Goodbye Germany – Was zieht deutsche Top-Athleten in die USA? | ABC-Z

Leben und trainieren in Colorado, Boston und Nebraska. Was macht es für deutsche Top-Leichtathleten so reizvoll, der Heimat den Rücken zuzukehren? Lea Meyer, Robert Farken und Till Steinforth haben den Schritt in die USA gewagt – und berichten von ihren Erfahrungen und Träumen.
Sie starten für Deutschland, aber immer mehr Spitzenathletinnen und -athleten trainieren in den USA, haben ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlegt. Was macht die Anziehungskraft aus? Woher kommt der Glaube an den Erfolg? “Raus aus der Komfortzone und versuchen, sich als Mensch und Athlet weiterzuentwickeln”, nennt 1500-Meter-Läufer Robert Farken ein zentrales Motiv für den Sprung über den Atlantik.
Farken in Colorado: Nur dabei sein reichte nicht
Farken, Hindernisläuferin Lea Meyer und Zehnkämpfer Till Steinforth, die der NDR im Vorfeld der Leichtathletik-WM (ab 13. September) begleitet hat, eint der Traum vom sportlichen Erfolg, der im amerikanischen Sportsystem mit vielfach besseren Trainings- und Rahmenbedingungen effektiver erreichbar zu sein scheint.
In Deutschland habe er bisweilen das Gefühl gehabt, dass allein das “Dabeisein” schon genug sei, sagt Farken: “In den USA geht’s darum, bei der internationalen Meisterschaft erfolgreich zu sein.” Farken will so denken und handeln. Ist das der Schlüssel zum Erfolg? “Es macht einfach was mit deinem Kopf, wenn nicht über eine Qualifikation gesprochen wird, sondern über eine Medaille. Dann ordnet man sich selbst auch ganz anders ein”, so der 27-Jährige.
“Man hat nur eine Karriere”
Bei der Leichtathletik-WM in Japan will sich Farken seinen Traum vom “ersten globalen Finale” erfüllen. Als deutscher Meister durfte er 2021 zu den Olympischen Spielen in Tokio – und schied wie auch im vergangenen Jahr in Paris im Halbfinale aus.
In Boulder im US-Bundesstaat Colorado trainiert er im Profi-Team seines Ausrüsters. “Man hat nur eine Karriere und die ist zeitlich begrenzt.” Ein Argument, das ihm die Entscheidung leichter gemacht habe. “Es ist ja nicht für immer; so kann man es sich ein klein wenig schönreden, dass man so weit weg ist von zu Hause.”
Von Leipzig nach Colorado: Privatleben als größtes Opfer
Ein bisschen Heimweh schwingt mit. “Das größte Opfer ist natürlich das Privatleben”, erzählt Farken, als er im offenen Cabriolet zu einer Spritztour startet. Letztlich könne man sich “ja auch nicht beschweren bei der extrem hohen Lebensqualität hier”.
Das Wetter, die abwechslungsreichen Trails – und dennoch war es ein großer Schritt für ihn, Leipzig zu verlassen. Seinem Coach Dathan Ritzenhein blieb das natürlich nicht verborgen: “Trotzdem war es sofort so, als wäre Robert schon zehn Jahre hier.” Die Chemie stimmt, “weil er mich menschlich total abholt”, sagt Farken über seinen Trainer. “Diese Energie geht einfach auf mich über und ich habe das Gefühl, ich laufe ein Stück weit auch für ihn. Da fühlt man sich gleich nicht mehr so allein.”
Sam Parsons lobt Farken: Starke Beine und neue Energie
Das Einleben hat ihm sein Freund und Trainingspartner George Samuel Parsons erleichtert. Der 31 Jahre alte Athlet aus den USA, der für gewöhnlich nur Sam genannt wird, hat eine deutsche Mutter und konnte deshalb 2019 in Leipzig deutscher Hallenmeister über 3000 Meter werden.
“Ich kenne Robert seit acht Jahren”, erzählt Parsons und fährt mit seinem Lobgesang erst fort, nachdem er Farken lachend außer Hörweite geschickt hat: “Er hat stärkere Beine bekommen und ist zufrieden hier. Wenn du so eine Mentalität hast und so eine neue Energie, kannst du echt frei laufen.”
Robert Farken will seine starke Saison mit der Final-Teilnahme bei der WM in Tokio krönen.
Uralt-Rekord von Wessinghage geknackt
Im Juni dieses Jahres lief Farken beim Diamond-League-Meeting in Rom in 3:30,80 Minuten deutschen Rekord über 1500 Meter. Dabei verbesserte er die fast 45 Jahre alte Bestzeit von Thomas Wessinghage um 78 Hundertstelsekunden.
Ein weiterer Rekord über die Meile unterstreicht Farkens Ambitionen und lässt sein Selbstbewusstsein wachsen. “Dieses andauernde Understatement, mit dem man in Deutschland großgezogen wird”, kritisiert er und wünscht sich mehr Mut: “Wir Deutschen könnten den durchaus haben, weil wir was auf dem Kasten haben – wissenschaftlich und trainingstechnisch.”
Hindernisläuferin Lea Meyer in Boston: “Ich kann noch mehr”
Falsche Bescheidenheit im Sport hat Lea Meyer längst abgelegt. Groß denken ist spätestens seit dem couragierten Finale bei Olympia in Paris und Platz zehn über 3000 Meter Hindernis Teil ihrer DNA. “Ich habe gezeigt, dass ich in ein Finale auf Top-Niveau gehöre und auch in die Top Ten laufen kann”, sagt sie. “Ich kann noch mehr – das würde ich gerne dieses Jahr zeigen.”
Coach Coogan: “Lea hat dieses Selbstverständnis”
Mit Trainer Mark Coogan hat sie in Boston einen guten Griff getan. “Das Zwischenmenschliche und das tägliche Miteinander stimmen; ich fühle mich gut aufgehoben”, sagt sie. Dass viele Amerikaner denken, ihr Land sei das Größte aller Zeiten, hält Coogan zwar für Quatsch. Woran er aber glaubt, ist “dieses Selbstverständnis, dass wir alles schaffen können, wenn wir es wirklich wollen. Lea hat dieses Selbstverständnis auch: Ich bin Weltspitze, ich kann eine Medaille holen. Sie glaubt an sich.”
“Schockverliebt” hat sich die am 16. September 1997 im niedersächsischen Löningen geborene Meyer nach eigenen Worten, als sie 2022 zum Höhentraining nach Flagstaff/Arizona kam – dem Vorbild vieler Sportstars folgend, die seit Jahren auf den positiven Effekt der dünnen Höhenluft vertrauen. “Fünf Wochen war ich hier oben”, schwärmt Meyer, die dann noch im selben Jahr in München EM-Silber holte.
Meyer ist Angestellte beim Ausrüster
Natürlich wird Lea Meyer auch von der Sporthilfe und dem Deutschen Leichtathletik-Verband unterstützt. Ohne die finanzielle Hilfe ihrer Eltern wäre ihr Werdegang aber kaum möglich gewesen, erzählt ihre Mutter Monika Meyer: “Wir mussten sie als Eltern unterstützen, weil Leichtathletik keinen so großen Stellenwert hat und die finanziellen Mittel sehr beschränkt sind in Deutschland.”
Als Profi in den USA hat Lea Meyer nun ihr Auskommen. “Der größte Sponsor, die größte Unterstützung ist bei mir mein Ausrüster. Ich bin quasi Angestellte der Marke und habe mein Gehalt.”
Ist der Sport in Deutschland zu verkopft?
Als besonders “cool” empfindet sie das Training “mit so vielen Mädels. Man weiß, mit denen kommt man gut klar, wir haben die gleichen Themen, man steckt am gleichen Punkt des Lebens.” Das soziale Miteinander ist der Niedersächsin äußerst wichtig. In Deutschland, wo sie meist allein trainierte, habe sie den Druck viel mehr gespürt. “Hier mache ich meinen Job, aber ich mache ihn mit Spaß und Gelassenheit.”
Sich im Team an einem Ort täglich mit anderen Top-Athletinnen messen zu können, ist eine Herausforderung. Aber: “Die besten Athleten der Welt bekommt man, indem man mit den Besten der Welt trainiert – und voneinander profitiert.” Eine Stärke, die sie jeden Tag aufs Neue spüre. “Ich glaube, da sind wir in Deutschland einfach noch ein paar Schritte hinterher, verkopfen uns vielleicht auch zu sehr und arbeiten gegeneinander statt miteinander.”
Bestleistung und Titel bei der Hallen-DM
Als Vierte beim Diamond-League-Meeting in Oslo verbesserte Meyer im Juni über 3000 Meter Hindernis ihre Bestleistung aus dem Jahr 2021 um mehr als 20 Sekunden auf 9:09,21 Minuten. Der deutsche Rekord, den Gesa Krause seit 2019 mit 9:03,30 Minuten hält, rückt näher. Im Februar gewann Meyer zudem bei der Hallen-DM den Titel über 3000 Meter in 8:53,82 Minuten.
Till Steinforth in Nebraska: “Auf hohem Level”
Auch der Magdeburger Till Steinforth hat “Goodbye Germany” gesagt. Aber seine Sponsoren sind keine Sportartikelhersteller oder reiche Gönner. Ein Stipendium der Universität von Nebraska in Lincoln ermöglicht es ihm, in den USA zu studieren und sich als Zehnkämpfer in der Weltspitze zu etablieren. “Architektur und Sport auf einem ganz hohen Level. Da war Nebraska einfach die beste Option für mich”, sagt der 23-Jährige.
Nach dem Abitur wusste Steinforth: “Ich kann noch besser werden in der Leichtathletik, aber ich will auch lernen, Architekt werden. Und diese Kombination war eben nur in Amerika möglich. Ich kenne auch einige Architekturstudenten aus Deutschland, die keine Sportler sind. Aber die können kaum ihr Studium händeln. Und dann noch Sport mit reinzubringen, mit Professoren, die das nicht interessiert? Das hätte nicht funktioniert.”
Auch Zehnkämpfer Till Steinforth bereut seinen Wechsel in die USA nicht.
Glücksgriffe: Die Uni und Trainer Dusty Jonas
Natürlich sei der Abschied schwer gewesen. “Aber wir standen immer dahinter”, sagt Steinforths Mutter Doreen. Till habe weder zur Bundeswehr noch zur Bundespolizei gewollt, ergänzt Vater Ingo, was bekanntlich für Spitzensportler vor allem finanziell attraktiv ist. Also Nebraska. Doch nicht nur die renommierte Uni im Mittleren Westen der USA war ein Glücksgriff, sondern auch Trainer Dusty Jonas. Durch ihn sei er so erfolgreich geworden, habe viel von ihm gelernt, sagt Steinforth.
“Vom Mindset, von der Mentalität her sind wir sehr ähnlich. Wir sind locker, machen öfters mal einen Spaß.” In Deutschland seien viele ein bisschen steifer, so Steinforth. Der Trainer gibt die positive Bewertung gerne zurück: “Till ist sehr talentiert, er hat einen starken inneren Antrieb, er will top sein. Und wenn man dazu sieht, wie er Studium und Sport unter einen Hut bekommt, dann ist das beeindruckend. Ich glaube, es gibt nur ganz wenige Athleten auf der Welt, die das können.”
Auf Last-Minute-Olympia folgt WM-Feuertaufe
Tokio wird Steinforths WM-Feuertaufe – das olympische Flair kennt er dagegen schon: Nachdem er in Ratingen mit 8287 Punkten eine persönliche Bestleistung aufgestellt hatte, wurde er im Vorjahr als Ersatzathlet für die Olympischen Spiele in Paris nominiert – und kam kurz vor Meldeschluss noch für Manuel Eitel ins Team. “Meine Eltern sind mit all meinem Equipment, Stäben und Speeren, was man alles so braucht, mit dem Wohnmobil über Nacht nach Paris gefahren.” Beim olympischen Zehnkampf landete er mit 8170 Punkten auf Platz 15.
Was in ihm steckt und welch positiven Effekt Studium und Training in Lincoln haben, zeigte sich Anfang dieses Jahres, als er bei der Hallen-EM im niederländischen Apeldoorn als Dritter den deutschen Siebenkampf-Rekord des Olympia-Zweiten Leo Neugebauer um 41 Zähler auf 6388 Punkte verbesserte. Zwei Wochen später gewann er bei der Hallen-WM in Nanjing mit 6275 Punkten ebenfalls die Bronzemedaille.
Auswandern für sportlichen Erfolg: Eine Win-Win-Geschichte
Den Sprung ins kalte Wasser haben Lea Meyer, Robert Farken und Till Steinforth nicht bereut. Ihre sportlichen Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache. Vor allem aber sind die WM-Starter in ihrer Wahlheimat USA zufrieden, fühlen sich wohl, sind menschlich angekommen und respektiert.
“Es gab viele Athleten, die nach Amerika gegangen sind und erfolgreich sind auf dem olympischen Level”, so Steinforth. “Das ist es, was jeder Sportler will: bei Olympia maximal erfolgreich sein. Und wenn man gleichzeitig studieren kann, ist das eine Win-Win-Geschichte.”