Gesundheit

Optimismus: Wer mehr weiß, ist zuversichtlicher |ABC-Z

In Deutschland untergräbt Umwelt-Katastrophismus den Glauben an Fortschritt, besonders junge Menschen fürchten eine apokalyptische Zukunft. Ihre Wahrnehmung unterliegt systematischer Verzerrung, was sich bei der eigenen Hochzeit offenbart.

Dieser Text ist Teil der Kolumnen-Reihe „Lichtblicke“, die im wöchentlichen Rhythmus erscheint. Weitere Folgen finden Sie zum Beispiel zu den Themen Rohstoffmangel, Hungersnöte, Klimawandel und Artenvielfalt.

Der Journalist Michael Miersch, Jahrgang 1956, hat 35 Briefe an seine Kinder geschrieben, um ihnen zu verdeutlichen, wie sich die Welt seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts verändert hat. Die inspirierenden Texte, gesammelt in dem empfehlenswerten Buch „Einmal Freiheit und zurück“ (Edition Tiamat), erzählen von Wandlungen der Gesellschaft. Aber eines hat sich seit 50 Jahren nicht verändert: der Pessimismus.

„In meiner Kindheit herrschte noch ein fortschrittsbegeisterter Optimismus, der in der Mondlandung einen Höhepunkt fand“, berichtet Miersch. Fliegende Autos, Städte unter dem Meer, vollautomatische Küchen – in damaligen Jugendbüchern „waren heutige Schreckensvisionen noch rosige Zukunftsversprechen“.

Jeder werde ein kleines Atomkraftwerk im Garten haben, durch Umleitung des Golfstroms werde Grönland zum Obstanbaugebiet, die „Urwaldhölle“ am Amazonas werde fruchtbares Ackerland – das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg stimmte euphorisch. Doch seit den 1970er-Jahren war Schluss mit Optimismus, Dystopien wurden populär: „Das ‚Wir können alles‘ wurde durch ‚Wir zerstören alles‘ abgelöst“, erzählt Miersch.

Ausgerechnet in der Zeit höchster Prosperität und bester Gesundheit geriet nicht nur Deutschland in den Bann von Untergangsvisionen. Fast überall zeigen Daten einen starken Rückgang von extremer Armut, Kindersterblichkeit, Hungersnöten und Konflikten sowie eine weitaus höhere Lebenserwartung und bessere Bildung. Warum also der Pessimismus?

Menschen unterlägen einer Verzerrung, hat die Psychologin Tali Sharot vom University College London 2011 ermittelt: Sie neigen dazu, optimistisch in Bezug für ihre eigene Zukunft zu sein, aber zugleich pessimistisch, was die Welt angeht. Frisch verheiratete Paare etwa halten ihre Ehe für unzerbrechlich, obwohl in Deutschland derzeit jede dritte Ehe geschieden wird.

Und während Bürger ihre berufliche Situation tendenziell optimistisch einschätzen, rechnet eine Mehrheit – zumindest in westlichen Ländern – mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Menschen glaubten, Kontrolle zu haben über ihr eigenes Leben, jedoch nicht über das Schicksal der Welt.

Eine weitere Ursache der Verzerrung, so ermittelte ein Forschungsprojekt der „Gapminder Foundation“, seien unterschiedliche Erfahrungen: Aus der persönlichen Welt würden Menschen eigene Erfahrungen verallgemeinern. Die Außenwelt hingegen erführen sie durch die Medien, die ungewöhnliche Ereignisse nach vorn stellten, was Pessimismus befördern würde; positive Entwicklungen gingen unter.

Die Tatsache etwa, dass Wirtschaftswachstum weltweit Zehntausende Menschen täglich aus extremer Armut holt, wird nicht zur Schlagzeile, obwohl es eine Sensation ist. Eine Umweltkatastrophe hingegen bestimmt tagelang die Berichterstattung, gerade weil sie eine Ausnahme ist. So glaubt die Mehrheit der Menschen in westlichen Staaten, dass Armut weltweit zugenommen hat und es der Umwelt immer schlechter geht, obwohl beides falsch ist.

Umfragen legen nahe, dass Pessimismus auch an mangelnde Bildung gekoppelt ist. Sozialforscher haben herausgefunden, dass Wissen über den Klimawandel umgekehrt proportional zur Angst vor dem Klimawandel ist. Eine Studie, an der 2066 Bundesbürger teilnahmen, veröffentlicht im März 2023 in der Fachzeitschrift „Climate Change“, ergab zum Beispiel, dass Menschen umso weniger Sorge in Hinblick auf die globale Erwärmung hatten, je mehr sie über das Thema wussten.

Eine Umfrage von Ipsos unter 26.489 Personen in 28 Ländern bestätigt den Befund: Von denjenigen, welche keine der Fragen richtig beantworten konnten, erwarteten nur 17 Prozent, dass es der Welt künftig besser gehen wird. Jene, die am pessimistischsten in die Zukunft blickten, hatten also tendenziell das geringste Grundwissen darüber, wie sich die Welt verändert hat. Gut Informierte waren deutlich optimistischer.

Armut lässt ebenfalls wenig Raum für Pessimismus. Eine repräsentative Umfrage von Unicef unter 21.000 Menschen in aller Welt ergab, dass in Entwicklungsländern mehr Optimismus herrscht. In den USA etwa meinten 56 Prozent der jüngeren Befragten und 64 Prozent der älteren, dass nachfolgende Generationen wirtschaftlich schlechter gestellt sein werden.

In Ländern mit niedrigem Einkommen gaben dagegen etwa zwei Drittel der jungen Menschen an, dass sie der Meinung sind, Kindern von heute werde es finanziell besser gehen als ihren Eltern, insbesondere in Afrika und Südasien. „In Ländern mit bitterer Armut und prekären Lebensverhältnissen“, schreibt Michael Miersch in einem Brief an seine Kinder, „hat mich nie jemand über das drohende Ende der Welt belehrt.“

In seinem neuen Buch „Was Sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten“ erzählt Axel Bojanowski vom Klimawandel zwischen Lobbyinteressen und Wissenschaft.

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