Florian Lipowitz ist Deutschlands neuer Weltklasse-Rundfahrer vor Tour de France 2025 | ABC-Z

Wer es noch nicht mitbekommen hat oder für wen es noch dieses einen Beweises bedurfte: Der deutsche Radsport hat mit Florian Lipowitz wieder einen Rundfahrer von Weltklasseformat. Und das in einem Alter, das noch weitere Sprünge vorwärts möglich erscheinen lässt. Lipowitz hat in der vergangenen Woche, wenn man so will, seine Meisterprüfung im Sattel bestanden. Und zwar nicht nur mit Bravour, sondern sogar mit Brillanz. Der Profi des deutschen Teams Red Bull-Bora-hansgrohe hat das Critérium du Dauphiné auf dem Podium abgeschlossen.
Zur Einordnung: Die einwöchige französische Rundfahrt ist nicht irgendein Rennen im (über-)vollgepackten internationalen Radsportkalender, sondern die Generalprobe für die Tour de France schlechthin. Topbesetzt von den Teilnehmern her, schwer vom Streckenprofil und knüppelhart vom Tempo, das unterwegs angeschlagen wird. Lipowitz fuhr dabei auf Augenhöhe mit den Allerbesten des Pelotons, die drei Wochen vor dem Saisonhöhepunkt auch schon nahe ihrer Topform unterwegs sind. Rang drei ist jedenfalls ein aufsehenerregendes Ergebnis für den 24-Jährigen, der sich kokett in die Riege der großen Drei des Radsports geschoben hat. Stärker als Lipowitz waren bei der Dauphiné nur die beiden Überflieger Tadej Pogacar (2:38 Minuten vor dem Deutschen) und Jonas Vingegaard (1:39 Minuten), welche die letzten fünf Tour-Triumphe unter sich aufgeteilt haben. Der Mann von der Schwäbischen Alb mit der besonderen Vita lag am Ende aber deutlich vor dem belgischen Star und Doppel-Olympiasieger von Paris, Remco Evenepoel, der Vierter wurde. Den Gewinn der Nachwuchswertung gab es obendrauf.
Lipowitz glänzt bei der Tour-Vorbereitung
Lipowitz zeigte sich auf allen Terrains den Anforderungen an einen Klassementfahrer gewachsen. Clever beim Sprung in eine Ausreißergruppe (3. Etappe), kraftstrotzend beim Einzelzeitfahren (4. Etappe), und stark im alpinen Gelände ist er, der vom Gewicht deutlich schwerer daherkommt als die reinen Hochgebirgsspezialisten, sowieso.
„Ich wusste, dass ich mit einer guten Form ins Rennen gehe – aber, dass es am Ende für das Podium reicht, hätte ich so nicht erwartet. Neben Fahrern wie Tadej und Jonas zu stehen ist schon etwas Besonderes“, sagte Lipowitz nach seinem Coup bei der sogenannten „Mini-Tour“, der ihn zu einem Fahrer gemacht hat, der auch bei der großen Tour in Frankreich im Blickpunkt stehen wird. Sein Dasein als aufstrebender Jungspund etwas unter dem Radar von Gegnern und Presse dürfte nun jedenfalls vorbei sein. So zurückhaltend Lipowitz sich auch gibt, wenn er nicht im Sattel sitzt. Sosehr ihn sein Team auch von zu vielen Fragen abzuschirmen versucht, um seinen Reifeprozess zu flankieren und protegieren.
„Seine Entwicklung verläuft konstant, mit einem klaren Fokus und ohne Hektik“, sagte Rolf Aldag, der Sportdirektor der Equipe Red Bull-Bora-hansgrohe. „Er hat noch einmal einen Schritt gemacht, ist stabiler, ist solide, macht keine Fehler. Er bewahrt immer die Ruhe, das ist erst einmal das A und O.“
Emanuel Buchmann fütterte 2019, übrigens ebenfalls nach Platz drei bei der Dauphiné, als Tour-Vierter die Hoffnungen auf einen deutschen Rundfahrer von Topformat, konnte das Ergebnis aber nie mehr annähernd bestätigen. Einer der Gründe, der dazu führte, dass der deutsche Rennstall sich finanziell sehr ins Zeug legte, um Primoz Roglic im fortgeschrittenen Athletenalter zu verpflichten. Der Slowene zahlte das Investment im vorigen Spätsommer zwar mit dem Gewinn der Vuelta a España zurück. Nicht wenige in der Szene glauben indes, dass dies ohne die starken Helferdienste am Berg des damaligen Newcomers Florian Lipowitz nicht möglich gewesen wäre.
Der einstige Biathlet Lipowitz leistete ganze Arbeit für den früheren Skispringer Roglic – bei seiner ersten Erfahrung über drei Wochen Rennsport, die er als Helfer sogar auf Gesamtrang sieben abschloss. Und er hat sich in diesem Jahr, nachdem er zuvor schon Rang zwei bei Paris – Nizza und Platz vier bei der Baskenland-Rundfahrt belegte, mit einer weiteren exzellenten Arbeitsprobe in der Teamhierarchie nach vorne gearbeitet. Was für die Mannschaft mit Blick auf die Tour de France Chance und Gefahr zugleich ist: Lipowitz’ Aufschwung ermöglicht es Red Bull-Bora-hansgrohe, das sein Aufgebot für das Saisonhighlight in der kommenden Woche bekannt geben wird, zwei einstige Wintersportler als Doppelspitze in den Sommer in Frankreich zu entsenden – und birgt die Schwierigkeit von teaminternen Reibereien, wenn der junge Herausforderer sich als dem als erster Kapitän vorgesehenen 35-jährigen Roglic mindestens ebenbürtig erweisen sollte. Florian Lipowitz trainiert und fährt erst seit fünf Jahren konsequent Rad. Das hat ihm gereicht, um an der Spitze des Radsports anzukommen.