Tour de France Femmes: Demi Vollering – Für den Toursieg durchgekämpft | ABC-Z

Tourreporterin
Als Demi Vollering am Boden lag, hielt die Radsportwelt den Atem an – und erinnerte sich an 2024, als sie auf diese Weise das Gelbe Trikot verlor. Die 4. Etappe stand deshalb ganz im Zeichen des Durchhaltens. Alles für den Traum vom Toursieg.
Es glich einer Militäraktion – was irgendwie gut zu Saumur, dem Startort der 4. Etappe der Tour de France Femmes 2025 passte. Das kleine Städtchen an der Loire ist für seine Militärgeschichte bekannt. An jeder Ecke waren Soldaten in edlen Uniformen zu sehen, und zwei Panzer begrüßten die Busse bei der Einfahrt auf den Teamparkplatz, wo sie, eingewiesen von einem Mann mit Trillerpfeife, militärisch exakt in Reih’ und Glied Aufstellung nahmen.
Während anschließend einige Fahrerinnen erste Interviews am Bus gaben, oder den einen oder anderen Plausch mit Fans und Familie hielten, war Demi Vollering hingegen nirgends zu sehen. Penibel abgeschottet von ihrem Team FDJ-Suez, hieß es lediglich, dass sie kurz vor dem Start für genau zwei Fragen – nicht mehr – in der Mixed Zone zur Verfügung stehen würde. Immerhin: Sie war da. Denn der schwere Sturz am Vortag hatte Schlimmeres befürchten lassen. Würde eine der Top-Favoritinnen auf den Gesamtsieg etwa das Rennen verlassen müssen?
Okay genug, um weiterzufahren
Um 14:11 Uhr, pünktlich auf die Minute, wurde diese Frage schließlich beantwortet. Wie sie geschlafen habe und wie es ihr gehe, war wenig überraschend die erste der zwei erlaubten Fragen. “Ich habe eigentlich gut geschlafen. Mir geht es okay. Ich bin gestern sehr hart aufgekommen, auch ein wenig mit dem Kopf“, so Vollering mit belegter Stimme. Das Team habe direkt gut reagiert. “Die Untersuchungen zeigen, dass ich zumindest keine Gehirnerschütterung habe, was gute Nachrichten sind.” So recht nahm man ihr den Optimismus jedoch erst einmal nicht ab.
Schon am Abend des Sturzes hatte ihr Team in den sozialen Medien verlauten lassen, dass Vollering mehrere Prellungen erlitten habe, es ihrem Kopf aber gut gehe. Im Ziel selbst klagte die Niederländerin über Schmerzen an Knie und Steißbein. Sie fühle sich okay, so dass sie die 4. Etappe von Saumur nach Poitiers zumindest antreten werde. Alles andere müsse man dann sehen. Das Lächeln bei der obligatorischen Teampräsentation fiel Vollering, der Tour-Siegerin von 2023, sichtlich schwer.
Denn die 28-Jährige ist als aussichtsreichste Kandidatin auf den Gesamtsieg der Tour de France Femmes nach Frankreich gereist. Fünf Siege hat die Niederländerin in dieser Saison bereits eingefahren, vier davon bei Rundfahrten.
Schmerzvolle Erinnerungen an 2024
Nicht schon wieder, mögen viele beim Anblick des Sturzes gedacht und sich an die Tour de France Femmes im vergangenen Jahr erinnert haben. Auch damals stürzte Vollering schwer, fuhr jedoch unter Schmerzen mit einem – wie sich später herausstellte – gebrochenen Steißbein weiter. Am Ende trennten sie nur vier Sekunden vom Gesamtsieg, den sich Kasia Niewiadoma-Phinney in einem dramatischen und geschichtsträchtigen Finale hinauf nach Alpe d’Huez sicherte. Eine schmerzhafte Niederlage, die sich der Wahl-Schweizerin tief einbrannte.
Und so hatten nicht nur Fans und Journalisten das Gefühl eines Déjà-vus – auch Vollering ging es nicht anders. “Als ich auf dem Boden lag, musste ich sofort an letztes Jahr denken. Aber dieses Mal habe ich keine Zeit verloren.” Zudem habe sie bis zum Schluss der Etappe die Unterstützung ihrer Teamkolleginnen gespürt. Damit spielt Vollering auf 2024 an, als Blanka Vas und Lorena Wiebes, ihre damaligen Mitstreiterinnen beim Team SD Worx, ungeachtet des Sturzes ihrer Kapitänin davonzogen. Vollering musste sich damals allein ins Ziel kämpfen und verlor dabei nicht nur wertvolle Zeit, sondern auch das Gelbe Trikot.
Eine Trennung mit Misstönen
Schon damals wurde deutlich, dass es zumindest Misstöne zwischen ihr und ihren damaligen Teamkolleginnen gab. Wenig überraschend also, dass auch die Trennung von SD Worx nicht ganz geräuschlos verlief. Bereits Anfang 2024 verkündete das Team das Ende des Vertrags – ohne, laut Vollering, zuvor mit ihr gesprochen zu haben.
Hinzu kam die Rückkehr von Anna van der Breggen, Olympiasiegerin und mehrfache Weltmeisterin, in den aktiven Radsport und damit zu SD Worx. Für Vollering glich das einem Verrat, schließlich war van der Breggen bis dahin ihre Trainerin und kannte sie in- und auswendig. Auch die Ambitionen von Lotte Kopecky als Gesamtklassement-Fahrerin trugen zur Entfremdung bei.
Nun fährt Vollering gegen ihre ehemaligen Teamkolleginnen, denn zu Beginn dieser Saison wechselte sie zum französischen Team FDJ-Suez. Dort fühlt sie sich als unangefochtene Kapitänin sichtlich wohl. Das liegt nicht zuletzt an der bedingungslosen Unterstützung in Momenten wie am Montag: Unter anderem gestützt von Juliette Labous – selbst eine Fahrerin mit Ambitionen im Gesamtklassement – schaffte es Vollering angeschlagen, aber sicher ins Ziel. Dort warteten ihre Teamkolleginnen bereits, um die in Tränen aufgelöste Mitfavoritin wieder aufzurichten.
In Schlagweite zum Gelben Trikot
Auch auf den 130 Kilometern nach Poitiers wurde Vollering von ihren Teamkolleginnen kaum aus den Augen gelassen. Sie hielt sich fast durchgehend im vorderen Feld auf – ganz nach dem Motto, jeglicher Gefahr aus dem Weg gehen zu wollen. Schließlich erreichte sie zeitgleich mit dem Gelben Trikot das Ziel und liegt im Gesamtklassement mit lediglich 25 Sekunden Rückstand auf dem sechsten Platz.
Im Rückblick könnte man fast sagen, sie hatte Glück im Unglück. Andere Top-Favoritinnen wie Marlen Reusser und Elisa Longo Borghini mussten das Rennen bereits aufgeben. Die richtig harten Etappen stehen jedoch erst noch bevor. Dann wird sich zeigen, wie sehr Vollerings Verletzungen sie tatsächlich beeinträchtigen. Die Aussicht auf ihren zweiten Toursieg nach 2023 -und die Erinnerungen an das vergangene Jahr – dürften sie jedoch zusätzlich antreiben.