Winfried Kretschmann fordert ergebnisoffene Wehrpflicht-Debatte | ABC-Z

Nach drei Jahren ist die Zeitenwende vollends auch in den Bundesländern angekommen. So forderte der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am Mittwoch eine ergebnisoffene Debatte über eine neue Ausgestaltung der Wehrpflicht und rief zudem die Bundesregierung dazu auf, den Anteil für Forschungsausgaben am Verteidigungshaushalt auf bis 20 Prozent zu erhöhen. Deutschland müsse sich diesbezüglich Israel oder die USA zum Vorbild nehmen.
Zur Diskussion über die Zukunft der Wehrpflicht schlug Kretschmann vor, auf Bundesebene ein Bürgerforum mit Zufallsbürgern einzurichten. „Reicht eine freiwillige Wehrpflicht aus? Brauchen wir die alte Wehrpflicht zurück? Oder ist ein republikanisches Jahr sinnvoll, in dem jungen Menschen gesellschaftliche Aufgaben aller Art übernehmen?“, sagte der Ministerpräsident in einer Regierungserklärung zum Thema „Verteidigung und Resilienz“. Kretschmann hinterfragte damit auch die Auffassung der grünen Bundespartei kritisch, die das Modell von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) befürwortet, junge Männer für den Wehrdienst nur zu erfassen.
„Sich verteidigen können, um sich nicht verteidigen zu müssen, das ist für mich der Kern dessen, worum es geht“, sagte der Ministerpräsident. Man müsse „die nötige Abschreckung jetzt sehr zügig aufbauen“.
Die Forschung stärken
Die grün-schwarze Landesregierung hat schon vor Monaten eine Lenkungsgruppe „Zivile Verteidigung“ sowie einen Lenkungskreis „Verteidigung und Resilienz“ eingerichtet, die fortlaufend über Maßnahmen zur Sicherung der Verteidigungsbereitschaft auf Landesebene beraten sollen. Dabei geht es auch darum, das Bundesland auf die im Operationsplan Deutschland – einem umfassenden, gesamtstaatlichen Plan der Bundeswehr für den Verteidigungsfall – vorgesehenen Erfordernisse vorzubereiten.
In der Regierungserklärung am Mittwoch machte Kretschmann auch deutlich, dass er die Rüstungsforschung und -industrie im Land stärken will. Es müsse darum gehen, auch in diesem Bereich die Technologieführerschaft in Deutschland zu übernehmen. Die Regierung habe das Förderprogramm „Invest BW“ für diesen Wirtschaftsbereich schon geöffnet; man werde auch Unternehmen unterstützen, die derzeit zivile Produkte herstellten.
Kretschmann will außerdem bestehende Forschungsschwerpunkte des Landes stärken: An der Universität Stuttgart werde gerade ein Hyperschallkanal zur Entwicklung eines Hyperschallflugzeugs gebaut, sagte er. An der Universität in Ulm arbeite man an der Quantenkommunikation zur Abwehr hybrider Angriffe; in Karlsruhe, Tübingen, Stuttgart und Heilbronn gebe es Forschungsschwerpunkte zur Verbesserung der Cybersicherheit.
Demnächst werde die Regierung einen „Innovationscampus Forschung und Sicherheit“ einrichten, kündigte Kretschmann an. Der grüne Regierungschef lobte auch die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit Schulen ausdrücklich. Es sei eine „wichtige Aufgabe“, wenn Jungoffiziere 500 Schulbesuche absolvierten. Von Mitgliedern der Friedensbewegung und Teilen der grünen Partei waren solche Schulbesuche früher kritisiert worden.
Weiterhin müssten die notwendigen Strukturen geschaffen werden, so Kretschmann, damit die Bundeswehr im Verteidigungsfall bestmöglich unterstützt werden könne: Straßen, Brücken, Treibstoffversorgung und Verpflegung müssten gemäß dem Operationsplan Deutschland gesichert werden. In den Krankenhäusern müssten Notfall-, OP- und Intensivkapazitäten für einen „außergewöhnlichen Versorgungsnotstand“ vorgehalten werden.
Die vier Universitätskliniken (Tübingen, Heidelberg, Freiburg, Ulm) halten die derzeitigen Vorbereitungen der Regierung für unzureichend. In einem Positionspapier, das der F.A.Z. vorliegt, verlangen sie, die Krankenhäuser baulich, in der IT-Technik sowie bei der Versorgung mit Internet, Wasser und Strom so auszustatten, dass sie tatsächlich resilient und im Verteidigungsfall überhaupt betriebsfähig sind. Außerdem müssten regionale Krisenstäbe und ein „Landeslagezentrum Gesundheit“ geschaffen werden.