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Eine Menschenrechts-Tour führt am Samstag zu 14 Stationen Dießener Historie. – Starnberg | ABC-Z

Ein Gasthof, der zum Stammlokal der NSDAP wurde, während nebenan ein ihnen verhasster Künstler lebte. Ein Kibbuz, wo Überlebende des Holocaust wohnten, die bei örtlichen Fischern und Töpfern in die Lehre gingen. Ein inzwischen abgerissener Kohlenschuppen, den Literaten von Weltrang als Party-Location nutzten: Dießen ist voller historischer Stätten, die von mehr oder weniger glorreichen Geschichten künden, die selbst viele Einheimische nicht kennen. Eine gute Gelegenheit, das Wissen über örtliche Zeitgeschichte und Politik zu erweitern, bietet sich am Samstag, 10. Mai: Der Heimatverein und die Amnesty International (AI) Ortsgruppe Ammersee laden zu einem Spaziergang durch Dießen ein. Im Fokus steht dabei die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde.

Dieses Bekenntnis zur Humanität entstand unter dem Eindruck von Kriegsgräueln, Rassismus und Naziterror. Gerade in Dießen lässt die Aufarbeitung der unrühmlichen Seiten der Vergangenheit zu wünschen übrig: Es sei daran erinnert, dass noch bis 2008 eine Straße nach Erwin Metzner benannt war. Offenbar war in Vergessenheit geraten, dass der SS-Oberführer in Dießen die SA und NSDAP-Ortsgruppen gegründet hatte.

Auf dem Rundgang, der am Samstagnachmittag um 16 Uhr am Bahnhof startet, stellt AI-Sprecher Roland Nagl aber nicht nur die düsteren Seiten der Ortsgeschichte vor. Schließlich sind viele der 30 Artikel der UN-Charta positiv formuliert, um bürgerliche, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu sichern. So will sich Nagl im Schacky-Park auf Artikel 24 beziehen, der das Recht auf Erholung und Freizeit thematisiert. In Bahnhofsnähe befand sich früher das Kohlelager von Hans Mayer, der die Schriftstellerin Barbara König heiratete. Was der Auftakt einer Reihe von sommerlichen „Kohlefesten“ war, bei denen außer Hans Werner Richter auch andere aus dem Autorenkreis Gruppe 47 wie Günter Grass mitfeierten – für Nagl Anlass, Artikel 27 zu zitieren, der den Urheberschutz enthält.

Er wird auch an Roger Casement erinnern, für den eine verborgene Gedenktafel am Seerichterhaus in der Prinz-Ludwig-Straße aufgestellt wurde. Der irische Freiheitskämpfer war im Ersten Weltkrieg länger in Riederau zu Gast und hat sich gegen Kolonialismus und Sklaverei (Artikel 4) in Afrika eingesetzt. Nach einem gescheiterten Waffentransport wurde Casement von den Briten ohne ordentliches Gerichtsverfahren hingerichtet, was wiederum gegen Artikel 10 verstößt. Ihm verweigerte der Dießener Gemeinderat übrigens die Ehrung, die er Metzner bedenkenlos zukommen ließ: 2001 lehnte eine Mehrheit ab, eine Sir-Roger-Casement-Straße im Ort zu benennen.

Thomas Theodor Heine (1867-1948) gründete 1896 gemeinsam mit Albert Langen den “Simplicissimus”. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Auf Thomas Theodor Heine nehmen immerhin noch zwei bronzene Bulldoggen auf dem heutigen Areal des Augustinum Bezug. Dort stand zuvor das Haus des Autors, Grafikers und Karikaturisten: Er hatte unter anderem die berühmte Satirezeitschrift Simplicissimus (dessen Wahrzeichen die Hunde waren) mitbegründet und war zeitlebens wegen seiner politischen Haltung und jüdischer Abstammung ein Feindbild der Nazis. Nagl wird dort auf die Artikel der Charta verweisen, in denen allen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit (1 bis 3) sowie Meinungsfreiheit (19) zugesprochen werden. Und wohl auch erwähnen, dass Heine bis zur erzwungenen Emigration von den Dießenern weitgehend gemieden wurde.

„Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen“: Das weltberühmte Zitat des amerikanischen Philosophen George Santayana („Das Leben der Vernunft“) sollte auch in Dießen dazu mahnen, der kollektiven Amnesie über die Jahre 1923 bis 1950 entgegenzutreten. Nagl hat daran gearbeitet: Vor 13 Jahren hat der Amnesty-Aktivist schon einmal durch Dießen geführt, damals wies der Menschenrechts-Parcours fünf Stationen auf. Inzwischen sind es 14 geworden.

Der etwa fünf Kilometer lange Spaziergang startet um 16 Uhr am Dießener Bahnhof, wo er maximal drei Stunden später endet. Anschließend ist ein gegenseitiger Austausch in einem Wirtshaus vorgesehen. Um Anmeldung unter rolo@ai-ammersee.de wird gebeten.

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