Berlin

Männer und Einsamkeit in der Großstadt: Einer von Millionen | ABC-Z

Berlin, Montagmorgen. Menschen drängen sich in die U-Bahn-Linie 8. Einige klammern sich an ihre Kaffeebecher, andere starren auf ihr Handy und scrollen durch News oder Social-Media-Feeds, die Gesichter sind müde, niemand spricht …

„Man muss in Berlin nur U-Bahn fahren, und wenn man halbwegs sensibel ist, dann ist man eigentlich schon fertig für den Tag“, sagt der Autor und Schauspieler Anton Weil, der selbst in der Hauptstadt lebt und im Zuge des Internationalen Literaturfestivals Berlin zu einem Panel über „Männliche Einsamkeit“ eingeladen war. Menschen leben in der Millionenstadt dicht an dicht, und doch fühlen sich viele isoliert. „Du bekommst viel mit von prekärer Armut, Stress, Drogen, Wut. Damit eben auch: Ey, denen geht es so viel schlechter als mir, wer bin ich denn, mich zu beschweren?“

Die Forschung definiert Einsamkeit als Lücke zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und der Qualität der Beziehungen. Man muss also nicht allein sein, um sich einsam zu fühlen. Der Soziologe Janosch Schobin, Autor von „Zeiten der Einsamkeit“ und ebenfalls Teilnehmer des Panels, erklärt: „Einsamkeit tritt in unterschiedlichen Schattierungen auf. Sie kann plötzlich einschlagen, als dumpfes Dauerrauschen bleiben oder episodisch auftreten.“ In jedem Fall erfüllt sie eine wichtige Funktion. „Einsamkeit ist wie Hunger oder Schmerz ein Signal deines Körpers, dass dir etwas fehlt.“

Das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) hat mit dem „Einsamkeitsbarometer 2024“ die Belastung innerhalb der deutschen Bevölkerung gemessen. Frauen waren häufiger betroffen als Männer, beide Gruppen erlebten während der Pandemie einen starken Anstieg. Besonders gefährdet sind Alleinerziehende, Arbeitslose, Geringqualifizierte, chronisch Kranke sowie Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrung. Stadt-Land-Unterschiede lassen sich hingegen kaum feststellen. Doch wichtiger als die Frage nach Quoten ist, wie Menschen ihre Einsamkeit erleben. Welche Rolle spielen männliche und weibliche Sozialisierung? Welche Unterschiede gibt es zwischen Brandenburgs Dörfern und Berlin?

Die Einsamkeit benennen

Genau hier setzt Anton Weil mit seinem Roman „Super einsam“ an. Er erzählt von seinem Helden Vito, der erst begreifen muss, dass er einsam ist, und von einem Roadtrip, der nie wirklich beginnt, weil die eigentliche Reise eine im Inneren des Protagonisten ist.

Der Autor selbst hat eine solche Reise hinter sich

Der Autor selbst hat eine solche Reise hinter sich. Seine Mutter starb, als er 17 Jahre alt war. Zehn Jahre vergingen, bis er erkannte, dass er eine Therapie braucht. Für ihn war entscheidend zu realisieren, dass er in einer Stadt voller Möglichkeiten lebt – aber nicht mal aus dem Bett kommt. „Der Turbokapitalismus kickt in Berlin noch mehr, weil du dich mehr vergleichen kannst und das Gefühl bekommst, wenn du nicht mithältst, dann bist du raus.“

Dass Anton Weil es mittlerweile geschafft hat, die Einsamkeit zu benennen, bedeute nicht, dass er sie überwunden habe. „Ich führe jetzt nicht einen Haufen dieser Freundschaften, wie ich sie gerne hätte. Oder habe im Privaten den Zugang zu meinen Emotionen, wie ich es gerne hätte. Das ist nicht gelöst, nur weil man es erkannt hat.“

Der Schritt, sich Unterstützung zu suchen, war dennoch entscheidend. Dass Weil mit einem Vater aufgewachsen ist, der selbst Psychologe ist und eigene Verletzlichkeit zeigt, half ihm. „Er hat mir eine Kollegin vermittelt, die mir Fragen stellte: Welche Therapieform gibt es? Willst du eher mit einem Mann oder einer Frau sprechen? Das war total schön, da so an die Hand genommen zu werden.“

Doch nicht jeder hat solche Ressourcen. Hier wird sichtbar, dass Einsamkeit auch ökonomische Dimensionen hat. Männer aus ärmeren Verhältnissen haben häufig einen erschwerten Zugang zu Bildung. Sie sind besonders gefährdet von Einsamkeit, weil Arbeit nicht nur Geld bedeutet, sondern auch Anerkennung und die Möglichkeit, am sozialen Leben teilzuhaben.

„Einsamkeit ist ein unangenehmes Gefühl“

Einsame, arme Männer ziehen sich häufiger zurück, greifen eher zu Alkohol oder Drogen. „Einsamkeit ist ein unangenehmes Gefühl. Eine einfache Kompensationsstrategie ist, Gefühle abzudämpfen“, sagt Soziologe Schobin. Oft fehlt eben nicht nur der Zugang zu Arbeit oder Bildung, sondern auch der zu den eigenen Gefühlen.

Und Rollenbilder werden zum Brandbeschleuniger der Einsamkeit: Sie lehren Männer, Stärke zu zeigen, wo Verletzlichkeit gefragt wäre. Männer fürchten, als bedürftig zu gelten und diese Sorge ist nicht unbegründet. Sich von ansozialisierten Rollenmustern zu lösen, ist ein langer Prozess – auch für Frauen. „In feministischen Kreisen wurden Männer, die sich verändern wollten, oft als narzisstisch und bedürftig bezeichnet“, schreibt bell hooks (wir übernehmen ihre Eigenschreibweise – Anm. d. Red.) in „Männer, Männlichkeit und Liebe“: „Einzelne Männer, die ihren Gefühlen Ausdruck verliehen, wurden als Aufmerksamkeitshascher angesehen.“

Dass diese Haltung weit verbreitet ist, bildet sich auch in Social-Media-Trends ab, in denen männliche Emotionen verspottet werden. Memes über den „Performative Male“ gehen viral, wollen den gespielten Feministen mit bunten Nägeln, Buch und Matcha Latte enttarnen. Dieser Trend ist eine vielleicht sogar gesunde Abwehr gegen die toxischen Inhalte, die Influencer à la Andrew Tate verbreiten. Immer noch üben Männer strukturell Macht aus, einige stellen den Feminismus als Feindbild dar und natürlich gibt es Männer, die Gefühle inszenieren. Doch wenn Verwundbarkeit grundsätzlich unter Verdacht steht, gespielt zu sein, schreckt das nicht auch die Männer ab, die es ehrlich meinen?

Wie oft hört man den Satz, dass Männer und Frauen nicht befreundet sein können? Aber das stimmt nicht. Im Gegenteil. „Gerade ab der Pubertät haben Männerfreundschaften viel mit Dominanz und Konkurrenz zu tun, da hat mir oft was gefehlt“, sagt Anton Weil. „Und ich habe gemerkt, es sind eher Frauen, die sich melden, auch wenn man selbst es nicht tut.“

Diversität bei der Suche nach Freund- und Partnerschaften

Janosch Schobin rät dazu, Beziehungen, die nicht auf Augenhöhe stattfinden, zu beenden, um Raum für gesunde Beziehungen zu schaffen: „Den vor Einsamkeit schützenden Effekt von Beziehungen kriegt man nur in relativ gleichberechtigten Partnerschaften.“ Außerdem ist es hilfreich, Diversität bei der Suche nach Freund- und Partnerschaften zuzulassen.

Dabei bezieht er nicht nur auf das Geschlecht: „Wenn man sich anschaut, wie wir via App nach Freun­d*in­nen suchen, fällt auf, dass wir die Altersrange extrem schmal wählen. Wir scheinen Leute zu suchen, die uns ähnlich sind, und Algorithmen verstärken das.“ Doch gerade Vielfalt eröffnet Möglichkeiten, überrascht zu werden.

Überall in der Stadt gibt es Initiativen, die darauf ausgerichtet sind, Menschen in Einsamkeit zu unterstützen

Und Berlin bietet diese Vielfalt an Menschen wie an Orten, an denen man sich begegnen kann. Überall in der Stadt gibt es Initiativen, die darauf ausgerichtet sind, Menschen in Einsamkeit zu unterstützen. Der Kreuzbund Diözesanverband Berlin e.V. bietet Gesprächskreise für Alleinstehende an, im Nachbarschaftsheim Schöneberg werden Stammtische nur für Männer veranstaltet, der Start with a Friend e.V. bringt Menschen in Eins-zu-Eins-Tandems und lokalen Communitys zusammen. Und wer sich schwertut mit dem Erstkontakt in Persona, dem bieten Apps wie „HelpCity“ und „Meet 5“ kostenlosen Austausch mit Menschen in ähnlichen Lebenssituationen sowie die Möglichkeit, sich zu gemeinsamen Freizeitaktivitäten zu verabreden.

Auf struktureller Ebene bräuchte es laut dem Soziologen Janosch Schobin allerdings noch bessere Bedingungen für lokale Gemeinschaften. Den bestehenden Vereinen und Initiativen müsse es leichter gemacht werden, sich zu vernetzen. Außerdem solle weniger projektbezogen finanziert werden: „Ein Mensch, der auf der Suche nach Hilfe ist, um die eigene Einsamkeit zu bekämpfen, braucht eine dauerhafte Anlaufstelle, keine, die nach einem Jahr eingestellt wird, weil die Finanzierung ausläuft.“

Dafür brauche es Reformen und vor allem den politischen Willen, in soziale Strukturen zu investieren. Am Ende geht es nicht um Schuld, sondern um Räume, in den Beziehungen entstehen können, und die Verantwortung, Beziehungen bewusst zu gestalten.

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