Geopolitik

Demografie in der Politik: “Wir müssen die junge Generation stärker einbeziehen” | ABC-Z

ZEIT ONLINE: Frau von Scheliha, Deutschland ist ein altes Land, das Durchschnittsalter
liegt aktuell bei knapp 45 Jahren. Die demografische Entwicklung ist
eindeutig, es wird immer mehr ältere Menschen geben und immer weniger junge.
Das hat viele Folgen, ökonomische, soziale, bei der Rente. Sie aber sehen auch
Probleme für die Demokratie. Welche?

Henrike von Scheliha: Politikerinnen und Politiker schauen vor allem auf die Belange
und Interessen ihrer Wählerinnen und Wähler, das ist auch völlig
nachvollziehbar. Aber wenn diese Wählerinnen und Wähler immer älter werden,
dann haben die Belange junger Menschen, auch die Interessen all der Menschen,
die noch gar nicht geboren sind, ein immer geringeres Gewicht.

ZEIT ONLINE: Ein älteres Wahlvolk favorisiert andere Parteien, eine andere Politik als ein
jüngeres Wahlvolk?

von Scheliha: Genau, und umgekehrt: Politik für alte Wählerinnen und Wähler sieht anders aus
als Politik für junge Menschen. Das hat sich zum Beispiel ganz dramatisch bei
Corona gezeigt: Die Alten wurden geschützt, und wir haben dafür enorme
Belastungen der Jungen in Kauf genommen. Ohne ihnen überhaupt zuzuhören.

ZEIT ONLINE: Das wird heute allgemein als Fehler gesehen. Aber warum ist das generell ein
Problem?

von Scheliha: Ich sehe sogar zwei Probleme für die Freiheit. Alle Entscheidungen, die heute
getroffen werden, wirken in die Zukunft hinein. Aber manche tun das so stark,
dass Menschen in Zukunft weniger Wahlmöglichkeiten haben.

ZEIT ONLINE: Haben Sie ein Beispiel?

von Scheliha: Ganz einfaches Beispiel: Wenn man sich heute entscheidet, eine Kläranlage
nicht zu sanieren, dann wird das Grundwasser
verschmutzt und das Leitungswasser ungenießbar. In Zukunft müssen die Menschen dann
Trinkwasser kaufen. Die
Lage und möglicherweise die daran anknüpfenden Rechtsvorschriften zwingen sie,
sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten, nehmen ihnen also Wahlmöglichkeiten. Sie können, anders gesagt, ihre individuelle Freiheit in der Zukunft
nicht mehr so leben, wie das Grundgesetz das eigentlich vorsieht. Im Extremfall
wird die Vorstellung eines selbstbestimmten Lebens zur Illusion. Die Idee der
Selbstbestimmung ist aber die Grundlage unseres demokratischen Rechtsstaates.

ZEIT ONLINE: Und das zweite Freiheitsproblem?

von Scheliha: Unser demokratisches System beruht auf dem Prinzip periodischer Wahlen. Das
heißt, in Zukunft sollen andere Parteien mit anderen Programmen als heute
mindestens die Möglichkeit haben, wesentliche Dinge anders zu machen. Wenn aber
durch die Entscheidungen, die wir heute treffen – oder nicht treffen – die Politik der
Zukunft keine eigenen Entscheidungsspielräume mehr hat, wenn wir sozusagen alle
Freiheit aufgebraucht haben, dann können künftige Regierungen gar nicht mehr
umsteuern, weil sie durch die
Umstände zu
bestimmten Entscheidungen gezwungen werden, und dann verliert das demokratische System
seine Legitimation.

ZEIT ONLINE: Haben Sie eine Idee, wie sich das ändern ließe?

von Scheliha: Ich glaube, wir müssen die junge Generation stärker in den heutigen
Entscheidungsprozess einbeziehen. Wenn bei Corona junge Menschen mehr zu Wort
gekommen wären, hätte es vielleicht weniger Schulschließungen gegeben, weil die
Politik früher und deutlicher darauf hingewiesen worden wäre, was da schiefläuft.

ZEIT ONLINE: Wie wollen Sie das organisieren?

von Scheliha: Man muss die Stimme junger Menschen im Entscheidungsprozess
hören. Dann kommen andere Ideen auf die
Tagesordnung, dann wird über viele Themen anders abgestimmt werden. Meine Idee
ist, einen Zukunftsrat zu gründen, so würde ich das nennen, also ein Gremium,
in dem nur junge Menschen zwischen 18 und 30 Jahren sitzen. Dieses
Gremium muss bei allen Themen mit Zukunftsbezug zwingend angehört werden, der
Gesetzgeber
muss sich mit den Stellungnahmen
des Zukunftsrates befassen, und wenn er entgegen der
Einschätzung des Zukunftsrates entscheiden
will, dann muss er das begründen. So würden
die Politikerinnen und Politiker gezwungen, sich mit den Interessen der Jugend auseinanderzusetzen.

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