EU-Asylreform GEAS: Solidarität auf dem Papier | ABC-Z

Selten war ein Dokument aus Brüssel politisch so kontrovers wie in dieser Woche. Die EU-Kommission veröffentlichte am Dienstag
einen Vorschlag, wie die Mitgliedsstaaten die Lasten der Migration künftig fair
untereinander aufteilen sollen. Jahrelang wurde an diesem sogenannten
Solidaritätsmechanismus gearbeitet, immer wieder vehement gestritten.
Nun sei ein “zentraler Meilenstein” für die europäische Asylpolitik erreicht worden, heißt es von der
EU-Kommission. Es werde sichergestellt, dass die Herausforderungen und
Verpflichtungen der verschiedenen Mitgliedsstaaten untereinander ausgeglichen würden. Doch
schon jetzt zeichnet sich ab, dass dieses Ziel verfehlt werden dürfte – und das Instrument am Ende weitgehend wirkungslos bleiben könnte.
Der geplante Solidaritätsmechanismus ist Teil des Gemeinsamen
Europäischen Asylsystems (GEAS), der größten migrationspolitischen Reform seit
30 Jahren. Sie wurde im vergangenen Jahr von der EU verabschiedet und soll bis Mitte kommenden Jahres implementiert werden. GEAS sieht Asylverfahren direkt an
den europäischen Außengrenzen vor; dort sollen vor allem Migrantinnen und Migranten überprüft werden, deren Asylanträge eher geringe Chancen haben – weil sie aus Ländern kommen, bei denen die Asyl-Anerkennungsquote in der EU im Schnitt unter 20 Prozent liegt.
Fast jedes Land hält sich für überfordert
Für andere Asylbewerberinnen und -bewerber, die eine
höhere Chance auf Schutz haben, sind zunächst die Erstaufnahmeländer zuständig,
etwa Italien oder Griechenland. Kommt es zu einer Überlastung dieser Staaten,
sollen die Menschen über den Solidaritätsmechanismus auf andere EU-Länder
verteilt werden. Länder, die keine Migranten aufnehmen wollen, können
stattdessen einen anderen Beitrag leisten – finanziell, personell oder
materiell, etwa technische Hilfe. Insgesamt sollen pro Jahr mindestens 30.000
Menschen verteilt und 600 Millionen Euro gezahlt werden.
In den vergangenen Monaten
versuchten fast alle Mitgliedsländer, die EU-Kommission davon zu überzeugen,
dass sie bei der Migration bereits überfordert seien – und daher nur wenig bis keine Kapazitäten zur Unterstützung
anderer Staaten hätten. Die Kommission hat nun eine Entscheidung getroffen
und eine Verteilung vorgeschlagen, die bis Dezember beraten und dann vom Europäischen Rat
beschlossen werden soll. Es soll vier Gruppen geben:
1. Gruppe: Griechenland, Italien, Zypern, Spanien
Diese Länder an der EU-Außengrenze stehen der EU-Kommission
zufolge unter dem höchsten Migrationsdruck, vor allem mit Blick auf die hohen
Ankunftszahlen und die teilweise durchgeführte Seenotrettung. Beantragen sie wegen zu hoher Belastung eine Aktivierung des Solidaritätsmechanismus, müssen ihnen andere EU-Staaten Asylbewerberinnen und -bewerber abnehmen oder sie anderweitig unterstützen, etwa mit finanziellen Hilfen.
2. Gruppe: Österreich, Polen, Bulgarien,
Tschechien, Estland, Kroatien
Diese Länder haben der EU-Kommission zufolge eine “besondere
Migrationssituation”, weil sie in den vergangenen fünf Jahren viele Migrantinnen und Migranten aufgenommen haben – im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungszahl und
Wirtschaftsleistung. Diese Länder können beim Europäischen Rat eine
vollständige oder teilweise Streichung ihrer Solidaritätsbeiträge für das kommende
Jahr beantragen.
3. Gruppe: Deutschland, Belgien, Irland,
Frankreich, Lettland, Litauen, Niederlande und Finnland
In diesen Ländern besteht der EU-Kommission zufolge das
Risiko, in Zukunft unter Migrationsdruck geraten zu können. Etwa
mit Blick auf hohe Ankunftszahlen, die bestehende Belastung der Aufnahmesysteme oder hybride
Bedrohungslagen. Die genannten Länder haben Anspruch auf finanzielle und technische
Unterstützung der EU, können sich aber grundsätzlich nicht von
Solidaritätsleistungen befreien. Ihre Einstufung soll regelmäßig neu bewertet
werden.
4. Gruppe: Luxemburg, Portugal, Dänemark, Schweden,
Malta, Ungarn, Slowenien, Slowakei, Rumänien
Diese neun EU-Länder sind die Einzigen, für die keine Form
der Entlastung vorgesehen ist. Von ihnen wird erwartet, dass sie sich in vollem
Umfang solidarisch beteiligen. Ungarn hat bereits deutlich
gemacht, weder Geflüchtete aufzunehmen noch einen finanziellen Ausgleich zahlen
zu wollen. Auch die dänische Regierung, bekannt für ihre strenge
Migrationspolitik, will keine Geflüchteten aufnehmen.
Erik Marquardt, Grünenpolitiker und Abgeordneter im
Europäischen Parlament, sieht die Aufteilung der EU-Kommission kritisch. “Es sollen jetzt neun Länder, in denen nur 14 Prozent der
EU-Bevölkerung leben, Solidarität mit den Staaten zeigen, die 86 Prozent der EU-Bewohner
ausmachen”, sagt er. “Für mich wirkt das so, als hätte man falsch herum
gerechnet.”
Die Einstufung Deutschlands in die dritte Kategorie dürfte bei
der Bundesregierung auf wenig Begeisterung gestoßen sein. Das
Bundesinnenministerium von Alexander Dobrindt (CSU) sieht Unterstützungsbedarf vor
allem bei den Ländern, in denen Geflüchtete langfristig leben, also etwa in
Deutschland. Die EU-Kommission konzentriert sich hingegen stärker auf die Ankunftszahlen
an den Außengrenzen.





















