Medizinische Notfälle im Amateursport: Wenn das Herz auf dem Platz bleibt | ABC-Z

Medizinische Notfälle im Amateursport
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Wenn das Herz auf dem Platz bleibt
Sa. 31.05.25 | 13:09 Uhr | Von
Innerhalb von sieben Wochen kam es im Brandenburger Amateurfußball zu zwei Fällen eines plötzlichen Herztodes. Landesverband und Vereine setzen sich für mehr Aufmerksamkeit und Defibrillatoren an Sportplätzen ein – stoßen aber an ihre Grenzen. Von Anton Fahl
“Schockstarre.” Dieses eine Wort, dieser Zustand kommt Christian Leyer, dem ersten Vorsitzenden des SV Grün-Weiß Lübben, in den Sinn, wenn er an den 8. März 2025 zurückdenkt. An jenem Samstag waren die Lübbener Fußballer in der Brandenburgliga beim 1. FC Frankfurt (Oder) zu Gast. Nach einer knappen halben Stunde sackte der 26-jährige Lucas Albrecht ohne gegnerische Einwirkung in sich zusammen.
“Er lag regungslos am Boden. Die Spieler wurden hektisch”, sagt Leyer im Gespräch mit rbb|24. “Einer der Linienrichter und der Co-Trainer von Frankfurt haben sofort die Reanimation eingeleitet. Sie haben unserem Spieler das Leben gerettet, bis ein Notarzt mit Defibrillator gekommen ist. Gefühlt hat das Stunden gedauert. Ich glaube, innerhalb von sieben, acht Minuten war er vor Ort.” Lucas Albrecht hatte Glück und überlebte – auch weil der eingreifende Schiedsrichter-Assistent Kevin Heyl ausgebildeter Notfallsanitäter ist und entsprechend beherzt handelte [fussball.de].
Ein ungeahntes Risiko
Nur sieben Wochen später ereignete sich ein ähnlicher Vorfall im Brandenburger Amateurfußball. Am 26. April erzielte Ronny Kessel in der Kreisklasse kurz vor Schluss den 2:2-Ausgleichstreffer für die SG Mildenberg gegen den Löwenberger SV II. Beim Torjubel brach der 36-Jährige unvermittelt zusammen. Er erlitt ebenfalls einen plötzlichen Herztod. Doch trotz Reanimationsversuchen konnte er nicht gerettet werden. Ronny Kessel starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Weder in Frankfurt (Oder) noch in Mildenberg verfügten die Sportanlagen über einen Defibrillator [maz-online.de].
Zwei Vorfälle, die den regionalen Amateurfußball nachhaltig beschäftigen – und deren Tragweite über die Brandenburger Landesgrenzen hinausreicht. “Der plötzliche Herztod – das wird von vielen Menschen nicht gewusst oder unterschätzt – ist eine der häufigsten Todesursachen in den Ländern der westlichen Welt; mit jährlich etwa 350.000 Todesfällen in Nordamerika, bis zu 300.000 in Europa und rund 70.000 in Deutschland”, sagt Prof. Dr. Gerhard Hindricks, Gesamtleiter Rhythmologie am Deutschen Herzzentrum der Charité und Klinikdirektor an der Charité in Mitte, im Gespräch mit rbb|24. Menschen mit strukturellen Herzerkrankungen seien zwar “in deutlich intensiverem Ausmaß” als herzgesunde Menschen vom plötzlichen Herztod betroffen. Diejenigen, die ein höheres Risiko haben, müssen das aber nicht unbedingt wissen, so Hindricks weiter.
Prävention durch EKG und Ultraschall
Stattdessen können Herzerkrankungen “über viele Jahre in einem sogenannten subklinischen Stadium sein. Das heißt: Der Betroffene spürt gar nicht, dass eine wesentliche Erkrankung im Herz-Kreislauf-System mit den entsprechend verknüpften Risiken in der Entwicklung ist. Der Umstand des plötzlichen Herztodes ist in vielen Fällen die Erstmanifestation einer nicht gespürten Herz-Kreislauf-Erkrankung”, sagt der Mediziner. “Das kann bedeuten, dass diese strukturellen Herzerkrankungen unter bestimmten Situationen – etwa im Sport unter Abruf maximaler Leistungskapazität des Herzmuskels, der Pumpe des Lebens –, wirksam werden können und dann in tragischer Weise, wie bei den beiden jungen Sportlern im Brandenburger Amateurfußball geschehen, zum plötzlichen Herztod führen.”
Um bestmöglich vorzubeugen, verweist Hindricks auf sogenanntes “Screening”, das Suchen nach Auffälligkeiten. “Es gibt Daten dafür, dass man gut beraten ist, wenn man im leistungsorientierten Amateurbereich Sport treiben will, einmal zum Kardiologen zu gehen, ein EKG [Elektrokardiogramm; Anm. d. Red.] und einen Herzultraschall machen zu lassen. Das sind Untersuchungen, die weder eingreifend noch gefährlich oder aufwendig sind.” Und: “Es gibt Warnsymptome, bei denen alle Alarmglocken schrillen müssen: Das Gefühl von unangemessenem Herzrasen, Schwindelanfällen oder Bewusstlosigkeit unter Belastung.”
Minuten, die Leben retten und Behinderung verhindern
Im Notfall kommt es darauf an, dass außenstehende Personen, sofern denn welche vor Ort sind, entschlossen eingreifen. Um einen Prozess der Erstversorgung einzuleiten, den Hindricks mit dem medizinischen Begriff “Chain of Survival” (Überlebenskette) beschreibt: Die Detektion, das Erkennen der Symptome; gefolgt von Rückenlagerung, Notruf und Laienreanimation in Form einer Herzdruckmassage. Außerdem ist zu klären, ob ein AED-Gerät, ein automatisierter externer Defibrillator, der die Überlebenschance deutlich erhöhen kann, in der Nähe ist. “Falls ja, muss man das sofort holen lassen – im Idealfall durch einen Zweithelfer, während der Ersthelfer beim Betroffenen bleibt und mit der Kardiokompression weitermacht. Und ein dritter Anwesender ruft den Rettungsdienst – unter genauer Angabe des Geschehenen.”
Schließlich öffne sich immer dann, wenn ein Herzstillstand eintritt, “eine kritische Zeitzone”, so Hindricks. “Natürlich ist das ein furchtbarer Moment. Ich bin seit 40 Jahren Arzt und habe diese Situation häufig erlebt. Aber jedes Mal, wenn ich eine solche Situation ärztlich begleiten muss, ist das ein absoluter Stressmoment – und das für jemanden, der im Stoff und im Saft steckt. Ich kann es gut verstehen, dass Menschen, die keinen Kontakt zu diesen Ereignissen haben, sich noch schwerer tun, die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.”
In der “kritischen Zeitzone” von einigen wenigen Minuten, von denen die ersten 180 bis 360 Sekunden besonders entscheidend seien, komme es darauf an, im Moment des Erkennens die Kraft und den Mut aufbringen, um das Richtige zu tun, sagt Hindricks. “Zentrales Element ist die Kardiokompression. Über heftigen, nachhaltigen Druck auf den Brustkorb eine Restzirkulation und Versorgung des Gehirns mit Sauerstoff hinzukriegen. Damit kann Leben gerettet und anhaltende Behinderung verhindert werden.”
Beim Fußball-Landesverband Brandenburg (FLB) haben die beiden medizinischen Notfälle im Frühjahr das Bewusstsein für die Thematik geschärft, auch wenn derartige Szenen im Brandenburger Amateurfußball eine statistische Seltenheit sind. Gegenüber rbb|24 teilt der FLB mit, dass in der Saison 2023/24 insgesamt 38.770 Spiele im Verbandsgebiet ausgetragen und lediglich zwölf medizinische Notfälle auf den Spielberichtsbögen vermerkt worden seien.
Wenige AED-Geräte an Brandenburger Sportstätten
Nichtsdestotrotz lege der FLB verstärkt Wert darauf, möglichst flächendeckend für eine Ausbildung von Ersthelfern und die Verfügbarkeit von AED-Geräten zu sorgen, betont Ronny Beyer, der seit November 2020 für den FLB tätig ist und als Vereinsberater fungiert, im Gespräch mit rbb|24. Verbandsseitig wird allerdings nicht statistisch erfasst, wie groß der Anteil an Sportstätten ist, der über ein AED-Gerät verfügt. Ein Problem sei, dass Kommunen und Städte mehrheitlich Betreiber der Sportanlagen und somit eigentlich für die Beschaffung von AED-Geräten zuständig, wenn auch nicht verpflichtet, seien, so Beyer weiter. “Da passiert leider noch viel zu wenig. Ich bin bis zu drei Mal am Tag in verschiedenen Vereinen unterwegs. Mit Abstand bei den wenigsten sehe ich ein AED-Gerät hängen. Wir können den Vereinen also nur anbieten, dass sie Hilfe zur Selbsthilfe wahrnehmen.”
Aus seiner Erfahrung im Berufsalltag schätzt Beyer, dass nur etwa zehn bis zwanzig Prozent der Brandenburger Sportstätten über ein AED-Gerät, was allein in der Anschaffung zwischen 1.500 und 2.000 Euro kostet, verfügen. Um den Amateurvereinen, die in der Regel sehr begrenzte finanzielle Mittel haben, dennoch bestmöglich helfen zu können, sei der Verband – in Kooperation mit Luftsport-Landesverband und Landessportbund Brandenburg – mit Stiftungen und anderen potenziellen Geldgebern im Gespräch.
“Es kann jeden treffen. Ich bin jetzt seit 30 Jahren auf dem Sportplatz, hatte so einen Fall bis dahin noch nicht und hoffe, dass ich das nicht nochmal erleben werde. Die Chance, dass so etwas nochmal eintritt, ist gering – aber sie ist da”, sagt Christian Leyer vom SV Grün-Weiß Lübben. “Was ich schlimm an der ganzen Geschichte finde, ist, dass es in einer Stadt wie Frankfurt (Oder) mit ihren 60.000 Einwohnern, einer Universität und Sportschule, anscheinend nicht möglich ist, dass da ein Defibrillator [am Sportplatz; Anm. d. Red.] hängt. Da fehlen mir die Worte. In Lübben haben wir – als Kreisstadt mit 15.000 Einwohnern – in Einrichtungen, Schulen und auf dem Sportplatz so ein Ding hängen.”
“Die Überlebenswahrscheinlichkeit steigt fast linear mit der Trainingsintensität”
Im Sommer – Ende Juni/Anfang Juli – plant der SV Grün-Weiß Lübben in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Handballverein HC Spreewald einen Aktionstag. “Wir wollen alle Trainer des Handball- und Fußballvereins zusammenholen und mit dem Sportpark in Lübben, der uns mit seinen Räumlichkeiten unterstützt, eine Art Erste-Hilfe-Kurs veranstalten. Wir möchten auf die Problematik aufmerksam machen und die Menschen mit Herzdruckmassagen und AED-Geräten vertraut machen, sodass möglichst viele von ihnen im Notfall handlungsfähig sind.” Denn für Leyer steht fest: “Dieses Thema muss in die Gesellschaft rein. Man könnte viel mehr Leben retten, wenn das in den Köpfen der Menschen wäre.”
Die Bedeutsamkeit einer solchen Maßnahme hebt auch Kardiologe Gerhard Hindricks hervor: “Gerade im Umfeld von Sportvereinen und Sportverbänden ist es empfehlenswert, einmal im Jahr ein Training für plötzliche Todesfälle anzubieten. Strukturen und Trainings sind elementar. Die Überlebenswahrscheinlichkeit steigt fast linear mit der Trainingsintensität”, sagt der Mediziner. “Es gibt in Deutschland Geografien, da beträgt die Überlebenswahrscheinlichkeit für Menschen mit plötzlichem Herztod zwei Prozent. Und es gibt Geografien, da beträgt sie zwanzig Prozent. Den Unterschied macht die Ausbildung, das Training, die Aufmerksamkeit für den plötzlichen Herztod und die Bereitschaft, im Notfall einzugreifen.”