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Warum Gemeinden nicht einfach selbständig Verkehrsschilder aufstellen dürfen – Landkreis München | ABC-Z

Über kaum etwas regen sich die Leute so sehr auf wie über zu schnelles Fahren in ihrem Wohnort. Menschen machen ihrem Ärger im Rathaus Luft oder melden sich in Bürgerversammlungen zu Wort. Raser, Blitzer, Wohnstraßen ist ein Dreiklang, der geradezu omnipräsent ist und auch nie verschwinden wird. Denn am liebsten hätte jeder vor seiner Tür eine verkehrsberuhigte Zone. Soll doch der Bürgermeister endlich mal ein paar Schilder aufstellen. Doch so einfach ist das nicht.

Das weiß man auch in Oberhaching, wo man eher als anderswo oft nicht ganz abgeneigt ist, auch mal einen unkonventionellen Weg einzuschlagen. Obwohl dort auf sämtlichen Wohnstraßen schon lange Tempo 30 gilt, gibt es Forderungen nach weiterer Entschleunigung, und diesmal betrifft das nicht die durchfahrenden Rennradler, die man hier gerne als Raser verflucht. Vielmehr hatte es in der jüngsten Bürgerversammlung zwei Anträge gegeben, die vor allem Autofahrer beim Gasgeben zügeln sollen: eine sogenannte Begegnungszone im Bereich Bahnhofs-/Stefanienstraße und eine verkehrsberuhigte Zone am Kirchplatz. Klingt beides machbar. Ist es aber keineswegs.

Denn die Voraussetzungen dafür sind wie bei vielen Veränderungen im Verkehrsbereich an zahlreiche Auflagen geknüpft und müssen einer möglichen Klage dagegen standhalten. Man denke nur an das Tempolimit auf der Giesinger Autobahn A995 – zwischen Giesing und Taufkirchen-West –, das Kerstin Schreyer als bayerische Verkehrsministerin im Jahr 2021 als „ganz großen Meilenstein“ und „Verbesserung für lärmgeplagte Anwohner“ durchsetzte, und das dann nur zwei Jahre bestand. Dann wurden 120er-Schilder für die Geschwindigkeitsbegrenzung stadtauswärts wieder abgeschraubt. „Keine rechtliche Grundlage“, hieß es damals.

Nun also wünscht sich ein Oberhachinger ein blaues, rechteckiges Schild mit den weißen Piktogrammen Auto, Haus, Straße, Fußgänger und Kind mit Ball am Kirchplatz. Im Volksmund wird das so gekennzeichnete Areal gerne als „Spielstraße“ bezeichnet. Eine echte Spielstraße ist ein verkehrsberuhigter Bereich aber nicht, dann dürfte da nämlich überhaupt kein Auto mehr fahren. Vielmehr gilt hier ein Tempolimit von sieben bis zehn Kilometern pro Stunde, Schrittgeschwindigkeit eben.

Wenn Bürgermeister Stefan Schelle einmal im Jahr Fundräder auf dem Kirchplatz versteigert, dann ist der Verkehr hier automatisch verkehrsberuhigt. Ansonsten gilt hier Tempo 30 und daran soll sich auch nichts ändern. (Foto: Sebastian Gabriel)

Voraussetzung für einen verkehrsberuhigten Bereich ist bereits wenig vorhandener Verkehr, der dann weiter heruntergebremst wird. Also die blauen „Spielstraßen“-Schilder auf der Durchgangsstraße aufzustellen, ist vielleicht eine revolutionäre Idee, aber aktuell ein No-Go. Am Kirchplatz ist das schon schwieriger zu beantworten. Er liegt etwas abseits der Hauptstraßen, weshalb ohnehin Tempo 30 gilt. Und doch gibt es hier Verkehr zur Grundschule und zum Kindergarten, zum Wochenmarkt, zu Arztpraxen, Apotheke, zwei Gaststätten, Bäckerei, Fahrradladen, Reisebüro und Bankfiliale, einem landwirtschaftlichen Betrieb und einer Postfiliale. Die Liste derer, die hier entlangfahren – auch Busse – ist also lang, weshalb der Vorschlag Verkehrsberuhigung gar nicht so abwegig erscheint. Doch was würde das bedeuten?

Die gesetzlichen Vorgaben schreiben der Gemeinde vor: Wenn ihr hier solche Schilder aufstellt, dann müsstet ihr die vorhandene Ampel an der Grundschule abbauen und alle zusätzlichen Beschilderungen wie „Schulweghelfer“ und „Achtung Kinder“ sowie die Parkscheibenregelung abschrauben. Alles zusammen geht nicht. Größtes Problem dabei: Auf die Ampel verzichten will eigentlich keiner. Der Aufschrei der Eltern wäre gewiss.

Am Unterhachinger Friedensplatz wurde 1978 die erste verkehrsberuhigte Zone Deutschlands in dörflicher Umgebung eingerichtet.
Am Unterhachinger Friedensplatz wurde 1978 die erste verkehrsberuhigte Zone Deutschlands in dörflicher Umgebung eingerichtet. (Foto: Claus Schunk)

Erwin Knapek, SPD-Gemeinderat in Oberhaching und früherer Bürgermeister in Unterhaching, sieht das nicht so eng. „Wir könnten das ja einfach mal ausprobieren, die Ampel trotzdem lassen und sehen, ob sich der Gesetzgeber daran stört“, sagte er in der jüngsten Sitzung des Umwelt- und Verkehrsausschusses, in der der Antrag behandelt wurde. Knapek erinnerte an die Einrichtung der allerersten verkehrsberuhigten Zone Deutschlands in einem dörflichen Umfeld 1978 am Unterhachinger Friedensplatz. Man hat das damals auch einfach mal gemacht. „Erwin, bei aller Liebe zur Anarchie“, sagte Bürgermeister Stefan Schelle (CSU), da brauche man schon einen toleranten Juristen bei der Regierung von Oberbayern. Man lässt daher am Kirchplatz alles so, wie es ist.

Auch von dem Vorschlag „Begegnungszone“  sind die wenigsten überzeugt. Pkw, Fahrradfahrer, Fußgänger und ÖPNV sollen sich Verkehrsräume gleichberechtigt teilen. Aber eine solche Regelung gibt es in Deutschland gar nicht, anders als in der Schweiz, Österreich, Belgien und Frankreich. Dort gilt dann Tempo 20. Allein die Geschwindigkeitsbegrenzung könnte man in Oberhaching nahe dem Bahnhof schon anordnen, man müsste allerdings laut Vorschriften an allen Stellen, wo von Tempo 30 auf Tempo 20 und umgekehrt gewechselt wird, Schilder aufstellen. Eine wahre Schilderorgie wäre das. Und die will auch keiner.

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