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Der Zaun, den fast niemand haben möchte – Panorama | ABC-Z

Der „Tag Z“, der Zaunbaubeginn-Tag, steht nun unmittelbar bevor und deshalb sitzt Clara Vuillemin an diesem Donnerstagabend mitten im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg. Drei Initiativen hatten zu dem Treffen eingeladen, um mögliche Proteste gegen den Zaunbau zu diskutieren. Jetzt, da es ernst wird, will sich Clara Vuillemin auch engagieren. Die 33-Jährige wohnt um die Ecke, enger Hinterhof, wenig Sonne. Der Park, „das ist mein Garten, mein Balkon“, sagt sie. „Wenn man den jetzt zumacht, dann nimmt man uns den einfach weg.“

Vor knapp zwei Jahren hatte Berlins damals noch neuer Bürgermeister Kai Wegner (CDU) angekündigt, einen Zaun um den Park bauen zu lassen, um so vor allem den Drogenhandel zu bekämpfen. Baustart sollte eigentlich im vergangenen Jahr sein, doch die Ausschreibung dauerte länger als gedacht, und es war auch nicht ganz so leicht, überhaupt eine Baufirma zu finden.

Die Aktivisten vom hier „Görli“ genannten Park hatten sich in einem Schreiben bereits direkt an Berlins Bauunternehmer gewandt. „Wir werden die Protestformen wählen, die uns angemessen erscheinen, um den Zaunbau zu verhindern“, heißt es darin. „Wer Kreuzberg und Berlin kennt, weiß, dass politische Konflikte hier auch ganz anders ausgetragen werden können.“ Nun hat sich trotzdem eine Firma gefunden; erste Messungen im Park wurden bereits angestellt, das Datum des Spatenstichs aber hält der Senat aus Sicherheitsgründen geheim. Nur so viel ist klar: Die Polizei wird die Bauarbeiten begleiten.

Gemessen an den Ankündigungen klingen die Vorschläge, die hier am Abend von den vielleicht 100 Teilnehmern gemacht werden, eher harmlos. Am Sonntag nach dem Tag Z soll es eine Kundgebung mit Topfdeckeln, Trommeln und allem, was Krach macht, geben; ein Rave ist geplant, eine Frau schlägt vor, kollektiv im Park zu übernachten, ein Filmemacher will Anwohner dazu interviewen, was ihnen der Park bedeute. Nur ein junger Mann schlägt vor, über Blockaden oder gar Formen von Sabotage zu diskutieren.

Clara Vuillemin interessiert sich vor allem für den Vorschlag, mehr Menschen in Kreuzberg für die Proteste gegen den Zaunbau zu mobilisieren. Sie habe in dem Park auch nach Dunkelheit keine Angst, sagt sie. Was ihr mehr Sorgen bereite, „ist eher der Zaun und die ganzen repressiven Sachen“. So werde hier nichts gelöst.

Mit dem Tag Z spitzt sich eine Auseinandersetzung zu, die in Berlin bereits seit Jahrzehnten geführt wird: Für die einen ist der Görlitzer Park ein Stück linksalternativer Lebenskultur, für die anderen ist er ein sogenannter Kriminalitätshotspot. Richtig ist, dass junge Männer, meist abgelehnte Asylbewerber aus Schwarzafrika, im Park und den Straßen drum herum Drogen aller Art verkaufen, Marihuana, Kokain, Crack. Dazu kommen die Süchtigen, auf 150 werden sie geschätzt und vielleicht noch 70 Obdachlose, die im Sommer hier übernachten.

Verglichen mit anderen Parks, liegt die Kriminalitätsrate im „Görli“ am höchsten. 936 Straftaten wurden im vergangenen Jahr gezählt, darunter mehr als hundert Gewalttaten, 173 Diebstähle und jede Menge Drogendelikte. Schon so mancher Berliner Innensenator hat sich hier zu profilieren versucht. Doch weder aufwendige Sozialprogramme noch Hundertschaften an Polizeibeamten haben bisher an der Situation im Park etwas ändern können.

Vor zwei Jahren machte dann der Fall eines jungen Paares Schlagzeilen, die Frau soll vor den Augen ihres Freundes im Görlitzer Park von mehreren Drogenhändlern vergewaltigt worden sein. Kai Wegner, damals neu im Amt als Regierender Bürgermeister in Berlin, berief einen Sicherheitsgipfel ein, der Zaunbau wurde beschlossen – gegen den Willen der Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann von den Grünen.

Kai Wegner hielt trotzdem an seinen Plänen fest, auch nachdem der Vergewaltigungsprozess platzte: Die Betroffene, eine Georgierin, wollte nicht zum Prozess erscheinen, ein plötzlich aufgetauchtes Video ließ vermuten, dass der Sex einvernehmlich stattgefunden habe. Es war nicht das einzige Mal, dass sich der Regierende Bürgermeister beim Zaunbau auf Angaben stützte, die so nicht stimmten.

So behauptete Wegner, durch den Bau des Zauns könnten 72 000 Einsatzstunden der Polizei im Park eingespart werden – eine Zahl, die sich aber auf den gesamten Kiez bezieht. Umgekehrt verhält es sich mit den Kosten für den Zaun: Die sollen inzwischen von einst 1,2 Millionen auf 1,75 Millionen Euro gestiegen sein. „Populistische Symbolpolitik“ nennt das einer der Redner auf der Versammlung an diesem Donnerstagabend. Durch den Zaun würden die Dealer nur in die umliegenden Straßen vertrieben.

Mehr als zehn Protestideen haben die Teilnehmer inzwischen auf große Papptafeln geschrieben. Den größten Zulauf bekommt der Filmemacher, der die Anwohner interviewen will, und eine Frau, die für die Protestierenden kochen möchte. Zu dem jungen Mann, der für Blockaden und Sabotage plädiert, gesellt sich kaum jemand.

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