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Im Kampf gegen das Chaos im Kopf | ABC-Z

Als der fromme Wunsch in der Welt war, stand die Frage im Raum, wie das zusammenpassen soll. Ein schimpfender Rohrspatz zu Besuch beim Papst? Da musste selbst der italienische Tennisprofi Lorenzo Musetti kurz lachen, nachdem er gesagt hatte, dass auch er gerne mal das Oberhaupt der katholischen Kirche treffen würde wie sein Landsmann Jannik Sinner, den Pontifex Leo XIV. jüngst zu einer Audienz empfangen hatte.

„Es ist offensichtlich, dass ich diesen Ruf habe“, sagte Musetti zur Schimpferei auf dem Platz: „Aber ich denke, dass ich das verbessert habe. Wir Toskaner sind ein bisschen so.“ Musetti ist nicht der einzige Vielredner unter den Tennisspielern, der sagt, dass er diese Seite an sich nicht mag. Sie passt eigentlich auch nicht zu seinem schönen Spiel, das ihn inzwischen in die Top-Ten geführt und ihm so viel Selbstvertrauen gegeben hat, dass er bei den French Open vom Titelgewinn spricht. Mamma mia! Da denkt jemand groß.

Variantenreich wie kaum ein anderer

Es gibt Dinge, die gehören nach Paris: der Eiffelturm, die Mona Lisa, der Montmartre. Musetti ist zwar noch weit entfernt davon, zum Inventar des größten Sandplatzturniers der Welt zu zählen. Doch mit der Eleganz seines Spiels und seiner einhändigen Rückhand passt er bestens in die französische Hauptstadt, die seit jeher ein Herz für Künstler hat.

„Musetti spielt sehr schön. Ihn schaue ich mir sehr gerne an, weil er technisch umfassend ausgebildet ist“, sagt Tennistrainer Günter Bresnik, der einst den späteren Grand-Slam-Sieger Dominic Thiem in die Weltspitze führte, der F.A.Z.: „Er kann einen Rückhand-Spin und einen Rückhand-Slice spielen. Er kann mit der Vorhand einen hohen Spin spielen. Er kann schnell spielen. Und er kann einen Stopp von beiden Seiten spielen.“

So variantenreich agiert sonst kaum jemand. Eigentlich gibt es keinen Schlag, den Musetti nicht im Repertoire hat – und genau das war laut ihm lange sein größtes Problem. „Ich habe so viele Möglichkeiten“, sagte Musetti: „Da ist es manchmal sogar einfacher, das Falsche zu tun.“

In der „besten Phase“ seines Lebens

Das Chaos im Kopf ist Struktur gewichen. „Ich kann immer noch viel mehr nach klaren Ideen spielen“, sagt Musetti, der 23 Jahre alt ist, bald zum zweiten Mal Vater wird und sich gerade in der „besten Phase“ seines Lebens befindet. Im vergangenen Jahr gewann er die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Paris gegen Alexander Zverev, nachdem er in Wimbledon erstmals das Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers erreicht hatte.

Nach den French Open, bei denen er an Position acht gesetzt ist, wird er mindestens auf den sechsten Weltranglistenrang vorrücken. Bei den Masters-Turnieren in Rom, Madrid und Monte Carlo schaffte es Musetti zuletzt zweimal ins Halbfinale und einmal ins Endspiel. 18 seiner vergangenen 21 Spiele gewann er auf Sand, wo er zweifelsohne am stärksten ist.

Seine einhändige Rückhand ist auf Asche nicht so angreifbar wie auf anderen Belägen. Und seine größte Stärke kommt hier am besten zur Geltung: „Das größte Plus von ihm ist seine Defensivarbeit“, sagt Bresnik: „Auf Sand hat man mehr die Gelegenheit, sich wieder zu befreien, und die Ballwechsel zu neutralisieren, wenn man in Bedrängnis war.“

Musetti ist ein Entfesselungskünstler. Immer wieder befreit er sich aus Angriffswellen seiner Gegner wie am Sonntagabend, als er den Dänen Holger Rune im Achtelfinale 7:5, 3:6, 6:3, 6:2 besiegte und die teils brachialen Schläge seines Gegenübers ein ums andere Mal entschärfte. Mit seinen Rhythmuswechseln ist er in der Lage, das Tempo eines Spiels zu bestimmen.

Zu abhängig von den Fehlern anderer?

Die große Frage bleibt: Kann er das auch noch, wenn es gegen die Schnellspieler seiner Generation geht? Gegen Carlos Alcaraz hat Musetti eine Bilanz von 1:5. Die vergangenen fünf Spiele hat er alle verloren. Gegen Jannik Sinner lautet die Bilanz 0:2, wobei beide 2023 und 2021 aufeinandertrafen. Zverev verlor zwar in Rom zuletzt gegen Musetti, sagte aber hinterher, dass dieser „sehr abhängig“ von seiner Defensive sei. „Er ist sehr abhängig davon, dass seine Gegner Fehler machen.“ Mit Schönheit und Defensivkunst allein lassen sich im Tennis selten große Titel gewinnen.

Sollte Musetti das Viertelfinale gegen den US-Amerikaner Frances Tiafoe überstehen, der am Sonntagabend den Deutschen Daniel Altmaier in drei Sätzen aus dem Turnier geworfen hatte, könnte sich in einem möglichen Halbfinale gegen Alcaraz zeigen, wie weit er wirklich ist. Zverev traut ihm nicht zu, dass er es in Paris ins Endspiel schafft. „Ich denke, dass Carlos im Finale sein wird“, sagte der Deutsche: „Ich glaube nicht, dass es jemanden gibt der ihn bei der Auslosung zu sehr herausfordern wird.“ Beste Freunde dürften der Italiener und er nicht mehr werden.

Musetti spricht hingegen davon, dass es nach Monte Carlo, wo er im Finale gegen Alcaraz in drei Sätzen verloren hatte, „klick“ gemacht habe. Er sei jetzt reifer auf dem Platz, auch körperlich bereit für Best-of-Five-Matches. Das Vertrauen in sich ist verbrieft. Eines seiner Tattoos ist ein Schriftzug auf Italienisch. „Il meglio deve ancora venire“ steht dort: „Das Beste liegt noch vor uns“.

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