Zu Besuch bei Jane Austen in Chawton: Pride und Pepperoni Pizza | ABC-Z

Eine kleine Gruppe hat sich in bunten Gewändern des 18. Jahrhunderts verkleidet und fotografiert sich gegenseitig im Hof des Hauses, in dem Jane Austen die letzten acht Jahre ihres Lebens verbrachte. Das rote Backsteinhaus ist heute ein Museum, es steht in Chawton, einem kleinen Dorf im Südwesten Englands. Zum 250. Geburtstag der Schriftstellerin gibt es ein Programm voller Vorlesungen, Führungen und Workshops.
Im Vorraum des Hauses stößt der Reporter auf Karen Phethean und Martyn Dell. Beide sind eigentlich in Rente gegangen, arbeiten aber als Museumsangestellte auf freiwilliger Basis weiter. „Dieses Jahr ist mit 56.000 Besucher:innen aus der ganzen Welt ein Rekordjahr“, bemerkt Dell. Der Andrang habe aber schon mit den TV-Verfilmungen von Jane Austens Romanen begonnen, im Museum ist ihnen ein ganzer Raum gewidmet.
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Am 16. Dezember gibt es den 250. Geburtstag der Autorin Jane Austen zu feiern, die als Frau zunächst nur heimlich schreiben konnte und eine große Klassikerin der Weltliteratur wurde. Die taz begeht dieses Jubiläum mit einer Jane-Austen-Woche: Täglich beleuchten wir einen Aspekt ihrer Werke. Alle erschienenen Texte finden Sie hier.
In der alten Küche nebenan wurde die historische Szenerie nachgebaut. Dort trifft man auf Ines Vicente, die 42 Jahre alte Sozialarbeiterin aus San Sebastián ist in England auf Urlaub. „Jane Austen ist eine Inspiration für alle Frauen“, sagt sie. „Ich bin Mitglied eines Bücherklubs, in dem wir nur Werke von Frauen lesen. Jane Austen war die erste Autorin, die wir lasen.“
In England ist Austen Pflichtlektüre an den Schulen. „Abgesehen vom mitreißenden Liebesdrama kann man von Austen einiges über das Spielen mit verschiedenen Perspektiven durch die Erzähler:innen lernen“, sagt Louise Curran, Literaturexpertin an der University of Birmingham. Hinzu käme die von ihr beschriebene Welt der Regeln, der starren Rangordnung und der Höflichkeit.
Jane-Austen-Gummienten
Da geht’s lang: 56.000 Besucher:innen aus der ganzen Welt waren dieses Jahr schon in Jane Austens Haus
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Jane Austen ist den Briten immens wichtig. Seit 2017 ist sie eine von nur zwei Frauen auf britischen Geldnoten. In der westenglischen Stadt Bath, wo Austen zwischen 1801 und 1806 relativ unglücklich lebte, ist die Autorin ein touristisches Aushängeschild. Es gibt Hotels, die Besucher:innen in das 18. Jahrhundert zurückversetzen wollen. Austen-Stadtführungen werden angeboten. Theater und Bälle finden statt, am 13. Dezember aus Anlass des 250. Geburtstages etwa im Pump Room, den Austen bereits in ihren Romanen beschrieben hat.
Ein alljährliches internationales Jane-Austen-Filmfest gibt es in Bath auch, mit einer nicht abebbenden Welle der Verfilmungen ihrer Romane, der Dokumentationen und Hörspiele. „Zum Jane-Austen-Fest im September promenierten 3.000 Menschen in Gewändern der damaligen Zeit durch die Stadt, 260.000 Zuschauer:innen sahen ihnen zu“, schreibt die Tourismusstelle von Bath stolz. Mit im Programm gab es auch „Pride & Pepperoni Pizza“.
Auch in anderen britischen Städten herrscht das Austen-Fieber, so wurde in Winchester dieses Jahr eine Statue der Autorin enthüllt. In London soll es nächstes Jahr eine „Jane Austen Experience“ mit verkleideten Schauspieler:innen geben. Als Mitbringsel kann man schon heute unter anderem Jane-Austen-Gummienten kaufen.
Zu Gedenkveranstaltungen pilgern
Aber warum ist diese Autorin in Großbritannien bis heute so beliebt? Die Literaturexpertin Louise Curran meint: „Es ist ihre einfache Stellung, weder aristokratisch noch arm, und es ist ihre Darstellung einer ganzen Welt in kleinen englischen Dörfern Englands und mit Charakteren, die Menschen bis heute aus dem eigenen Leben kennen, etwa den arroganten Nachbarn oder die Frau, die nicht aufhören kann zu reden. Außerdem spricht Austens Schilderung romantischer Gefühle die Menschen bis heute an.“
Geht’s hier um Liebe oder Sozialkritik? Eine Erstausgabe von „Pride and Prejudice“
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Curran merkt an, dass das, was im Namen der Autorin heute in Großbritannien geschehe, einer „Jane Austen-Industrie“ gleichkomme. Sie sieht das auch kritisch. Es sollte nicht Austens tiefen Sarkasmus und indirekte soziale Kritik an Themen wie Klasse, Armut, Opulenz und Versklavung verdecken, warnt Curran. Viele Enthusiast:innen, die zu den Gedenkveranstaltungen pilgerten, seien allerdings mit Austens Romanen sehr vertraut. „Austen machte sich sogar über diese Art der Konsumgesellschaft lustig, etwa in ihrem unvollendeten Roman ‚Sandition‘. Vielleicht würde sie das auch heute tun, und zwar mit einer leichten Bestürzung?“
Im Garten des Austen-Hauses in Chawton geht es der 62-jährigen, in England lebenden New Yorkerin Grace Miglio Pierce um eine tiefer gehende Verbindung. „Ich komme hier ungefähr einmal im Monat her, um mich vor Austens Schreibpult inspirieren zu lassen.“ Die Welt brauche, was Jane Austen darstelle. Was das sei? „Hoffnung und Liebe!“





















