Auch Trillerpfeifen können Yuval Raphael aus Israel nicht aufhalten | ABC-Z

Israel musste nicht lange warten. Als zweiter Teilnehmer im Finale des Eurovision Song Contest (ESC) stand Sängerin Yuval Raphael fest. Die Israelin sang ihr „New Day Will Rise“ wie schon in den Proben zuvor nahezu makellos. Die Ballade, die zum Schluss immer machtvoller wird und dann ganz leise mit einem neuen Tagesanbruch endet, musste sich einfach im zweiten Halbfinale am Donnerstagabend durchsetzen.
Am Nachmittag war es noch in der dritten Generalprobe zu einem unschönen Zwischenfall gekommen. Der Auftritt der Israelin war von Trillerpfeifen begleitet worden. Davon ließ sich die Vierundzwanzigjährige aber nicht aus der Ruhe bringen. Wie sie schon vor dem ESC in Interviews sagte, rechnete sie mit Buhrufen und Störversuchen. Darum habe sie sich ganz bewusst auf solche Vorkommnisse vorbereitet.
Raphael überlebte den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023
Der zuständige Schweizer Sender SRG schrieb am frühen Abend in einer Mitteilung, dass sechs Personen, unter ihnen eine Familie, mit unzulässig großen Flaggen und Trillerpfeifen den Ablauf der Hauptprobe beeinträchtigt hätten. „Das Sicherheitspersonal hat die fraglichen Personen rasch identifiziert und aus der Halle begleitet“, hieß es weiter. Flaggen aus aller Welt, auch aus Palästina, sind in diesem Jahr beim ESC in der Schweiz zwar erlaubt, solange sie nicht gegen die Gesetze des Landes verstoßen. Aber nur eine Fahne pro Person, und diese darf die Größe von 100 mal 70 Zentimetern nicht überschreiten.
Das Perfide an solch einer Störaktion ist, dass damit eine Künstlerin getroffen wird, die zwar ihr Land Israel vertritt, aber nicht für die Politik ihrer Regierung im Gazastreifen verantwortlich ist. Yuval Raphael hat zudem nur mit viel Glück den Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 auf das Supernova-Musikfestival überlebt. Dafür musste sie stundenlang in einem Bunker ausharren, in den die Terroristen immer wieder hineinschossen und auch Handgranaten warfen. Raphael überlebte, in dem sie sich unter Leichen versteckt hielt. Mitleid aber will sie nicht, sie will als Künstlerin akzeptiert werden.
JJ aus Österreich kämpfte mit den Requisiten
Ins Finale, wenn auch mit einem Wackler bei den hohen Tönen, ist auch der Countertenor JJ aus Österreich eingezogen. Seine dreiminütige Pop-Oper „Wasted Love“ inszeniert er als Schiffbrüchiger ganz in Schwarzweiß irgendwo im großen Ozean. JJ, der mit bürgerlichem Namen Johannes Pietsch heißt, wurde an der Opernschule der Wiener Staatsoper ausgebildet. Dort, an der Staatsoper, tritt er inzwischen regelmäßig auf, zuletzt als „Knabe“ in einer Neuinszenierung von Mozarts „Zauberflöte“.
JJ hatte am Nachmittag ebenfalls zu kämpfen, allerdings mit den Requisiten: Sein Segel wollte sich nicht setzen lassen. Der Wackler am Abend war sicher nicht konditionsbedingt. Zuhause trainiert er seine Stimme täglich mindestens drei Stunden, wie er erzählt. Trotzdem schonte er sie vorsichtshalber in den vergangenen Tagen, sprach und sang nur, wenn es nicht zu umgehen war.
Australiens Go-Jo wollte mit nacktem Oberkörper punkten
Auch im zweiten Halbfinale gab es bittere Enttäuschungen. Australien etwa scheiterte zum zweiten Mal in Folge. Die Hoffnungen waren groß, auch weil Down Under in Basel Zehnjähriges feiert. 2015 nahm das ESC-verrückte Land erstmals teil. Nun musste Go-Jo vorzeitig zusammenpacken. Sein Auftritt als „Milkshake Man“, bei dem er in einen riesigen Getränkeshaker klettert und verjüngt wieder herauskommt, war einfach nur doof. Punkten wollte er vor allem mit seinem nackten Oberkörper – „Yum Yum“. Das ging schief.
Dänemark hingegen konnte sein Glück kaum fassen: Seit 2019 hatte sich das kleine Land im nicht ganz so hohen Norden nicht mehr für ein Finale qualifizieren können. Nun schaffte es die 30 Jahre alte Sissal Jóhanna Norðberg Niclasen aus Tórshavn, der Hauptstadt der Färöer-Inseln. Ihr Lied „Hallucination“, eine Elektro-Dance-Nummer, die nicht recht zünden will, wird es allerdings schwer haben, sich im Finale durchzusetzen.

ESC ist weiterhin weiblich geprägt
Auch Luxemburg konnte sich über den Finaleinzug von Laura Thorn freuen. Das kleine Großherzogtum nimmt erst seit dem vergangenen Jahr wieder am ESC teil. Die 25 Jahre alte Sängerin singt „La poupée monte le son“ („Die Puppe wird laut“), eine Hommage an den ESC-Siegertitel von France Gall, „Poupée de cire, poupée de son“. Die Französin hatte vor 60 Jahren den Grand Prix für Luxemburg gewonnen. Anders als die Holzpuppe, Spanpuppe von France Gall befreit sich die moderne Version der Laura Thorn am Ende aus ihrem Puppenhaus und ihrer Puppenwelt.
Noch eine ganze Reihe weiterer Frauen durfte sich über das Weiterkommen freuen: Erika aus Finnland, die Folkband Tautumeitas aus Lettland, Miriana Conte aus Malta und die Griechin Klavdia. Im ersten Halbfinale waren nur zwei Frauen auf 13 Männer getroffen, im zweiten waren es zehn Frauen bei 16 Teilnehmern. Das gleicht es nicht ganz aus. Aber im Finale stehen nun 15 Frauen und elf Männer (Duos, Trios und ganze Gruppen nicht mitgezählt).
Der ESC ist also weiterhin eher weiblich geprägt. Tatsächlich haben fast viermal so oft Sängerinnen den Grand Prix gewonnen als Männer. In diesem Jahr scheint es allerdings unwahrscheinlich, dass eine Künstlerin oder eine Gruppe von Künstlerinnen den Sieg davonträgt. Die Buchmacher sehen derzeit nur Männer auf den vorderen Plätzen: das finnische Trio KAJ, das für Schweden antritt, den Österreicher JJ und den Niederländer Claude. Auf den Plätzen folgen gleich drei Frauen, in Lauerstellung, denn entschieden ist noch nichts: Louane aus Frankreich, Erika aus Finnland und Yuval Raphael aus Israel.
Abor & Tynna legten souveränen Auftritt hin
Am Donnerstagabend hatte auch das für Deutschland startende Wiener Duo Abor & Tynna seinen ersten ESC-Auftritt vor großem Publikum. Die beiden wirkten souverän, Sängerin Tynna war stimmlich noch nicht da, wo sie sein könnte und hoffentlich am Samstag, wenn es wirklich ernst wird, auch ist. Aber noch kann sie dreimal proben, zweimal am Freitag, einmal am Samstag.
Insgesamt hatte das zweite Halbfinale einige Längen. Allerdings hatten sich die Verantwortlichen auch etwas Besonderes ausgedacht: Sie boten vier Künstlern und vor allem ihren Liedern aus dem „verlorenen Jahr 2020“ eine Bühne. Vor fünf Jahren musste der ESC erstmals in seiner Geschichte ausfallen. Wegen Corona. Davon betroffen waren 41 Länder und ihre Kandidaten. Für Deutschland wäre Ben Dolic an den Start gegangen, mit seinem Lied „Violent Thing“. Ein Jahr später war Dolic nicht dabei, viele andere Künstler aber schon, allerdings mit neuen Liedern, so wie es die Regeln der Europäischen Rundfunkunion (EBU) vorschreiben: Kein Titel darf vor dem 1. September des Vorjahres kommerziell veröffentlicht oder aufgeführt worden sein.
Wird Céline Dion auftreten?
Zu den Künstlern, die 2020 antreten sollten und dann 2021 in Rotterdam antraten, zählten der Schweizer Gijon’s Tears mit „Tout l’univers“, Destiny mit „Je me casse“ aus Malta, die litauische Band The Roop mit „Discoteque“ und Efendi mit ihrem Lied „Mata Hari“ aus Aserbaidschan. Am Donnerstagabend bekamen diese vier die Gelegenheit, in jeweils gut 90 Sekunden die für den ESC „verlorenen Lieder“ vorzustellen und damit die Lücke zu schließen, wie Moderatorin Hazel Brugger sagte: Und so sangen sie erstmals beim ESC „Répondez-moi“ (Gijon’s Tears), „All Of My Love“ (Destiny), „On Fire“ (The Roop) und „Cleopatra“ (Efendi).
Einer fehlte bisher noch völlig. Vorjahressieger Nemo. Nur im ersten Halbfinale klang am Anfang Nemos Lied „The Code“ kurz an. Nemo wird sicher im Finale eine größere Rolle spielen. Bekannt ist inzwischen auch, dass die beiden Zweitplatzierten der beiden vergangenen Jahre mit dabei sein werden, Käärijä aus Finnland und Baby Lasagna aus Kroatien. Und dann gibt es weiterhin die Spekulationen um Céline Dion. Ob sie oder ob sie nicht nach Basel kommen wird, bleibt aber bis zuletzt ein Geheimnis.