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Ist im Zollkrieg Indien der lachende Dritte? | ABC-Z

Während Amerika und China wie zwei Güterzüge aufeinander zurasen, stellt sich die Frage, ob es im Handelskrieg einen lachenden Dritten gibt: Indien. Der Subkontinent will die neue Fabrik der Welt werden und erlebt in diesen Tagen ein Wechselbad der Gefühle. Vor eineinhalb Wochen hat Donald Trump gesagt, Indien sei ein schwieriger Fall, als er verkündete, wie viel jedes Land auf der Welt für die Ausbeutung der Vereinigten Staaten zahlen soll. Der „Freund“ bedürfe „ein wenig liebevoller Strenge“. Dann belegte Trump Importe aus Indien mit einem Zollsatz von 26 Prozent, viel höher als erwartet.

Strenge als Erziehungskonzept ist den Indern bekannt. Auch dass Trump ihr protektionistisches Land als „König der Zölle“ betitelt, ist vielen nachvollziehbar. Zwar ist Indiens durchschnittlicher Zollsatz von einst 80 Prozent bis Mitte der Nullerjahre auf rund zehn Prozent gefallen. Doch in jüngerer Zeit hat sich die Liberalisierung wieder umgekehrt. Ein wenig Druck von außen könnte den Reformeifer wieder beschleunigen. Das Problem ist, dass bei Trump keinerlei Liebe zu erkennen ist. Seine Zolldrohung erinnert die Inder an Hindu-Gott Krishna, der seinen Sohn züchtigen wollte, indem er ihn an Lepra erkranken ließ.

Ein Fünftel der iPhones schon in Indien produziert

Eine Woche lang hat Indien gefürchtet, sein Aufstieg zu einem Industrieland könne wegen Trump länger dauern als wie geplant bis zum Jahr 2047. Doch nun ist schon wieder alles anders. Kaum hat Ministerpräsident Narendra Modi zu überlegen begonnen, wie er den Strafzoll in Washington drücken kann, hat Trump ihn schon wieder ausgesetzt. Für 90 Tage, so wie bei den meisten anderen Ländern – außer Indiens mächtigem Nachbarn. Weil die Chinesen Amerikas Präsident nicht „den Hintern küssen“, wie er es sich wünscht, verteuert Trump die Exporte des größten Industrieproduzenten der Erde so stark, dass Chinas Handel mit Amerika praktisch zu erliegen kommt.

In der Folge hat Apple in den vergangenen Wochen im indischen Chennai fünf Frachtflugzeuge mit insgesamt eineinhalb Millionen iPhones vollgepackt und in die USA geflogen. In den vergangenen zwölf Monaten hat Apple in Indien sogar 22 Millionen iPhones hergestellt, 60 Prozent mehr noch als im Zeitraum ein Jahr zuvor. Zwar kommt der ganz überwiegende Teil der Apple-Produktion weiter aus China. Doch ein Fünftel der iPhones wird Insidern zufolge bereits in Indien hergestellt.

Indien als neue Heimat für die Autoindustrie?

Dort werden zwar nach Ablauf von Trumps Frist hohe Zölle aufgeschlagen, aber die sind in anderen Länder noch viel höher. Zum Beispiel in Vietnam, das einen so hohen Handelsbilanzüberschuss mit Amerika hat, dass es von Trump mit einem Importzoll von 46 Prozent bedacht worden ist. Der würde Apples Konkurrenten Samsung treffen, der in dem südasiatischen Land jedes zweite seiner Tablets und Telefone herstellen lässt. Prompt sah sich der koreanische Konzern mit Berichten konfrontiert, er verlagere seine Produktion nach Indien. Weil auch Bangladesch (37 Prozent) und Kambodscha (49 Prozent) von Trump mit höheren Zöllen als Indien bestraft worden sind, freut sich auch die indische Textilindustrie auf neue Aufträge. Die ist zwar viel unproduktiver als die Wettbewerber, aber in Zukunft womöglich trotzdem ein paar Cent pro Teil günstiger – Trump sei Dank.

Und weil angesichts der Zollsalven gegen China die internationale Autoindustrie eine neue Heimat für ihre Werke sucht, könnte die Wahl nach Ansicht von Branchenbeobachtern ebenfalls auf Indien fallen. Zwar haben sich viele Zulieferer bereits in Thailand angesiedelt. Doch dem Land fehlt es nicht nur an Arbeitskräften, sondern auch an Sympathie beim Handelskrieger im Weißen Haus. Im Vergleich zu Indien hat Trump thailändische Einfuhren mit einem um neun Punkte höheren Zoll belegt.

Und so hat bereits das erste indische Forschungsinstitut das eigene Land zum „Sieger“ im Handelskrieg ausgerufen. Was von derlei Wissenschaft zu halten ist, wurde am Wochenende klar. Mit einem Federstrich hat Trump plötzlich Smartphones von den Zöllen ausgenommen – und alle Zahlenspiele über den Haufen geworfen.

Die Investoren haben die Verlagerungsfantasien ohnehin nie geteilt. Wer weiß, heißt es in Ho Chi Minh Stadt, ob Trump nicht morgen auch Indiens Zoll erhöhe. Die Amerikaner hätten aus der Abwanderung ihrer Industrie nach China gelernt, hat der frühere indische Zentralbankgouverneur und Chicago-Ökonom Raghuram Rajan schon vor einem Jahr gewarnt. Dass sie stattdessen von Waren „Made in India“ geflutet würden, ließen die Vereinigten Staaten kein zweites Mal zu.

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