Handelskrieg zwischen China und den USA: Kulturkampf in Hollywood – Wirtschaft | ABC-Z

Achtung, Breaking News im Handelskrieg zwischen China und den USA: Die vierte Staffel des Popkultur-Phänomens „The White Lotus“, so ist aus bestens informierten Kreisen in Hollywood zu hören, wird nicht in China gedreht werden. Im Gefüge des großen Ganzen mag einem das wie eine Nichtigkeit vorkommen, schon klar. Jedoch ist derzeit nichts nur eine Nichtigkeit in diesem Konflikt zwischen den beiden Wirtschaftsmächten. Aus der Zollpolitik des US-Präsidenten Donald Trump, die mit einem Rundumschlag gegen beinahe die ganze Welt begonnen hat, erwächst zunehmend eine Polarisierung, eine Zuspitzung auf ein Duell zwischen Peking und Washington. Und dabei geht es keineswegs nur um Zölle, Gegenzölle und noch mehr Zölle, auch wenn man das denken könnte: Am Dienstagabend gab das Weiße Haus ein Papier raus, demzufolge China mit Zöllen in Höhe von bis zu 245 Prozent rechnen müsse – aktuell sind es bis zu 145 Prozent.
Doch unter den zahlreichen Gegenmaßnahmen, die die chinesische Regierung verkündet hat, ist auch eine, die besondere Aufmerksamkeit verdient: Peking verschärft die Regeln für den Import von US-Entertainment. Das bedeutet: Ob und wie viele Filme aus den USA in Zukunft noch in chinesischen Kinos gezeigt werden, ist völlig unklar. Aus dem Handelskonflikt wird damit spätestens jetzt auch ein Kulturkampf.
Für Hollywood, diese Fabrik amerikanischer Träume in Ultra-HD, könnte das zum Ultra-Albtraum werden. Klar ist: Der Superhelden-Film „Thunderbolts“ wird noch zu sehen sein, von 30. April an. Was jedoch mit den Blockbustern „Mission: Impossible – The Final Reckoning“, „Superman“ oder „The Fantastic Four: First Steps“ passiert, deren Produzenten freilich mit jeweils dreistelligem Millionenerlös an Chinas Kinokassen gerechnet haben: derzeit nicht abzusehen.
Trump glaubt, mit seiner Zollpolitik Druck aufzubauen. Tatsächlich lieferte er China eine Steilvorlage für einen Angriff auf ein Symbol amerikanischer Kultur- und Wirtschaftshegemonie; eines, das ohnehin schwer angeschlagen ist, ja um die Zukunft fürchten muss. Eines, das die chinesische Regierung als Propaganda-Manufaktur interpretiert – aber hinnehmen musste, weil das Volk nun mal gerne Superhelden- und Actionfilme guckt – und die besten werden immer noch in den USA produziert. Nun muss die chinesische Führung keinen Aufschrei der chinesischen Mittelschicht fürchten, die Hollywood lieb gewonnen hat, sondern kann die Maßnahme mit dem Handelskrieg begründen. „Es ist ein starkes Zeichen der Vergeltung, mit nahezu keinen Nachteilen für China“, sagt Chris Fenton, Autor des Buches „Feeding the Dragon: Inside the Trillion Dollar Dilemma Facing Hollywood, the NBA, & American Business“, über seine Erfahrungen als Entertainment-Vermittler zwischen den beiden Ländern: „Eine derart spektakuläre Bestrafung Hollywoods ist ein Zeichen der Stärke, das in China für alle Seiten von Vorteil ist.“
Maximal 34 ausländische Filme im Jahr sind erlaubt
Mit dem Bann demonstriert Peking, wie vielseitig seine Maßnahmen im Handelsstreit sein können. Und dass Kulturpolitik längst Teil des geopolitischen Arsenals ist. Was aussieht wie ein Bauernopfer im Wirtschaftskonflikt der beiden größten Volkswirtschaften der Welt, ist ein gezielter machtpolitischer Akt: Peking will nicht länger nur Markt für westliche Blockbuster sein, sondern selbst produzieren und exportieren: eigene Inhalte, eigene Helden, eigene Werte als moralische Anker der Handlung. Kino wird zur Bühne für Chinas kulturelle Emanzipation; der Handelskrieg mit den USA schafft für Chinas Filmindustrie das Narrativ der Aufbruchsstimmung, wie es sich die Propaganda-Abteilungen der Kommunistischen Partei kaum schöner hätten ausdenken können.
Dass westliche Filme überhaupt in China gezeigt wurden, war nie ein Liebesbeweis der Kulturen, sondern cineastischer Waffenstillstand auf Zeit. Jahrzehntelang hielt sich die Volksrepublik kulturell vom Rest der Welt abgeschottet. Doch mit dem wirtschaftlichen Aufstieg wuchs der Appetit auf Hollywood – auf Glanz, Spektakel, westliche Erzählformen. 2012 der diplomatische Durchbruch: Die Obama-Regierung erwirkte den Zugang für 34 ausländische Filme pro Jahr. Als das Abkommen 2017 auslief, während der Handelsspannungen zu Beginn Trumps erster Amtszeit, folgte keine Verlängerung; der Zugang Hollywoods ist seitdem nicht mehr vertraglich geregelt, er hängt vom Gutdünken der Regierung in Peking ab.
Gerade für Superhelden-Blockbuster-Projekte, die Eckpfeiler dieser Industrie, war China immens wichtig: 113,2 Millionen Dollar Umsatz in China für „Terminator: Genisys“, in den USA waren es gerade mal 89,9 Millionen. Das Transformers-Spin-off „Bumblebee“ brachte 127 Millionen in den USA, 171 Millionen in China. Der achte Teil der „Fast and Furious“-Saga spielte an chinesischen Kinokassen gar 392 Millionen Dollar ein. Allerdings stimmt auch: Allein 2019 setzten neun US-Filme jeweils mehr als 100 Millionen Dollar in China um – in den fünf Jahren seitdem schafften das insgesamt nur acht. Angesichts des drohenden Aus dürfte es mit Goldgräberstimmung vorbei sein.
Hollywood verlegt die Handlung an Orte, die sich lohnen
Wenn eines bekannt ist über Hollywood: Ja, sie produzieren Kunst, am Ende aber ist es knallharter Kapitalismus. Es ist der Branche ziemlich egal, woher das Geld kommt, ob beim Erlös oder für die Produktionskosten – und das führt zu „White Lotus“; die bisherigen Drehorte waren mitnichten einzig aus kreativen Gründen gewählt. Bei der ersten Staffel bat der US-Pay-TV-Sender HBO um eine pandemiefreundliche Idee, umsetzbar mit kleinem Team an nur einem Ort: Hawaii. Die zweite Staffel war zunächst in Südfrankreich geplant – bis HBO fragte, ob man denn nicht nach Taormina umziehen könne; Italien lockte mit Steuererleichterungen in Höhe von 30 Prozent der Produktionskosten, Sizilien sagte noch mal 20 Prozent zu. Dritte Staffel: Thailand und Steuervergünstigungen in Höhe von 30 Prozent, etwa 4,4 Millionen Dollar. Hollywood produziert also nicht unbedingt dort, wo sie es künstlerisch unbedingt wollen – sie sind kreativ genug, die Handlung oft an einen Ort zu verlagern, von dem sie viel Geld oder Zuschüsse kriegen.
Sie nehmen dieses Geld bereitwillig in Hollywood, auch aus China. Und wenn das bedeutet, dass Angelina Jolie als Lara Croft in „Tomb Raider: The Cradle of Life“ mit ihrem Motorrad von der Chinesischen Mauer hüpft oder Tom Cruise in „Mission: Impossible III“ durch Shanghai brettert oder in der Wasserstadt Xitang flaniert, dann ist das eben so. Teilweise wird es sogar politisch: In der Comic-Vorlage der Superhelden-Saga „Dr. Strange“ stammt der weise Mentor aus Tibet – hochsensibles Thema in China. Im Film wurde „The Ancient One“ radikal umgestaltet: Aus dem alten tibetischen Mönch wurde eine keltische Frau, gespielt von Tilda Swinton. Hollywoods Mantra, seit jeher, und auch das ist freilich uramerikanisch: Sie singen das Lied dessen, der ihnen Geld dafür gibt.
China will selbst kulturellen Einfluss gewinnen
Was sie aber bemerkt haben in Hollywood, vor allem während der großen Krisen (Pandemie, Streiks der Schauspieler und Autoren, Brände in Los Angeles zu Jahresbeginn): In anderen Ländern wird auch erfolgreich gedreht. In Südkorea zum Beispiel („Squid Game“), Spanien („Haus des Geldes“) oder Deutschland („Babylon Berlin“). Solange sie selbst daran verdienen – die erwähnten Serien sind allesamt auf dem US-Streamingportal Netflix zu sehen –, haben sie damit kein Problem. Was aber, wenn zum Beispiel der chinesische Zeichentrickfilm „Ne Zha 2“ daheim mehr als zwei Milliarden Dollar umsetzt?
China will nicht länger nur zuschauen – es will erzählen, weltweit; und damit wie die USA in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Sichtbarkeit erreichen, kulturellen Einfluss. Schon 2013 erklärte Xi Jinping: „Wir müssen die Geschichte Chinas gut erzählen.“ Ein Satz, der seither zur Leitlinie geworden ist. Denn es geht längst nicht mehr nur um Unterhaltung, sondern um Deutungshoheit. Schaut her, sagt das chinesische Kino, wir können nicht nur Billiglohn-Produktionen, wir können auch Erzählung. Wir sind auch, ja: cool.
Im Zentrum dieser Vision steht die ostchinesische Stadt Hengdian. Dort steht das größte Filmstudio der Welt, nicht nur flächenmäßig, sondern auch in Bezug auf die Produktionsdichte: Pro Jahr werden hier mehr als 1000 Filme und Serien produziert; meist für den heimischen Markt, weil es außerhalb Chinas bislang kaum wen zu interessieren scheint. In den USA spielte „Ne Zha 2“ gerade mal 15 Millionen ein; so wird es nichts mit dem kulturellen Zurschaustellen der eigenen Werte. Was sie brauchen, sind Drehbücher, die nicht so plump moralisierend sind, dass sie wie Propaganda daherkommen. Protagonisten, die keine unfehlbaren Halbgötter sind. Kurz: Filme, die auch außerhalb von China verstanden und popkulturelle Phänomene werden können.
Der Trend innerhalb Chinas ist eindeutig: Hollywood wird verzichtbar. Spielten US-Filme zwischen 2017 und 2019 jährlich noch rund drei Milliarden Dollar ein, waren es 2024 gerade einmal 1,2 Milliarden. Geld, das in Hollywood fehlt. Wenn wegen des Handelskriegs auch der Rest wegfällt, wäre das katastrophal für die US-Branche und gerade den Standort Los Angeles. 5295 Drehtage hatte es im ersten Quartal 2025 laut dem Non-Profit FilmLA gegeben; 22,4 Prozent weniger als im Vorjahresquartal. Sollten die restlichen neun Monate ähnlich laufen, wären das etwa 21 000 Drehtage. Zum Vergleich: 2019 waren es noch 36 792.
Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom will das Budget für Vergünstigungen bei Produktionen im Bundesstaat von derzeit 330 auf 750 Millionen Dollar pro Jahr anheben, auch das ein Zeichen für den Zustand der Branche. Statt Gelder von außerhalb zu bekommen, brauchen sie die Hilfe der heimischen Politik.„Wir haben keinen geschichtlichen Vergleich dafür, was da passiert“, sagt Film-LA-Präsident Paul Audley: „Wir können nicht abschätzen, wie die Zukunft der Industrie aussehen wird.“
Es könnte deshalb kein besseres Symbol geben für den Zustand der USA in diesem Handelskrieg als den politisch provozierten Rauswurf von US-Produktionen aus China: Ein ohnehin kriselndes Land macht es sich selbst noch viel, viel schwerer. Nur einen scheint das nicht zu kümmern. Auf die Frage, was er von Filmrestriktionen halte, sagte Trump: „Ich habe schon Schlimmeres gehört.“ Wahrscheinlich den Satz von US-Notenbankchef Jerome Powell am Mittwoch, und der gilt für Fed, Filmbranche und USA im Gefüge des großen Ganzen: „Wir könnten uns in einer kniffligen Lage wiederfinden.“