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Berlin und Düsseldorf: Zehntausende bei Gaza-Demo | ABC-Z

Als die Zehntausenden, die an diesem Samstag gegen den Krieg in Gaza demonstrieren, den Berliner Dom passieren,  hängt zum ersten Mal Spannung in der Luft. Am Straßenrand haben sich 40, vielleicht 50 Menschen aufgestellt. In den Händen halten sie Israel-Flaggen, manche zeigen Fotos der in den Gazastreifen verschleppten Geiseln. Dazu läuft ruhige Musik mit hebräischem Gesang. Die Versammlung erweckt eher den Eindruck einer Mahnwache als den einer Gegendemonstration. Die meisten der propalästinensischen Demonstranten ziehen vorbei, ohne die Menschen am Straßenrand weiter zu beachten. Andere strecken ihnen Mittelfinger entgegen, stellen sich ihnen gegenüber und brüllen   „Shame on you“, Schande über euch. Dann zieht der Strom weiter. Zu größeren Auseinandersetzungen kommt es nicht.

Auf Nachfrage bestätigt das eine Sprecherin der Polizei. „Alles friedlich“, schreibt sie am Nachmittag. „Immer noch?“, fragen wir am Abend. „Absolut“, antwortet sie. Die Polizei geht zu diesem Zeitpunkt von etwa 58.000 Teilnehmern aus, die Linke von mehr als 100.000. Die Realität wird irgendwo dazwischen liegen. So oder so dürfte es die größte Solidaritätsdemonstration für die Menschen in Gaza, die es in Deutschland bislang gegeben hat.

Immer wieder sprechen sie von Verantwortung

Genau genommen sind es zwei Demonstrationen. Am Neptunbrunnen unweit des Berliner Fernsehturms beginnt an diesem Nachmittag die erste. Unter dem Motto „Zusammen für Gaza“ hat ein Bündnis aus Einzelpersonen zu der Versammlung aufgerufen. Unter ihnen ist die Ko-Vorsitzende der Linken, Ines Schwerdtner und der Linken-Europaabgeordnete Özlem Demirel. Daneben zählen zu den Initiatoren die Autorin Deborah Feldman, der Musiker Michael Barenboim und Mitglieder von Israelis für Frieden.

Eine Palästina-Flagge weht am Rande der Gaza-Demo vor dem Reichstag in Berlin im Wind.AFP

Wie auf vielen Demonstration ist das Publikum auch auf dieser bunt. Viele Gewerkschaften sind vertreten, Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft etwa. Daneben sind Plakate der Initiative „Ukrainische Linke“ zu sehen. Zu lesen sind Slogans wie „Germans against Genocide“ und „Juden gegen Genozid“, außerdem „Nie wieder gilt für alle“. Auf ein anderes Plakat hat ein Mann geschrieben: „From the Oder to the Rhine, Free Free Palestine“. Vor allem wehen viele rot-schwarz-weiß-grüne Palästina-Flaggen.

Die Sprecher auf der Bühne am Neptunbrunnen sind wegen technischer Probleme kaum zu verstehen. „Wir sind heute hier, weil in Gaza ein Völkermord geschieht“, ist von Ines Schwerdtner zu hören. Sie spricht von 65.000 Getöteten und 167.000 Verletzten, hinter denen jeweils eine Familie, eine Gemeinschaft und eine Zukunft steckten. Das alles seien „keine Schicksale“, sagt die Linken-Politikerin. Das seien „politische Entscheidungen“. Schwerdtner kritisiert Bundeskanzler Friedrich Merz und Außenminister Johannes Wadephul (beide CDU). „Sie nennen es Staatsräson, wir nennen es Mitschuld“, sagt sie. Schon im Aufruf zur Demonstration hieß es: „Wir wollen die deutsche Komplizenschaft beenden und gegen die sogenannte Staatsräson auf die Straße gehen!“

Der Zug setzt sich nun in Bewegung und strömt auf dem Boulevard Unter den Linden in Richtung Brandenburger Tor. Es geht vorbei am Dom und den Schweigenden mit Israel-Flaggen. Auch ein paar Meter weiter stehen auf den Stufen des Kronprinzenpalais einzelne Gegendemonstranten. Sie halten ebenfalls Israel-Flaggen, sind aber vermummt und recken ihre Fäuste in den Himmel. Eher Antideutsche – eine politische Strömung innerhalb der Linken – als Israelis, mutmaßen einzelne Demonstranten des Hauptzugs. Der passiert jetzt die Humboldt-Universität. Aus einem der Fenster hängt dort verheddert ein Antifa-Banner. Auch hier steht ein Vermummter, dem es schließlich gelingt, Flagge und Schriftzug zu entknäulen. „Scheiß Antisemiten“, weht jetzt an der Fassade. Der Vermummte wirft eine kleine blau-weiße Kugel in den Vorgarten, die ein bisschen raucht.

Weiter geht es, bis die Zubringerdemo schließlich an der Siegessäule vor der Hauptbühne zum Stehen kommt. Hier geht sie über in die Versammlung mit dem Titel „All Eyes on Gaza – Stoppt den Genozid“. Diese wurde unter anderem von „Amnesty International“ und „Medico International“ initiiert, außerdem von denselben Einzelpersonen der anderen Demo.  Zu ihnen zählt auch der Aktivist und frühere Grünen-Politiker Basem Said. Heute werde Geschichte geschrieben, ruft er den Demonstranten auf der Straße des 17. Juni zu. „Gaza ist nicht allein.“ Der deutschen Regierung wirft Said vor, „mitten drin zu sein in der Zerstörung, in jedem Stein, in jedem Leben“.

Tausende Menschen demonstrieren vor dem Brandenburger Tor in Berlin für Gaza.
Tausende Menschen demonstrieren vor dem Brandenburger Tor in Berlin für Gaza.dpa

Sie spreche immer davon, Verantwortung zu tragen, sagt er. „Aber echte Verantwortung bedeutet: Aus der Vergangenheit zu lernen und Einsatz für die Opfer von heute zu zeigen.“ Er trauere an diesem Samstag doppelt, so der Aktivist: für die Angehörigen in Gaza und im Westjordanland – und über die tiefe Enttäuschung, die Palästinenser in Deutschland erführen, in dem Land, in dem sie aufgewachsen seien. „Wir sind Teil der Gesellschaft und wir verdienen die gleichen Rechte und die gleiche Behandlung.“ Den Angriff der Hamas vom 7. Oktober erwähnt auf der Bühne die deutsch-iranische Schauspielerin Melika Foroutan. „Auch das Verbrechen vom 7. Oktober und die anhaltende Geiselnahme unterstützen wir nicht“, sagt sie. „Wir sind hier, weil wir alle Verbrechen gegen die Menschlichkeit ablehnen.“

Schließlich betritt Michael Barenboim die Bühne. Er zitiert israelische Politiker wie den ehemaligen israelischen Verteidigungsminister Joaw Galant, der nach dem Angriff vom 7. Oktober ankündigte:  „Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln entsprechend.“ Schon seitdem sei Israels „genozidale Absicht für alle Welt sichtbar“, sagt Barenboim. Staaten wie Deutschland wirft er vor, „den Völkermord durch die anhaltende Unterstützung Israels erst ermöglicht zu haben“. Dann bittet Barenboim die Demonstranten um eine Schweigeminute. Auf der Straße des 17. Juni wird es ganz still. Dann beginnt das Musikprogramm.

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