Kultur

Georg Stefan Troller: Die Frage “Wer bist du eigentlich?” reicht für ein Lebenswerk | ABC-Z

Wenn man in den vergangenen Jahren
mit Georg Stefan Troller telefonieren wollte, musste man sich gedulden. Morgens,
ja, vormittags ging seine Pariser Haushälterin ans Telefon, entschuldigte ihn,
Monsieur Troller ruhe noch, man solle es doch gegen Mittag noch einmal
versuchen. Dann aber, am Telefon, war er stets hellwach und neugierig, wollte
immer gleich wissen, was in Deutschland gerade los war, berichtete aus
Frankreich. Als ich ihm bei unserem letzten Telefonat in diesem Sommer
erzählte, dass Fans von ihm aus Berlin seine legendären Dokumentarfilme wieder
aufführen wollen, sein Pariser Journal, das er in den Sechzigerjahren in der
ARD gedreht hatte, seine Porträtreihe Personenbeschreibung, die von den
frühen Siebzigern bis in die frühen Neunzigerjahre im ZDF lief, da hat er sich gefreut
wie ein kleiner Junge, “Gerne! Sie sollen sich einfach melden, am besten
wäre ein Brief.” Jetzt ist der große Georg Stefan Troller, der
Jahrhundertmensch, im Alter von 103 Jahren gestorben.

“Manchmal spreche ich alte
Freunde, die sich erkundigen, wie es mir geht, und erstaunt sind, dass ich noch
immer da bin”, hat er mir vor fünf Jahren erzählt, als ich ihn in seiner
Wohnung im 7. Arrondissement in Paris besuchte. Er lächelte, als er das sagte.
“Das ist mir mehrmals passiert! Einmal kommt ein Typ auf der Straße auf
mich zu, ein gut aussehender Junge, und sagt: ‘Verzeihung, sind Sie Herr
Troller?’ Ich sage: ‘Ja.’ – ‘Ach, ich dachte, Sie seien schon lange tot!'” Ein
anderes Mal hörte er davon, dass ein Verleger ein Buch über französische
Chansonsängerinnen herausgegeben hatte, auch Troller hatte einmal ein Porträt
über die Sängerin Barbara veröffentlicht. “Das hat er sich einfach unter
den Nagel gerissen. Ich rufe ihn also an und frage: ‘Wie kommen Sie dazu, ohne
mich auch nur zu verständigen? Von einem Honorar will ich erst gar nicht
reden.’ Da sagt er: ‘Ich wusste ja nicht, dass Sie noch leben.'”

Georg Stefan Troller staunte ja
selbst darüber, dass ausgerechnet er so alt geworden war, geboren 1921 in Wien
in einer jüdischen Pelzhändlerfamilie; er, der nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1938 aus Österreich geflohen und in den Vierzigerjahren mit
seiner Familie in die USA emigriert war. Georg Stefan Troller war in Wien mit
offenem, alltäglichem Antisemitismus aufgewachsen: “Einmal, ich war
erkältet, habe ich auf der Straße kurz ausgespuckt, da lief eine
Krankenschwester an mir vorbei und sagte: ‘Ich weiß eh, dass ihr Juden auf uns
spuckt.’ Mit so etwas musste man leben, und unter den Nazis wurde es noch
härter.”

Die besonderen Pointen seines Lebens

Seine Flucht vor den Nazis führte
ihn am Ende nach Amerika, und zu den besonderen Pointen seines Lebens gehört,
dass er während des Zweiten Weltkriegs als Mitglied der US-Army zurückkehrte
nach Europa, nach Deutschland, als Gefangenenvernehmer, der deutsche Soldaten
verhörte. “Ich konnte mich sogar in diese deutschen Soldaten
einfühlen”, hat er mir erzählt. Wie das sein könne, wollte ich wissen, saß
er doch Menschen gegenüber, die jemanden wie ihn umbringen wollten. “Sie
sprachen meine Sprache.” Und die Sprache war seine Heimat, sie ist es
immer geblieben.

Im April 1945 ist Georg Stefan
Troller einer der Ersten, der nach Dachau fährt, das KZ war gerade erst befreit
worden. “Erst die Hitler-Wohnung am Prinzregentenplatz, dann die
Eva-Braun-Wohnung, dann Dachau, das haben wir alle gemacht”, hat er sich
in unserem Gespräch erinnert. “Die Hitler-Wohnung war erstaunlich groß,
mit Balkon, voller Karl-May-Bände und Briefe. Ich fand ein Blatt, ich glaube,
nach dem gescheiterten Putsch verfasst: ‘In dieser schweren Stunde, mein
Führer, versichern wir Sie unserer ewigen Freundschaft und Ergebenheit’,
unterzeichnet von Göring, Goebbels, Himmler. Das Blatt habe ich meinem Vater
nach Amerika geschickt, und er hat es für 25 Dollar verkauft. ‘Diesen Scheiß
will ich nicht in meinem Haus haben’, hat er gesagt. Die Eva-Braun-Wohnung war
in Bogenhausen, sehr schön, bourgeois, mit einem Panzerschrank, den die G. I.s
natürlich schon aufgebrochen hatten. Darin lagen in einem hübschen Ledereinband
Morgensterns Galgenlieder, offenbar von Hitler geschenkt. Habe ich liegen
gelassen.”

Anschließend Dachau, das KZ.
“Es sah wirklich auf den ersten Blick so aus, als seien Puppen auf dem
Gelände verteilt worden”, hat sich Troller erinnert. “Erst dann
merkte ich: Das sind alles meine Leut. Da war ein Zug mit offenen Waggons,
innen lagen die gestapelten Leichen, alle verhungert und verdurstet, es war
furchtbar.” Er ist nie wieder hingefahren.

Die Verhöre, die er als US-Soldat
in seiner Heimatsprache mit deutschen Soldaten führte, die über seine
Sprachkenntnisse staunten, wurden für ihn zu einem entscheidenden Wendepunkt.
“Ich musste dafür meine eigene Rolle im Leben finden: Wer bin ich
eigentlich, der diesen jungen deutschen Nazis gegenübertritt? Bin ich nun Ami?
Bin ich Deutscher?”, hat er in seiner Pariser Wohnung erzählt. “Die
Frage ‘Wer bist du eigentlich?’ reicht für ein Lebenswerk.” 

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