Geopolitik

CDU und AfD: “Das geht für mich gar nicht” | ABC-Z

Diese Debatte will in der CDU nicht verstummen: Wie soll die Partei mit der AfD, ihrer gefährlichsten Gegnerin, umgehen? Jens Spahn hat das Thema mit seinen jüngsten Äußerungen vom Grundrauschen zur akuten Kontroverse verwandelt – und das ausgerechnet wenige Tage nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen, in denen die CDU und der wohl künftige Kanzler Friedrich Merz eigentlich zur Ruhe kommen wollten.  

Spahn forderte, mit der AfD im Bundestag so umzugehen “wie mit jeder anderen Oppositionspartei” auch. Ihm zufolge sollen auch AfD-Politiker Vorsitzende der Ausschüsse werden können, damit sich die von “vielen Millionen Deutschen” gewählte Partei nicht in der Opferrolle einrichten könne, so Spahns Argumentation.  

Will die Partei, die bald den Kanzler stellt, also das Verhältnis zur AfD normalisieren? Spahn, der sich selbst überrascht über die scharfe Kritik der politischen Konkurrenz auf seine Äußerungen zeigte, wird eine langfristige Kampagne mit genau diesem Ziel attestiert

Interessant ist das Echo in seiner eigenen Partei. Zunächst gab es vor allem Unterstützung seitens wichtiger CDU-Politiker für seine kontroversen Aussagen. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, der die Koalition mit der SPD an zentraler Stelle verhandelte, und der als möglicher Außenminister gehandelte Fraktionsvize Johann Wadephul sprangen Spahn zur Seite. Man dürfe die Opferrolle der AfD nicht stärken und könne einen AfD-Politiker zum Ausschussvorsitzenden wählen, wenn dieser vorher nicht negativ aufgefallen sei, so der Tenor ihrer Äußerungen. Später äußerte sich ein weiterer Fraktionsvize, der Finanzpolitiker Mathias Middelberg, ähnlich. 

“Das geht für mich gar nicht”

Ansonsten blieb es auffällig still, von nennenswerter Stelle gab es zunächst keinen Widerspruch zu Spahn. Nun kommt der allerdings von der Parteispitze: “Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, einen Abgeordneten der AfD zu wählen”, sagte die stellvertretende Parteivorsitzende Silvia Breher ZEIT ONLINE. Und mit Blick auf mögliche AfD-Kandidaten: “Da kann jemand noch so sympathisch sein: Er oder sie vertritt eine Partei, die an keiner Stelle etwas Gutes für Deutschland will. Das geht für mich gar nicht.”

Zuvor hatte der Außenpolitiker Roderich Kiesewetter ausdrücklich vor den Verbindungen der Partei nach Russland und nach China gewarnt. Deshalb dürfe man dem AfD-Wunsch nicht nachgeben, einen Vertreter in das Parlamentarische Kontrollgremium zu entsenden, das sich mit den Geheimdiensten und vertraulichen Informationen beschäftigt, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Auch in besonders sensiblen Ausschüssen wie für Inneres oder Verteidigung dürfe es keinen AfD-Vorsitzenden geben, argumentiert Kiesewetter. Und macht damit klar: Die AfD, die vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet wird, ist für ihn eben keine Oppositionspartei wie die anderen.

Tatsächlich stehen die Union und die neue von ihr angeführte Koalition vor heiklen Entscheidungen beim Umgang mit der AfD, die im neuen Bundestag die zweitgrößte Fraktion ist. Es geht um symbolische Angelegenheiten wie die Frage, ob die AfD den zweitgrößten Fraktionssaal, der nach dem Sozialdemokraten und standhaften Nazigegner Otto Wels benannt ist, von der SPD übernimmt. Und es geht um Posten im Parlament. Dazu müssen Anfang Mai im Parlament Entscheidungen gefällt werden.

Union nervös, SPD misstrauisch

Ausgangspunkt für Spahns Äußerungen ist die Erkenntnis, dass seine Partei – entgegen den Ankündigungen auch von Parteichef Merz – die AfD offensichtlich nicht kleingekriegt hat. Im Gegenteil: Bei der Bundestagswahl ließ die AfD in Ostdeutschland die CDU weit hinter sich, und in aktuellen Umfragen droht die in Teilen rechtsextreme Partei die Union sogar bundesweit erstmals zu überholen. Beides macht die Union hochnervös.  

In der SPD wiederum, deren Mitglieder gerade über die Koalition mit der Union abstimmen, besteht in diesen Fragen gehöriges Misstrauen gegenüber dem Partner in spe. Das hat auch mit den Ereignissen vom Januar zu tun, als Fraktionschef Friedrich Merz bei seinen Migrationsanträgen gleich zweimal eine gemeinsame Mehrheit mit der AfD in Kauf nahm. Hinzu kommt die ständige Debatte über die Brandmauer, die in der CDU geführt wird. Wichtige Landespolitiker im Osten fordern, die Idee der Brandmauer und den geltenden Unvereinbarkeitsbeschluss der Bundespartei aufzugeben und stattdessen Bedingungen zu formulieren, unter denen eine Zusammenarbeit mit einer gemäßigteren AfD infrage käme.

Die stellvertretende Parteivorsitzende Breher aus Niedersachsen setzt nun einen anderen Ton: “Wir müssen besser werden in der sachlichen Auseinandersetzung mit der AfD, aber wir dürfen dieser Partei nicht einmal den kleinen Finger reichen.”

Und Merz selbst? Hat sich zur aktuellen Kontroverse nicht geäußert. Er wollte ein paar Tage Ruhe haben, auch über Ostern sind keine Äußerungen des Kanzlers in spe geplant, heißt es. Beschäftigen dürfte ihn zuvorderst die Zusammensetzung seines Kabinetts – und ausgerechnet Spahn ist dabei ein wichtiges Puzzleteil, das Merz an geeigneter Stelle platzieren muss: Der 44-Jährige, dessen Loyalität zu Merz nicht über alle Zweifel erhaben ist, gilt als möglicher Wirtschaftsminister oder Fraktionschef.  

Nach der Bundestagswahl bezog Merz zuletzt Stellung zum Umgang mit der AfD. Er riet seiner Fraktion, keinen ihrer Politiker zum Parlamentsvizepräsidenten zu wählen. So kam es dann auch: Bei der Wahl des Bundestagspräsidiums im März fiel der AfD-Kandidat Gerold Otten in drei Wahlgängen durch. Ein Bundestagsvizepräsident vertritt die Parlamentspräsidentin, die formell das zweithöchste Amt im Staat inne hat.  

Dass ein AfD-Politiker kein Staatsamt wie dieses bekleiden soll, darüber besteht in der CDU noch weitgehend Konsens. Doch schon eine Stufe darunter, bei der Frage nach Ausschüssen im Bundestag, ist vieles im Fluss. Es stehen heikle Entscheidungen an.

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