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Boxen: „Bedingungslos das Letzte zu schenken, dafür bin ich geboren“ | ABC-Z

Einst versprach Abass Baraou Kanzlerin Angela Merkel, Boxweltmeister zu werden. Nun besitzt er als erster Deutscher seit sieben Jahren den Gürtel eines anerkannten Verbandes. Doch er möchte nicht nur als Sportler ein Vorbild sein.

Las Vegas als Weltmeister zu verlassen, ist noch immer der ultimative Traum eines jeden Preisboxers. Die Glückspielmetropole in der amerikanischen Wüste gilt schließlich seit Jahrzehnten als das Mekka des professionellen Faustkampfes. Muhammad Ali, George Foreman oder Mike Tyson festigten mit ihren denkwürdigen Titelgewinnen diesen Ruf ebenso wie Floyd Mayweather, Oscar de la Hoya oder „Sugar“ Ray Leonard in den leichteren Kategorien. Viele weitere Große ließen sich nennen, ein Deutscher jedoch befand sich bislang nicht darunter. Das ist nun Geschichte. Denn Abass Baraou reiht sich in die Galerie der Champions ein. Dass Kuriose an der Premiere allerdings ist, dass der 30-Jährige dafür in Las Vegas seine schnellen Fäuste nicht fliegen lassen musste.

Was sich etwas dubios anhört, lässt sich durch die Regularien der Weltverbände leicht erklären. Baraou hatte am 23. August in der Arena des Caribe Royale Resorts in Orlando im US-Bundesstaat Florida den favorisierten Kubaner Yoenis Tellez, 25, im Superweltergewicht als sogenannten Interims-Weltmeister der World Boxing Association (WBA) entthront. Um nun den uneingeschränkten Status eines Champions zu erhalten, musste der amtierende Titelträger dieser Gewichtsklasse, der Amerikaner Terence Crawford, 21 Tage später in Las Vegas zum geplanten „Duell der Giganten“ im Supermittelgewicht gegen den Mexikaner Canelo Alvarez zumindest in den Ring steigen. Wenn der Gong zur ersten Runde ertönt, hatte die WBA Baraou schriftlich zugesichert, wäre er der alleinige Titelträger im Limit bis 69,853 Kilogramm.

Baraou ließ es sich nicht nehmen, bei dem Vereinigungskampf um die WM-Gürtel der vier anerkannten Weltverbände vor Ort zu sein. Den Moment seiner Inthronisierung als Weltmeister, auf den der Sohn togolesischer Eltern, der in Aalen im Ostalbkreis geboren wurde, seit Beginn seiner Boxkarriere vor 17 Jahren alles ausgerichtet hatte, wollte er unbedingt hautnah erleben. Inmitten der Rekordkulisse von mehr als 70.000 Zuschauern saß er am Abend des 13. September im Allegiant Stadium in der ersten Reihe, als sein gesamter Körper beim Ertönen des Glockenschlags plötzlich von einem Freudengefühl durchzogen wurde, wie er es so noch nie gespürt hatte.

Viele Schwierigkeiten nach Wechsel ins Profilager

Selbst sechs Wochen nach diesem „wunderschönen Schockempfinden“ fühlt er sich noch immer davon beseelt. Mit einem strahlenden Lächeln erzählt Baraou WELT AM SONNTAG beim Heimatbesuch in Oberhausen, wohin seine Mutter mit ihm, damals neun Jahre alt, zog, als sie sich von seinem in London lebenden Vater trennte: „Ich kann dieses Empfinden auch heute noch nicht beschreiben, so außer mir war ich vor Glückseligkeit. Sicherlich trug dazu auch Las Vegas bei. Ausgerechnet dort zum wahren Weltmeister ernannt zu werden, ist nun einmal etwas ganz Besonderes, auch wenn ich dort dafür keinen Finger zu krümmen brauchte.“

Als „verrückt und irre“ bezeichnet Baraou es, wie er sich in dem zwielichtigen Boxbusiness bis auf den WM-Thron durchgeboxt hat. Womit er endlich auch sein Versprechen gegenüber Angela Merkel einlöste. Bei deren Besuch im Bundesleistungszentrum in Kienbaum im Juli 2017 beteuerte er der Bundeskanzlerin bei der Übergabe eines Boxhandschuhs: „Ich werde Weltmeister.“

Sein Ansinnen wollte Baraou als damaliger Sportsoldat und Amateurboxer im Range eines Europameisters noch im selben Jahr verwirklichen. Als WM-Dritter war ihm das aber nicht vergönnt. Seine Vision verlor er deshalb aber nicht aus den Augen, ungeachtet der vielen Schwierigkeiten, denen er sich nach seinem Wechsel ins Profilager ausgesetzt sah.

Mit bewundernswerter Hartnäckigkeit, leidenschaftlicher Opferbereitschaft und einem unerschütterlichen Glauben an sich selbst, traf Baraou immer dann mutige Entscheidungen, wenn er Resignation verspürte und dadurch seine Laufbahn ins Stocken geriet. So verabschiedete er sich aus dem Sauerland Boxstall in Berlin, wo er im April 2018 unter Trainerlegende Ulli Wegner als Profi debütierte, und zog nach der umstrittenen Punktniederlage – seiner einzigen in 18 Kämpfen – im August 2020 gegen seinen Landsmann Jack Culcay nach London, um sich in einem neuen Umfeld unter dem renommierten Coach Adam Booth weiterzuentwickeln.

Als auch auf der britischen Insel seine Leistungsentwicklung stagnierte, erkundigte er sich, wohin er in die USA gehen könnte, um sein Bestreben noch Wirklichkeit werden zu lassen. Sein irischer Manager Paul Gibson brachte ihn schließlich im Frühjahr 2023 mit dem kubanischen Trainer Jorge Rubio zusammen, der ein eigenes Boxgym in Miami betreibt. Nach der ersten Stippvisite im Sonnenstaat stand für Baraou fest: „Ich packe meine Sachen und beginne in Übersee wieder neu.“

Verhandlungen für einen „Big Fight“ in Las Vegas

Dass er mit seiner Entscheidung goldrichtig lag, beweist nicht nur sein WM-Triumph. Unter Rubio, sagt Baraou, habe er vor allem den Spaß am Boxen wiedergewonnen. Und er schwärmt weiter: „Jorge hat mich zu einem vielseitigeren Athleten gemacht, er fordert mich immer auf höchstem Niveau, denn das brauche und möchte ich. Bedingungslos das Letzte zu geben, dafür bin ich geboren, dafür lebe ich, dafür blute ich.“ Und das auch deshalb, weil er sein eigenes Vorbild sein möchte, da er von der Heldenverehrung anderer nichts hält. „Ich würde mich freuen, wenn ein Vater mal zu seinem Sohn sagen würde: ,So wie Abass musst du sein, nicht nur boxerisch, auch menschlich.‘“

Seine Vorbildrolle ist ihm uneingeschränkt zuzubilligen – und das nicht erst, seit er sich als Weltklasseboxer erwiesen hat. Wenn Baraou von den rassistischen Anfeindungen berichtet, die er in jungen Jahren bei der Integration in seinem Geburtsland zu ertragen hatte, wobei er sich davon niemals entmutigen ließ, sondern unermüdlich danach trachtete, für Deutschland eines Tages als Sportler erfolgreich zu sein, zeugt das von einem beispielhaften Charakter. Wobei sein WM-Erfolg noch einer besonderen Würdigung bedarf.

Nicht nur, weil es der erste uneingeschränkte Titelgewinn eines deutschen Boxers seit mehr als sieben Jahren überhaupt ist und der einzige im Superweltergewicht seit 1976 – seinerzeit hatte sich Eckhard Dagge als Titelträger verewigt. Vielmehr ist Baraou auch erst der zweite Kämpfer hierzulande, der sich in Übersee zum Champion krönte. Als Erstem gelang das Max Schmeling. Der Schwergewichtler besiegte am 12. Juni 1930 in New York Lokalmatador Jack Sharkey durch Disqualifikation in der vierten Runde.

Wie aber geht es nun weiter bei Baraou? Dass er in diesem Jahr noch einmal in Aktion zu erleben sein wird, ist eher unwahrscheinlich. Die Verhandlungen für einen „Big Fight“ in Las Vegas, was sein sehnlichster Wunsch ist, laufen unterdessen auf Hochtouren. „Und es sieht so aus, als würde es dazu in den nächsten Tagen eine Mitteilung geben“, sagt Baraou ohne Details zu nennen. Auf jeden Fall sei es für ihn eine „unheimlich angenehme Situation“, nicht mehr der Jäger, sondern der Gejagte zu sein, der jetzt selbstbestimmt entscheidet, gegen wen er als Nächsten boxen kann und das dann auch für eine lukrative Börse.

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