in keiner Weise Gleichberechtigung. Die Zahl der für Frauen verfügbaren Tickets ist meistens klein und unbekannt. Es gibt keine Transparenz. Und selbst wenn 2000 Frauen im Oberrang des Azadistadions sitzen, wissen wir nicht, wie viele Tickets davon im Verkauf waren und wie viele anders verteilt wurden. Dazu kommt die Behandlung und Überwachung durch die Sittenpolizei. Sie versuchen den Besuch so unangenehm wie möglich zu machen. Ich kann der jungen Generation nur danken, dass sie sich nicht abhalten und die Laune verderben lässt.

Der Internationale Fußball-Verband FIFA und gerade ihr Präsident lobt den Fortschritt bei jeder Gelegenheit. Was fordern Sie von Gianni Infantino?
Im Moment ist eine Hauptforderung, dass Frauen bei der Platzwahl nicht diskriminiert werden. Es kann doch nicht sein, dass Frauen nicht neben ihren Söhnen im Stadion sitzen können, wenn der Sohn ein bestimmtes Alter überschritten hat. Und wir wollen mehr Karten. Es hieß, die kleine Zahl Karten für Frauen sei ein Test. Okay. Hat funktioniert. Jetzt wollen wir mehr. Die FIFA sagt, die Situation sei gut? Nein, ist sie nicht. Die Tür hat sich einen Spalt geöffnet.
Aber für uns muss die Tür so offen sein wie für Männer. Wieso sitzen Frauen im Oberrang ewig weit weg, aber Männer direkt am Spielfeldrand? Weil das Regime sagt, wenn die Spieler jubeln, sollen keine Frauen zu sehen sein. Mit der Regierung, die wir momentan haben, mit Präsident Pezeshkian, kann man verhandeln. Das muss die FIFA tun. Gianni Infantino sagt ja, er versteht sich gut mit dem iranischen Verbandspräsidenten. Also muss er mehr fordern.
Am Mittwoch hat der amerikanische Präsident Donald Trump einen Erlass unterzeichnet, der vielen Iranerinnen die Reise zu Fußball-WM kommendes Jahr unmöglich macht. Was sagen Sie dazu?
Das ist ein Zeichen an das iranische Volk, an Aktivistinnen für Frauenrechte und an Studentinnen und Studenten. Es lautet: Ihr seid Kriminelle. Ich frage mich, ob sich Trumps Blick auf uns von dem des iranischen Regimes unterscheidet.
Noch eine Frage zum Spiel vor zwanzig Jahren: War es das wichtigste Fußballspiel in der Geschichte der Islamischen Republik Iran?
Für die Open-Stadiums-Kampagne ja. Jedes Mal, wenn wir uns für eine WM qualifizieren, erleben wir eine glückliche Zeit. Und für mich ist es schön, dass wir bei Fußballspielen zur iranischen Frauenbewegung beitragen konnten. Wir, die iranischen Frauen, sind eine der größten Bewegungen weltweit, die daran arbeitet, eine Diktatur in eine demokratische Gesellschaft zu verwandeln.