Renato Gaúcho: der Trainer von Fluminense und seine Frauen – Sport | ABC-Z

Ob man Renato Gaúcho, den Fußballtrainer von Fluminense aus Rio de Janeiro, unter Paraphrasierung von Giacomo Casanova gleich einen Philosophen nennen muss, darf wohl dahingestellt bleiben. Allerdings: Der Lust hat sich der Coach nur selten versagt – Casanova hielt das einst für ein Wesensmerkmal des Denkers. Was man freilich sagen kann, ist dies: Renato Gaúchos „Flu“ ist der letzte verbliebene brasilianische Vertreter bei der Klub-WM, er hat das Halbfinale erreicht und trifft dort am Dienstag auf den FC Chelsea aus London. Und das bedeutet, unter anderem, dass auch die ganzen alten Geschichten wieder hochkommen. Die alten Frauengeschichten des Renato Gaúcho, um genau zu sein.
Es gibt derer so einige, vor allem aus seiner Zeit als Stürmer von internationalem Rang. Und sie machten ihn berühmter als seine Tore. Keine hallten stärker nach als die beiden Treffer aus dem Weltpokalfinale 1983 gegen den Hamburger SV; seine Mannschaft, Grêmio aus Porto Alegre, siegte damals in Tokio mit 2:1. Nur: Fußball war nicht die einzige Passion von Renato Gaúcho, der heute 62 Jahre alt ist und seit wenigen Monaten die Mannschaft von Fluminense leitet – zum insgesamt sechsten Mal in seiner Karriere.
:„Dieses PSG hat eine kollektive Idee“
Der frühere Bayern-Profi Bixente Lizarazu spricht über die Stärken von Paris Saint-Germain und erklärt, warum ihm der Weltpokal lieber war als die Klub-WM.
Die andere Passion, das waren die Frauen. Unvergessen, wie er am Valentinstag von 1985, halb im Ernst und halb im Scherz, einen TV-Reporter ins Trainingscamp der brasilianischen Nationalelf zu sich rief und Nelken in der Hand hielt. Er sei voller Kummer, dass er „all diesen Randfiguren“ aus der Seleção so nahe sein müsse, sprich: den Liebsten so fern. Dann begann er sie aufzuzählen. Er warf eine Blume „für Zilda“ in Richtung Kamera, eine weitere „für Patrícia“, noch eine „für María“ und schließlich eine „für Mónica“, immer theatralisch schluchzend. Gut, er erklärte später, dass die Namen nichts mit echten Liebschaften zu tun hatten. Er habe die Mütter seiner Kameraden gemeint. In jedem Fall fehlte Maristela, seine Jugendliebe. Er war damals mit ihr verheiratet und ist es heute noch, auch wenn sie heute an unterschiedlichen Stränden leben. Ihre Ehe muss, wenn man so will, noch offener als früher sein. Und da muss sie schon offener als der Krater eines Vulkans gewesen sein.
Zumindest muss man das vermuten, wenn man Aussagen von Renato Gaúcho zugrunde legt. „Ich werde Ihnen jetzt etwas sagen, und wenn Sie wollen, glauben Sie mir (oder nicht)“, sagte er im Jahr 2008 der Zeitung Meia Hora. „Ich habe noch einmal nachgerechnet und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich die Dreitausender-Marke längst überschritten habe. Ich habe gezählt und nachgezählt, und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich mit nicht weniger als 5000 Frauen geschlafen habe.“ Er habe dabei stets die Gebote der Fairness geachtet – und nie mehr versprochen, als er gegeben habe. Betonte er jedenfalls immer wieder einmal. Hinterfragt wurde das zugrunde liegende Weltbild nicht.
Bei Grêmio fordert er so beharrlich ein Denkmal ein, bis sie ihm tatsächlich eins errichten
Womöglich hat Renato Portaluppi, wie er mit vollem Namen heißt, all das abgelenkt. „Ich war, ohne Zweifel, ein besserer Spieler als Cristiano Ronaldo, viel versierter“, sagte er über sich selbst. Überhaupt, sein Ego: Bei Grêmio forderte er so beharrlich ein Denkmal ein, dass sie tatsächlich ein überlebensgroßes Monument errichteten, 4,10 Meter hoch, vor der Arena in Porto Alegre. Andererseits: Er kam nur auf 44 Länderspiele. Das hatte viel damit zu tun, dass er den Verlockungen der Nacht nicht widerstehen konnte.
1986 zum Beispiel, als Nationaltrainer Telê Santana ihn für den WM-Kader auserkoren hatte. Wenige Wochen vor dem Beginn des Turniers in Mexiko artete eine Grillparty derart aus, dass es Renato Gaúcho und sein bester Freund Leandro – ein begnadeter Außenbahnspieler – nicht mehr über die Mauer schafften, die das Mannschaftshotel umgab. Sie liefen durch die Tür und Coach Santana in die Arme.
Die Folge: Renato Gaúcho flog aus dem WM-Kader, Leandro solidarisierte sich – und fuhr nicht mit nach Mexiko, obschon ihn die Größen des damaligen Teams, Legenden wie Sócrates und Zico, unter Tränen beknieten. Brasilien scheiterte im Viertelfinale. Vier Jahre später war Renato Gaúcho in Italien dabei. Doch er kam nur als Reservist zum Einsatz, als Brasilien im Achtelfinale rausflog – gegen das Argentinien von Diego Maradona.

Das war, nachdem er 1988 bei der AS Roma gelandet war, 2000 Fans sahen, wie er vom Flughafen Fiumincino im Hubschrauber zum Trainingsplatz geflogen wurde. Der damalige Trainer, die Schweden-Legende Niels Liedholm, feierte Renato Gaúcho als den „weißen Gullit“. Als er nach einem Jahr wieder abflog und Mitspielern wie Rudi Völler auf dem Platz den letzten Nerv geraubt hatte, standen 23 Ligaspiele zu Buche – und null Tore. Er versuchte 614 Dribblings, es gelangen: sieben. In der Heimat wurde er wieder erfolgreich. 1995 holte er mit „Flu“ die Staatsmeisterschaft von Rio, unvergessen sein Tor im Finale, das er mit dem Wanst erzielte. Fortan nannten sie ihn „Rei do Rio“, König von Rio.
Bei „Flu“ begann Anfang des Jahrhunderts seine Trainerkarriere, die ihm jetzt auch jenseits von Lateinamerika Aufmerksamkeit besorgt. Und sein Ego stillt. „Ich möchte einen Gringo sehen, der das macht, was ich bei Fluminense mache!“, rief er jetzt in den USA. Seine größten Erfolge feierte er mit Grêmio: 2017 holte er die Copa Libertadores, 2018 die Copa Sudamericana. Immunität für sexistische Sprüche gab ihm das alles nicht. Der Aufschrei war groß, als er meinte, dass „sogar eine schwangere Frau gegen Grêmio ein Tor schießen“ würde. Oder als er seine Aversion gegen Ballbesitzfußball kundtat.
Er tat dies, indem er die angeblich wahre Geschichte zum Besten gab, dass „eine hübsche Frau“ von einem Kerl bei Kerzenschein und in einer Diskothek bequatscht wurde – und ein Freund sie dann aber nach nur 15 Minuten ins Hotel mitnahm. „Ballbesitz bedeutet, sieben oder acht Stunden lang Spucke aufzuwenden“, sagte er, „mein Freund hat das Spiel gewonnen.“ Uneingeschränkte Verehrung war ihm nur seitens des rechtsextremen Putschisten Jair Bolsonaro gewiss. Als Bolsonaro Staatspräsident war, versuchte er, Renato Gaúcho anstelle von Tite als Nationaltrainer zu installieren. Es schlug fehl.
Bei Fluminense sind sie von Renato Gaúcho freilich gerade sehr begeistert, trotz eines manchmal nur schwer verträglichen, „pragmatischen“ Fußballs. Er brüstet sich damit, ein „hässliches Entlein in einen Schwan“ verwandelt zu haben. Mithilfe einer erfahrenen Abwehr, die ihm assistiert. Bei der Klub-WM nutzte Abwehrchef Thiago Silva, 40, eine Trinkpause in der Partie gegen Inter Mailand, um eine Änderung der Taktik vorzuschlagen; Renato Gaúcho ging darauf ein. Und siegte.