Karriereende von Profis: Macht’s gut, ihr Ausputzer, Staubsauger, Wasserträger und Wadenbeißer | ABC-Z

In unserer Kolumne “Grünfläche” schreiben
abwechselnd Oliver Fritsch, Christof Siemes, Stephan Reich und Anna Kemper über die Fußballwelt und die Welt des
Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende,
Ausgabe 16/2025.
Vor einigen Jahren sah ich zufällig die Dokumentation “Cristian Fiél – Es war Liebe”. Darin wird der damalige Dresden-Profi Fiél rund um sein Karriereende begleitet, man sieht ihn bei den Spielen, im Training, mit seiner Familie im Garten, ein rundum netter Kerl. Eine besonders rührende Szene ist jene im Dresdner Pressebereich, in der Fiél sein Karriereende verkündet. Es ist ein schmuckloser Raum, Fiél sitzt vor einer Werbewand, auf den Stühlen vor ihm sitzt eine Handvoll Pressevertreter und Fiél kommen schon vor der Begrüßung die Tränen. “Boah, das sollte erst kurz vor Schluss kommen, aber irgendwie…”, sagt Fiél und kämpft sich dann durch eine emotionale Pressekonferenz, wie er sich auch Zeit seiner Karriere durch die Spiele kämpfte. Mit Fiél hatte mich bis zu diesem Zeitpunkt nichts verbunden, nun war ich gerührt. Verdammt, es war wirklich Liebe, dachte ich, als ich den weinenden Fiél sah, der das Ende des Lebens, wie er es kannte, ehrlich und tief betrauerte.
Aktuell muss ich immer mal an Fiél denken. Es sind ja die Wochen der großen Abschiede. Mats Hummels hat sein Karriereende verkündet, auch bei Thomas Müller könnte es so weit sein, die Presse ist voll von – ja zu Recht – Elogen auf diese beiden Spieler, die zu dem besten gehören, was der deutsche Fußball in den vergangenen Jahrzehnten zu bieten hatte. Dennoch frage ich mich: Was ist denn mit den anderen Fiéls des Landes, die ebenfalls ihre Karriere in diesem Sommer beenden werden? Jene, die nicht in Rio 2014 auf dem Platz standen, die keinen Champions-League-Pott in die Höhe stemmten. Die guten, soliden Fußballarbeiter, die stets im Schatten der Stars ihr Tagwerk verrichteten, nie bis selten glänzten, sondern einfach ihren Job machten. Typen wie Fiél eben, solide, erdverbunden, immer da.
In diesem Sommer, zeigt eine sicherlich unvollständige Kurzrecherche, könnten direkt einige Bundesliga-Normalos ihre Karrieren beenden. Anthony Losilla vom VfL Bochum wird es definitiv tun, außerdem laufen die Verträge von Unions Christopher Trimmel (38), Heidenheims Norman Theuerkauf (38), Gladbachs Ersatzkeeper Tobias Sippel (37), Bochums Cristian Gamboa (37) und von Frankfurts Timothy Chandler (35) aus.
Es sind verlässliche Kerls, die hinter den großen Stars den Dreck wegputzen, die Tag für Tag für Tag am Trainingsgelände erscheinen, in Bochum, Heidenheim, Frankfurt oder Dresden, um ihre Knochen hinzuhalten, damit jene im Scheinwerferlicht dann ihre fancy Tricks machen können. Spieler, deren landläufige Jobbeschreibungen schon klingen, als hätte man sie nicht aus dem Nachwuchsleistungszentrum hochgezogen oder dem Lokalrivalen abgeworben, sondern fix aus dem Geräteschuppen am Trainingsplatz geholt: Ausputzer, Staubsauger, Wasserträger, Wadenbeißer, Arbeitstier. Spieler, die Gras fressen, die dahin gehen, wo’s weh tut, die über den Kampf ins Spiel finden, weil ihnen ein anderer Zugang meist nicht möglich war. Auf jeden Thomas Müller kommen zehn Timothy Chandlers, für jeden Hummels gibt es ein Vielfaches an Theuerkaufs. Das ist die Rechnung der Bundesliga: Sie besteht überwiegend aus Normalos.
Sollten wir sie nicht eher besingen? Die wir ja auch Tag für Tag irgendwo hingehen, schmucklos unsere Jobs machen, im Büro ein paar glanzlose Mails beantworten oder auf der Baustelle solide eine Wand verputzen? Die wir an der Supermarktkasse von Warentrenner zu Warentrenner denken, im Krankenhaus beim Verbandswechsel alles raushauen, den Laden am Laufen halten in Kindergarten, Versicherungsbüro, Anwaltskanzlei? Spieler wie Fiél, Chandler, Theuerkauf sind Normalos für Normalos, jedes Mal, wenn Chandler einen Gegenspieler humorlos an der Eckfahne wegverteidigte, hüpfte mein Herz, jedes Mal, wenn mir Norman Theuerkauf in der Sportschau über den Weg lief, dachte ich: Mensch, der Theuerkauf, ist der jetzt in Bremen, Braunschweig, Heidenheim. Und klar, es werden neue Chandlers und Theuerkaufs kommen, aber sie werden mir trotzdem fehlen. Auch für mich war und ist es ja Liebe, diese große, wunderbare Bundesliga, die von ihnen zusammengehalten wird.
Und was heißt schon normal? Fiél beispielsweise spielte Uefa-Cup mit den Zweitligisten Union Berlin und Alemannia Aachen, mit Aachen stieg er außerdem in die Bundesliga auf. Losilla und Trimmel sind Kapitäne ihrer Clubs, Chandler ist Pokal- und Europapokalsieger, spielte eine WM mit den USA. Von wegen normal, von wegen solide und Wasserträger. Gemeinsam haben sie hunderte, tausende Spiele auf dem Buckel, in der ersten Liga, der zweiten Liga, im DFB-Pokal, sie haben jede Verabschiedung in der Lokalpresse, jede rührende Abschieds-PK in den Presseräumen des Landes, jeden Blumenstrauß vor Anpfiff verdient. Ich würde einen, wahrscheinlich eher zwei kleine Zehen geben, wenn ich nur einmal die Möglichkeit hätte, im vollbesetzen Frankfurter Waldstadion für einen Kurzeinsatz eingewechselt zu werden.
Vielleicht würde mir Dino Toppmöller mit auf den Weg geben: “Zeig der Welt, dass du besser bist als Norman Theuerkauf.” Und ich würde entgeistert antworten: “Trainer, wie denn das?”