Gesundheit

Landarzt-Kolumne: Arbeitslosigkeit macht krank | FAZ |ABC-Z

In dieser Woche kam mir der Gedanke: Manchmal wiederholen sich die Dinge. Dinge, von denen man dachte, so passieren sie eigentlich nicht mehr.

Dazu muss man wissen: Der Oberbergische Kreis war einst das „Ruhrgebiet“ des Mittelalters. Grundlage waren dafür die Wälder und das Wasser der Flüsse. Damit konnte Holzkohle erzeugt werden. Das Wasser trieb die vielen Hammerwerke an, die dann Eisen schmieden konnten. Das Eisenerz kam aus dem nahen Siegerland. Diese Arbeit hat über Jahrhunderte den Oberbergischen Kreis, in dem ich ja lebe, geprägt. Bis heute spürt man diese Vergangenheit. Viele metallverarbeitende Mittelständler, gerade für die Automobilindustrie, sind hier ansässig.

Sie wissen und erinnern sich sicher: Immer wieder treffen Krisen diese Branche. Eine zu Beginn dieses Jahrtausends. Damals wurden sehr viele Firmen infolge der Globalisierung geschlossen. Viele Menschen verloren ihre Arbeit, auch in unserem Ort. Viele der Frauen und Männer, die dieses Schicksal traf, betreuten wir auch in unserer Praxis. Schlafstörungen waren bei diesen Patienten sehr häufig, dazu kamen oft Angst- und Panikattacken. Für die Menschen, die so plötzlich arbeitslos geworden waren, brach in vielen Fällen ihre gesamte Lebensplanung zusammen – und drohte zu einer Lebenskrise zu werden. Viele Ehen sind darüber gescheitert. Familien mussten Häuser aufgeben – ganz abgesehen von Bluthochdruck, Magen-Darm-Beschwerden oder Kopfschmerzen, die diese Menschen quälten.

Arbeit gibt es Körper und dem Tag Struktur

Arbeit gibt dem Tag Struktur und dem Menschen ein Selbstwertgefühl. Da bin ich ganz bei Karl Marx, der Arbeit als Selbstverwirklichung des Menschen sah.

Es hat Jahre gedauert, bis sich die Region von diesem Crash im Jahr 2000 erholt hat – mal ganz abgesehen von den Menschen.

Jetzt habe ich gehört, dass bei uns in der Nähe in einer Firma wieder Menschen entlassen werden. Fast 20 Prozent der Mitarbeiter sollen es sein. Das sind über 100 Personen.

Wer jetzt denkt, so etwas trifft nur die aus der Industrie, da werden Arbeitskräfte ersetzt, der irrt. In diesem Sommer kam der Geschäftsführer einer großen Beratungsfirma zu mir in die Praxis.

Er hatte Schlafstörungen, Bluthochdruck, Rückenschmerzen, keinen Appetit. Ich sprach mit ihm, und es kam heraus, dass er vom Vorstand beauftragt war, den Großteil seiner Angestellten zu entlassen. Die Firma werde umstrukturiert. Dabei ging es vor allem um Künstliche Intelligenz. Der Vorstand investierte massiv in KI und in neue Mitarbeiter im Ausland, die diese verstanden und bedienen konnten. Diese Veränderung belastete den Geschäftsführer sehr. Es zeigt aber auch: Die KI verunsichert die Menschen; sie wird auf dem Arbeitsmarkt vieles auf den Kopf stellen.

Jeder weiß: Zu viel Arbeit kann schädlich sein, aber keine Aufgabe zu haben macht mindestens genauso krank. Was in Zukunft auf uns zukommt, können wir noch gar nicht überblicken – auch die nicht, die denken: Die KI, die betrifft mich nicht.

Ein kleiner Trost: Ich hatte in dieser Woche auch ein Gespräch mit einem Chef einer großen Pflegeeinrichtung. Hier fehlt es an allen Enden an Personal. Sie versuchen jetzt, vermehrt Quereinsteiger für die Pflege zu gewinnen. Starke Stahlarbeiterhände, die zupacken können, in der Pflege – keine schlechte Vorstellung, meine ich.

An diesem Wochenende beginnt die Adventszeit. Lassen wir uns die schöne Stimmung nicht vermiesen, sondern hoffen wir darauf, dass wir als Gemeinschaft auch die neuen Veränderungen packen werden.

Ich wünsche Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, einen sehr schönen und hoffnungsvollen 1. Advent. Machen Sie es sich gemütlich – Ihr Landarzt.

Dr. Thomas Aßmann, 62 Jahre alt und Internist, hat eine Praxis im Bergischen Land. Er schreibt hier regelmäßig über seine Arbeit.

Back to top button